Magie und Frieden
Die Neuheiten der Maison & Objet und Déco Off in Paris 2023

Das Designjahr 2023 begann in Paris, wo die Einrichtungsmesse Maison & Objet von der Stoff- und Tapetenschau Déco Off begleitet wurde. Handwerkliche Raffinesse stand hoch im Kurs. Doch es zeigten sich Tendenzen zu einer rauen Ursprünglichkeit. Auch kulinarische Friedensappelle durften an der Seine nicht fehlen.
Und es dreht sich wieder, das Designkarussell. Weil die Kölner Möbelmesse imm cologne in diesem Jahr auf Juni verschoben wurde, richtete sich alles Augenmerk auf Paris als ersten Pflichttermin des neuen Jahres. Auf dem Messegelände Parc des Expositions unweit des Flughafens Charles de Gaulle fand die Einrichtungsmesse Maison & Objet statt, wo traditionell alles wild gemischt wird: von Möbeln über Accessoires, Dekoartikeln und Raumdüften bis hin zu Tableware und Kunsthandwerk. Parallel lud die Schau Déco Off in die Showrooms der Stadt, wo die Hersteller von Stoffen, Tapeten und Teppichen ihre Neuheiten präsentierten. Auch in den Designgalerien gab es zahlreiche Entdeckungen.
Outdoor: Sinnlichkeit und Strenge
Dass Draußen das neue Drinnen ist, zeigen die stilistischen Transfers zwischen beiden Welten. Cassina präsentierte Innenraumklassiker wie den Tisch Mexique (1952) von Charlotte Perriand sowie neuere Entwürfe wie den Tisch Lebeau von Patrick Jouin erstmals als Outdoor-Versionen. Ethimo stellte die Sofaserie Costiera von Christophe Pillet vor, die mit bloßem Auge nicht von ihren Wohnzimmer-Pendants zu unterscheiden ist. Am Stand von Ames war die neue Polsterkollektion Coco von MUT Design zu sehen, die in ihrer Ästhetik deutlich kubischer und geradliniger anmutet als die bisherigen Entwürfe des deutsch-kolumbianischen Unternehmens. Hier ist es vor allem der in energetischen Farben schimmernde Bezug, der Terrassen- und Pool-Feeling einläutet, während sich die Form zurücknimmt. Als deren Vorlage diente das in Lateinamerika populäre Kinderspiel Comecocos, bei dem ein Blatt Papier zu einem schnappenden Mund gefaltet wird.
Möbel: Mut zum Dekor
Der Accessoire-Hersteller Maison Matisse – gegründet vom Enkel des berühmten Malers – expandiert in den Möbelbereich mit zwei Entwürfen von Guillaume Delvigne. Sowohl der Hocker Détour als auch das wandmontierte Horizontal Floating Shelf sind aus Kork mit teils farbigen Oberflächen gefertigt. Marc Newson zeigte in der Pariser Gagosian Gallery die Chaiselongue Cloisonné White and Blue Lounge und den Cloisonné White and Blue Chair. Die Oberflächen sind mit einem markanten Punktmuster überzogen, das auf der traditionellen Cloisonné-Technik zur Emaille-Verzierung basiert: ein Verweis auf Newsons Wurzeln als Juwelier und Silberschmied. Philippe Starck hat das Sofa Mariya für Andreu World gestaltet: Ein Zweitsitzer mit seitlichen Bücherregalen, die als Armlehnen dienen. Ein schöner Entwurf, nur wurde dieser bereits vor 22 Jahren von Antonio Citterio für Flexform angefertigt und trägt den Namen Groundpiece.
Licht: Rau bis glänzend
Ein Transfer vom urbanen Raum hinein ins Zuhause vollzieht Alessi mit der Table Lamp von Aldo Rossi. Der ursprüngliche Entwurf dient als Straßenlaterne in der Via Croce Rossa in Mailand seit dem Jahr 1991. Nun ist er in verkleinerter Version für den Hausgebrauch in serielle Produktion gegangen. Betont rau wirkt die Aluminiumguss-Tischleuchte Samsa, die Sebastian Herkner für Pulpo gestaltet hat. Sie scheint aus Metallblechen gefertigt zu sein, die in unterschiedlichen Längen überstehen, als müssten diese noch begradigt werden. Das Prozesshafte und Unfertige wird so in ein finales Produkt transferiert, das mit Ecken und Kanten punktet, statt sich in gefälliger Perfektion zu verlieren. Ganz anders die Tischleuchte Catherine, die Marie Michielssen für Serax gestaltet hat. Der zylindrische Schirm wird von einem ebenfalls zylindrischen Sockel aus rot glasierter Keramik getragen, deren hochglänzende Oberflächen im Licht regelrecht zu funkeln beginnen und so die handwerkliche Facette betonen.
Accessoires: Weiche Konturen
Auf sinnliche Formen setzt der dänische Hersteller Aytem mit der Vase Uva. Der Name steht im Italienischen für „Traube“. Und genau so mutet der großformatige Korpus aus Steinzeug an, dessen mattweiße Oberfläche regelrecht zum Berühren animiert. Magna Graecia ist eine Terrakotta-Kollektion, die Antonio Aricò für Seletti gestaltet hat. Als Inspiration dienten die antiken Baudenkmäler, die die Griechen in seiner süditalienischen Heimat hinterlassen haben. Großformatige Pflanzschalen, Vasen, Aschenbecher oder Hocker warten mit architektonischen Details und Dekoren auf. Durch eine bewusste Ungenauigkeit in der Linienführung wird nicht nur der handwerkliche Ursprung betont. Die „Unschärfe“ gibt den Objekten eine zeitgenössische Haltung, die sie von kitschigen Touristen-Souvenirs klar unterscheidet. „Terrakotta ist ein scheinbar sehr armes Material. Doch man kann mit ihm Magie entfachen“, ist Antonio Aricò überzeugt.
Wand: Spuren der Vergangenheit
Eine Aktivierung der Raumgrenzen vollziehen die neuen Tapeten. Als „Hommage an den Brutalismus“ sieht der italienische Hersteller Ornami die Kollektion Still Life von Gabriella Fusilio. Architektonische Details der Nachkriegsära werden durch Multiplikation und Reihung abstrahiert. Indem sie die Wände von Innenräumen bevölkern, entsteht ein spannungsvoller Inside-Out-Effekt. Sozusagen als augenzwinkernde Antwort auf den Trend der Outdoor-Branche, den Garten und die Terrasse mit Möbeln zu bestücken, die scheinbar für das Wohnzimmer gemacht sind. Romantik wird hingegen beim Stofftapetenhersteller Colony großgeschrieben, der seine Neuheiten im Showroom in der Rue Jacob in Saint-Germain präsentierte. Das Modell La Perouse ist von symmetrischen Blumenmustern inspiriert, wie sie in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts beliebt waren. Der verwendete Stoff – ein Chenille-Lampas – wartet mit charakteristischen Wellenstrukturen auf, die durch Lichtreflexionen des Garns ausgelöst werden.
Boden: Grafisches Spiel
Dynamik auf den Boden bringt der Teppichhersteller Illulian mit den Modellen Floralia Yard, Vol II und Multifarious Flora, Vol II. Beide wurden von der italienisch-brasilianischen Modedesignerin Paula Cademartori entworfen und verfügen über breite, mehrfarbige Ränder, die mit unregelmäßigen Konturen aus dem orthogonalen Raster ausbrechen. Der sonst auf heutige Designer fixierte Hersteller CC-Tapis hat in der Pariser Galerie Les Filles du Calvaire die Kollektion Les Arcs aufgelegt – mit Entwürfen von Charlotte Perriand. Die rechteckigen Modelle werden von farbigen Querstreifen überzogen, die eine verspielte, lockere Attitüde einbringen. Einige Muster sind für die Residenz des japanischen Botschafters in Frankreich in Paris (1966-69) angefertigt worden, andere basieren auf Farbstudien für die Unité d'Habitation Air France in Brazzaville, Kongo (1952). Jan Kath hat an der Seine seine neue Kollektion Insert Coin vorgestellt, für die der Frankfurter Künstler Raphael Brunk Screenshots von Arcade-Computerspielen verfremdete, darunter ein nächtlicher Boulevard mit bunten Leuchtreklamen oder eine Verfolgungsjagd in den Straßen von Miami.
Tableware: Neue Gemeinsamkeit
Auch das Thema Tischkultur wird auf der Maison & Objet großgeschrieben. Einen spannenden Vorstoß macht der italienische Hersteller KNIndustries mit der Kollektion Variazioni sulla tavola von Sirine Graiaa. Die großformatigen Centerpieces gleichen kompakten Architekturen, die nicht nur Servierteller gut erreichbar über die Tischoberfläche anheben. Sie sind auch so gestaltet, dass Töpfe und Pfannen auf ihnen platziert werden können. Die letzten Minuten vor dem Anrichten der Teller finden somit nicht mehr in der Küche statt, sondern werden direkt an den Esstisch transferiert – als Akt der Geselligkeit und des Teilens. Natürlich darf auch das passende Geschirr nicht fehlen. Diesel Living With Seletti unterzieht traditionelle blau-weiße Tellermotive einer „Acid"-Kur, was in verlaufenden Dekoren und unregelmäßigen Konturen mündet. Und der Modedesigner Jean-Charles de Castelbajac entwirft die Kollektion L'Archipel Sentimental für den Keramikhersteller Gien, deren Teller mit handgezeichneten Gesichtern, Monden und Friedenstauben aufwarten. Für das Jahr 2023 gewiss ein passender Gedanke zum Abschluss kulinarischer Genüsse.
Maison & Objet
www.maison-objet.comParis Déco Off
www.paris-deco-off.comMehr Stories
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