Kochen mit Colombo
Der italienische Designer Joe Colombo hatte die Zukunft stets vor Augen. Seine Entwürfe aus den turbulenten Sechziger und Siebziger Jahren waren wie kaum andere geprägt von der Raumfahrt und dem Gefühl des Aufbruchs. Die Wohnung konnte für ihn daher nicht mehr in Statik verharren, sondern geriet in Bewegung und damit an den Puls der Zeit. Seine „Minikitchen“, die er 1963-1964 für Boffi entwarf, fasst alle Funktionen einer herkömmlichen Küche auf gerade einen halben Kubikmeter zusammen. Was einst als kleine Sensation begann, ist nun als Klassiker wieder bei Boffi im Programm.
Für Joe Colombo war die Welt stets in Bewegung. Schon früh hegte er eine große Faszination für schnelle Autos oder Flugzeuge, was sicher nichts Ungewöhnliches ist für Männer in jungen Jahren. Doch seine Begeisterung ging sogar soweit, dass er die Ästhetik der Mobilität bis in den Wohnraum übertrug und diesen aus seiner starren Raumaufteilung befreite. Viele seiner Entwürfe wie die bekannten Büro-Rollcontainer „Robot“ oder „Bobby“ waren mit Rollen ausgestattet und konnten frei in der Wohnung bewegt werden. Der Sessel „Supercomfort“ aus dem Jahr 1963 wurde mit einer abgesteppten Polsterung ausgestattet, die dem Innenleben eines Autos entnommen wurde, während andere Entwürfe mit integrierten Bedienungsdisplays beinahe den Eindruck erwecken, man könne mit ihnen davonfliegen. Interessanterweise sprach Colombo bei seinen Entwürfen selten in den klassischen Termini „Sessel“, „Stuhl“ oder „Tisch“, auch wenn er eben jene meinte.
Kapseln und Module
Für ihn ging es vielmehr darum, die Dinge in ihrem Zusammenhang zu sehen und fasste sie zu Funktionseinheiten zusammen, die er schlicht als „Ausstattung“ beschrieb. Erst im Ensemble ergaben sie für ihn einen Sinn. So wurde aus dem Bett eine rollbare, multifunktionale „Nachtzelle“, die über ein absenkbares Verdeck geschlossen werden konnte und nebenbei über eine integrierte Beleuchtung, Radio, Ventilator oder Aschenbecher verfügte. Ein anderes Modul nahm all diejenigen Funktionen auf, die auf den Tag ausgerichtet sind, darunter einen Esstisch, der mittels einer 180°-Drehung in eine Minibar verwandelt werden kann. Das Konzept von Bewegung und Wandelbarkeit geriet in den Mittelpunkt von Colombos Designverständnis, getreu seinem Ausspruch: „Der Lebensraum muss sich immer dem Menschen anpassen, nicht umgekehrt.“
Kochen auf einem halben Kubikmeter
Dass auch die Küche nicht weiter als abgeschlossene Kammer ihr Dasein fristen konnte, erscheint da nur konsequent. So fasste Colombo mit seiner „Minikitchen“ die gesamten Funktionen einer Küche in einer kompakten, rollbaren Box zusammen, die mit ihren Abmaßen von 75 x 90 x 72 Zentimetern gerade einmal einen halben Kubikmeter einnahm. Ausgestattet, um für bis zu sechs Personen zu kochen, beinhaltet sie einen Herd, einen Kühlschrank, einen Dosenöffner, Schubladen für Geschirr oder Besteck sowie Stauraum für Gläser oder Kochbücher. Dank kleiner Tanks ist sie komplett unabhängig von Wasserleitungen und benötigt lediglich ein einziges Kabel für den Stromanschluss.
Seiner Zeit voraus
Erstmals vorgestellt auf der Mailänder Triennale 1964 sorgte die „Minikitchen“ für eine kleine Sensation. Denn der traditionelle Begriff von Küche als separater Raum in der Wohnung wurde mit ihr unmissverständlich über Bord geworfen. Als flexible „Kochinsel“ ließ sie sich an alle beliebigen Orte transportieren, so dass diese einfach als Küche okkupiert wurden. Die Verschmelzung zwischen Küche und Wohnzimmer, die derzeit als zentraler Trend in der Küchenbranche gilt, hat Colombo schon vor über vierzig Jahren zum Thema gemacht. Dass sein Entwurf auch heute noch aktuell ist, zeigt die 2006 von Boffi vorgestellte Neuauflage der „Minikitchen“. Angepasst an ein heutiges Materialverständnis wurde sie jedoch nicht aus Holz sondern aus Corian gefertigt, einem weißen Mineralwerkstoff, der dem puristischen Entwurf zudem einen zeitlosen Charakter verleiht. Die Zukunft der Küche hat schon lange begonnen.
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