Stories

Salone del Mobile 2014: Eine Vorschau

Die 53. Mailänder Möbelmesse lockt mit einer Mixtur aus Klassikern und Neuheiten, abgeschmeckt durch wiederauferstandene Legenden. 

von Norman Kietzmann, 02.04.2014

Schon seit Tagen wird an allen Ecken der Stadt unter Volldampf für die wichtigste Woche des Jahres gewerkelt: Die 53. Mailänder Möbelmesse, die vom 8. bis 13. April wieder weit über 300.000 Besucher in die lombardische Hauptstadt locken wird. Ergänzt wird die Möbelschau von der 20. Ausgabe der Küchenmesse Eurocucina sowie der 17. Edition der Nachwuchsplattform SaloneSatellite. Was die Besucher erwartet: eine Mixtur aus Klassikern und Neuheiten, sorgsam abgeschmeckt durch wiederauferstandene Legenden und postmoderne Traumbilder. Damit das Designvolk auch weiterhin dynamisch bleibt, sind die Distanzen erneut gewachsen.  

In verlässlicher Routine erlebt der Salone del Mobile seinen Auftakt bereits am Sonntag. Zehntausende Läufer sind auch zum diesjährigen Mailänder Marathon gemeldet, der nicht nur die halbe Innenstadt pünktlich zum Anliefertermin der neuen Möbel lahmlegt und damit den Großteil der Aussteller in pure Verzweiflung versetzt. In gewisser Weise gibt das sportive Ereignis auch einen treffenden Vorgeschmack auf die Geschehnisse der folgenden sieben Tage. 

Rotation im Designkarussel
Was die Besucher in diesem Jahr beachten sollten, ist die Neujustierung altbekannter Pfade. Die Ausweitung der Designzone nimmt auch die bislang eher vernachlässigten Gebiete rund um Porta Romana und Porta Venezia in Beschlag, während selbst der etablierte Brera-Distrikt mit zahlreichen Neuzugängen einen ungleich längeren Besuch fordert. Damit alles in geregelten Bahnen verläuft, werden erstmals tausende Freiwillige den Besuchern den Weg weisen. Ganz so, wie London vor zwei Jahren seine Olympia-Besucher galant durch die verwinkelten Straßen der Themse-Metropole bugsiert hat. 

Doch nicht nur die Fläche ist gewachsen. Auch viele Aussteller haben bei der Wahl ihrer innerstädtischen Präsentationen kollektives Stühlerücken absolviert, sodass ein Abgleich der Adressen zwingend zu empfehlen ist. Einige Beispiele: Die Londoner Designshow Designjunction bespielt nun den Palazzo Morando in der Via Sant‘Andrea, wo in den letzten Jahren stets Baccarat zugegen war. Das französische Kristallhaus hat derweil in der Via Formentini Position bezogen und feiert dort sein 250-jähriges Bestehen. Auch Hermès Maison wechselt den Ort und stellt eine neue Leuchtenkollektion von Michele de Lucchi im Palazzo Serbelloni am Corso Venezia vor, während sich der Autohersteller Lexus mit einer Installation von Fabio Novembre die Räumlichkeiten der Franzosen vom vorherigen Jahre gesichert hat: die altehrwürdige Bibliothek Circolo Filologico Milanese in der Via Clerici.

Vermischte Topografien
Gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist eine weitere Verdichtung auf Mailänder Terrain zu beobachten – ausgelöst durch die Präsenz von konkurrierenden Designveranstaltungen. Neben Designjunction ist auch die Biennale Interieur aus dem belgischen Kortrijk präsent und gibt im Palazzo Clerici eine Vorschau auf die im Oktober stattfindende Designschau. Zuwachs kommt derweil auch aus dem hohen Norden. So hat der schwedische Büromöbelhersteller Kinnarps die beeindruckende Halle La Pelota in der Via Palermo gemietet, um eine von Luca Nichetto entwickelte Version skandinavischer Arbeitswelten vorzustellen. Was diesen Zug besonders macht, ist die Überschneidung bislang getrennter Topografien. Viele skandinavische Hersteller haben vor allem in der boomenden Stockholmer Möbelmesse eine verlässliche Plattform gefunden und bisher den Schritt nach Köln oder Mailand gemieden. Doch auch hier werden die Karten neu gemischt.

Suche nach Substanz
Was die gezeigten Neuheiten anlangt, gelten zwei Faktoren als verlässliche Motoren: „In vielen Teilen von Europa sind die Umsätze weiterhin eher zögerlich, während die neuen Märkte als auch der Contract-Bereich weiterhin boomen“, bringt Messechef Claudio Luti die Lage auf den Punkt. Will heißen: Die Firmen umgarnen gezielt Besucher aus Übersee und prominente Architekten fungieren weiterhin als Joker an der Contract-Front. Konkrete Beispiele: Während Cassina eine schwebende Wald-Installation von Sou Fujimoto ankündigt, präsentiert der Steinhersteller Salvatori eine Bad-Kollektion von Kengo Kuma. Ein weiterer Japaner in Mailand ist Toyo Ito, der den neuen Showroom des dänischen Stoffherstellers Kinnasand entworfen hat. Gleich ein ganzes Architekten-Bündel hat auch die Messe selbst im Angebot, die mit der Ausstellung Where Architects live in Halle 9 einen Einblick in die Privatgemächer von Zaha Hadid, David Chipperfield, Shigeru Ban oder Marcio Kogan gewährt.

Rückkehr zur Innovation?
Dass die neuen Märkte zum Zünglein an der Waage werden, muss nicht gleichbedeutend mit einem Fall von Qualität verstanden werden. „In den vergangen Jahren war das Design aus verständlichen Gründen recht vorsichtig. Aber ich denke, dass wir in diesem Jahr wieder mehr Innovation und Risiko erleben werden. Schließlich müssen wir überzeugende Argumente liefern, warum die Kunden aus Übersee italienische Möbel kaufen sollen und nicht ihre eigenen“, erklärt Trend-Spürnase Giulio Cappellini. Auch sein Unternehmen fährt doppelgleisig und kombiniert neu aufgelegte Klassiker wie einen Servierwagen von Shiro Kuramata mit neuen Entwürfen von Jasper Morrison oder Nendo – eine Strategie, die auch viele skandinavische Hersteller verfolgen.
So komplementiert Fritz Hansen einen neu aufgelegten Stuhl von Arne Jacobsen mit einem Tisch von Jaime Hayon. Carl Hansen bringt den Stuhl CH88 sowie das Sideboard CH825 von Hans Wegner neu auf den Markt und beehrt den Godfather of Chairs anlässlich seines 100-jährigen Geburtstages mit einer Ausstellung im eigenen Showroom. Auf neuen wie alten Pfaden wandelt auch Artek. Die Finnen zeigen das Ergebnis einer ersten Kooperation mit Konstantin Grcic, dessen Stuhl Rival aus Birkenholz und Aluminiumdruckguss den Möbeln Alvar Aaltos Referenz erweist und anlässlich der Solo-Schau des Münchners im Vitra Design Museum seine Mailänder Vorpremiere erlebte. Dass es manchmal nur auf die richtige Perspektive ankommt, zeigt das Schweizer Designbüro Atelier OÏ mit einer Inszenierung die neuen Tischoberflächen und Farben des USM-Haller-Systems auf der Messe. 

Alte Bekannte
Grund zum Feiern hat nicht nur der Küchen- und Badhersteller Boffi zu seinem 80-jährigen Bestehen. Auch Retro-Freunde kommen ganz auf ihre Kosten. So lädt Cassina zur 70er-Jahre-Party anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Sofa-Klassikers Maralunga von Vico Magistretti. Im Palazzo Stelline eröffnet gleich am Montag eine große Memphis-Ausstellung mit anschließender 80er-Jahre-Party, wo überbreite Schulterpolster dringend erwünscht sind. Und in einer Seitenstraße zur Galleria Vittorio Emanuele steht kaum weniger als die Wiedergeburt einer Legende auf dem Programm: die Neugestaltung des luxuriösen Orient Express. 

Kulturelle Verzweigungen 
Designaffin zeigt sich auch das weitere Rahmenprogramm des Salone. Die siebete Jahresausstellung des Triennale Design Museum steht unter der kuratorischen Leitung von Beppe Finessi, der das italienische Design nach der Krise beleuchten will (mehr dazu auf Designlines in der kommenden Woche). Auch der italienische Design-Oscar Compasso d‘Oro eröffnet eine Ausstellung im Spazio A ex Ansaldo gegenüber dem Superstudio Più mit den aktuell prämierten Produkten. Klassikerfreunde sollten dagegen der Galleria Carla Sozzani einen Besuch abstatten, wo das fotografische Werk von Charlotte Perriand beleuchtet wird. 

Mit längeren Öffnungszeiten lockt sowohl die Fondazione Vico Magistretti als auch das Museo Castiglioni, wo eine neue Ausstellung das ganzheitliche Designverständnis des Meisters in den Fokus rückt. Ganz in diese Sinne agiert Piero Lissoni, der neben seiner Arbeit als Art Director und Möbeldesigner auch die große Werkschau des Mailänder Malers Bernardo Luini (1482-1532) im Palazzo Reale gestaltet hat. „Es ist das erste Mal, dass all diese Bilder, die heute auf der ganzen Welt verstreut sind, wieder nach Mailand zurückkehren werden“, erklärt der umtriebige Gestalter. Es klingt wie eine Vorhersage für die sportlichen Wettkämpfe, die sich in den kommenden Tagen in Mailand ereignen werden.

Alle Beiträge aus unserem großen Themenspecial Salone 2014 lesen Sie hier.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Salone del Mobile

Salone del Mobile 2014

Das große Designlines Special mit Persönlichkeiten, Trends und jeder Menge neuen Produkten

www.designlines.de

Salone del Mobile 2013

Die Contract-Connection

www.designlines.de

Salone del Mobile 2012

Die Reise nach Jerusalem

www.designlines.de

Salone del Mobile 2011

Links durch die Zeit

www.designlines.de

Salone del Mobile 2010

Die Abkehr vom Konzeptdesign

www.designlines.de

Salone del Mobile 2009

Wetterfest

www.designlines.de

Salone del Mobile 2008

Das grüne Gewissen

www.designlines.de

Salone del Mobile 2007

Wesen aus einer anderen Zeit

www.designlines.de

Mehr Stories

Der Stuhl, der CO₂ speichert

Mit einer Sitzschale aus Papier setzt Arper neue Maßstäbe für nachhaltige Materialien

Mit einer Sitzschale aus Papier setzt Arper neue Maßstäbe für nachhaltige Materialien

Digitale Werkzeuge in der Innenarchitektur

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Natursteinästhetik in Keramik

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Creative Britannia

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Auf stilvoller Welle

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Spektrum der Ruhe

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Rauchzeichen aus dem Abfluss?

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Design als kulturelles Gedächtnis

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Alles Theater

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Zurück zur Kultiviertheit

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Dialog der Ikonen

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Leben im Denkmal

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Mission Nachhaltigkeit

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Zwischen Zeitenwende und Tradition

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Spiel der Gegensätze

Best-of Outdoor 2025

Best-of Outdoor 2025

Outdoor mit System

Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems

Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems

ITALIENISCHE HANDWERKSKUNST

Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten

Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten

Glas im Großformat

Das Material Vetrite von SICIS bringt Vielfalt ins Interior

Das Material Vetrite von SICIS bringt Vielfalt ins Interior

Surrealistische Vielfalt in Paris

Highlights von der Maison & Objet 2025

Highlights von der Maison & Objet 2025

Aus der Linie wird ein Kreis

Reparatur und Wiederverwertung in der Möbelindustrie

Reparatur und Wiederverwertung in der Möbelindustrie

NACHHALTIGKEIT TRIFFT DESIGN

GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025

GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025

Flora und Fauna

Neues von der Design Miami 2024 und Alcova Miami

Neues von der Design Miami 2024 und Alcova Miami

Vom Eckkonflikt zum Lieblingsraum

Geschichte und Gegenwart des Berliner Zimmers in fünf Beispielen

Geschichte und Gegenwart des Berliner Zimmers in fünf Beispielen

Möbel als Kulturgut zelebrieren

COR feiert seinen 70. Geburtstag

COR feiert seinen 70. Geburtstag

Nachhaltig Platz nehmen

Vestre produziert die Sitzbank Tellus aus fossilfreiem Stahl

Vestre produziert die Sitzbank Tellus aus fossilfreiem Stahl

Historische Moderne

Best of Interior 2024 geht an das Studio AADA

Best of Interior 2024 geht an das Studio AADA

Design nach Wunsch

Zum individuellen Türgriff mit dem Online-Konfigurator von Karcher Design

Zum individuellen Türgriff mit dem Online-Konfigurator von Karcher Design

Rendezvous mit Prouvé

Die Highlights der Design Miami Paris 2024

Die Highlights der Design Miami Paris 2024

Begehbare Kunstwerke, Teil 2

Weitere Gestalter*innen teilen ihre spannendsten Bodengeschichten mit uns

Weitere Gestalter*innen teilen ihre spannendsten Bodengeschichten mit uns

Westfälische Werte

Sitzmöbel von KFF aus Lemgo erobern die Welt

Sitzmöbel von KFF aus Lemgo erobern die Welt