Wohnen als Gesamtkunstwerk
Ettore Sottsass’ Casa Lana in der Mailänder Triennale
Alles im Kontext: Nicht nur Kunstwerke oder besondere Möbelstücke finden den Weg ins Museum. Mitunter sind es ganze Inneneinrichtungen. In der Mailänder Triennale ist nun ein Teil der Casa Lana dauerhaft zu sehen – ein Mitte der Sechzigerjahre von Ettore Sottsass eingerichtetes Apartment.
Eine Wohnung ist mitunter mehr als ein Zuhause: Ein wahres Gesamtkunstwerk hat Ettore Sottsass Mitte der Sechzigerjahre für den Mailänder Lithografen und Drucker Giovanni Lana ersonnen. Der zentrale Wohnbereich ist nun dank einer Schenkung von Barbara Radice Sottsass, der Witwe des 2007 verstorbenen Gestalters, in der Triennale dauerhaft zu sehen. Zuvor ist die gesamte Möblierung – einschließlich sämtlicher Leuchten, Wandvertäfelungen, Kunstwerke, Accessoires und Bücher – abgebaut, aufgearbeitet und dann im Obergeschoss der Mailänder Designinstitution wieder zusammengefügt worden. Die Einrichtungen von Küche, Badezimmer und Schlafzimmer sind in der Wohnung in der Via Washington verblieben. „Mailand beherbergt nun eine authentische Zeitmaschine“, sagt Stefano Boeri, Präsident der Triennale.
Holistischer Ansatz
Der räumliche Transfer zeigt nicht nur eines der wenigen im Original erhaltenen Interieurs von Ettore Sottsass. Die Inneneinrichtung der Casa Lana offenbart zugleich das für ihn so wichtige Zusammenspiel der Typologien und Disziplinen, was häufig übersehen wird. Denn zumeist wird sein Werk in zwei Teilen betrachtet: Die Arbeit für Olivetti mit dem Computer Elea 9003 (1958) oder den Schreibmaschinenklassikern Tekne (1959) und Valentine (1969) auf der einen Seite. Und natürlich die wilden Memphis-Jahre (1981-1987) auf der anderen Seite. Doch Sottsass sah Gestaltung immer als eine ganzheitliche Aufgabe. Deswegen hat er neben Möbeln und Leuchten ebenso Schmuck und Keramiken entworfen. Er hat gemalt, gezeichnet und – mit Vorliebe in der Nacht – geschrieben. Zudem hat er mehrere Bücher und Zeitschriften publiziert. In der Casa Lana kommt die Gesamtheit seines Werkes zusammen.
Multiple Raumnutzung
62 Quadratmeter misst der Wohnraum, der in präziser Nachahmung der früheren Außenwände als freistehender Quader inmitten eines größeren Ausstellungsraumes platziert wurde. Die Idee eines „Raum im Raum“ gilt aber auch für den Wohnbereich selbst. Wenn man an jener Stelle eintritt, wo sich einst die Wohnungstür befand (sie blieb in der Via Washington), findet man sich in einem Korridor wieder. Dieser umrundet eine in der Raummitte platzierte, U-förmige Mikroarchitektur aus Holz, die die rechteckigen Proportionen der Außenwände in kleinerer Skalierung übernimmt. Sie ist halb Möbel, halb Raumteiler – und nimmt eine Vielzahl an Funktionen auf, die sich in räumlicher Abfolge aneinander reihen wie Perlen auf einer Schnur. Der rote Teppichboden unterstreicht das Gefühl, eine domestizierte Schmuckschachtel zu betreten.
Fernöstliche Einflüsse
Der Eingangsbereich mutet geradezu japanisch an. Linker Hand ist eine Nische in die hölzerne Mikroarchitektur eingelassen. Ein Spiegel intensiviert die Wirkung einer schwarzweißen Keramikvase mitsamt der darin ausgebreiteten Blüten. Eine Öffnung erlaubt Blicke zum Mittelpunkt des Raumes. Ungewöhnlich ist hier die Art des Gitters: Auf vertikalen Stäben sind abwechselnd Kugeln und Würfel aus Holz übereinander gereiht, die sich durch Handberührungen drehen lassen und so eine aufgelockerte, informelle Attitüde einbringen. Sottsass verwendet dieses Detail an mehreren Stellen, um die einzelnen Zonen des Wohnraums in einen Dialog zu setzen.
Auf der rechten Seite des Eingangs ist ein Fenster zu sehen, das allerdings nicht vollflächig ausgeführt ist. 55 kompakte Milchglasscheiben werden von einem metallenen Gitter eingefasst, dessen Raster den Proportionen von Tatami-Matten nachempfunden ist. Vor dieser adaptierten „Reispapierwand“ ist eine Ablage aus weißem Carrara-Marmor zu sehen, die über runde Öffnungen verfügt. Diese stellen nicht nur eine formale Beziehung zu einer dreifarbigen, runden Keramikschale her. Durch die Öffnungen strömt die warme Luft eines unterhalb der Marmorplatte versteckten Heizkörpers nach oben.
Vom Kleiderschrank ins Homeoffice
Der Weg führt nun weiter entlang des Korridors, der die hölzerne Mittelinsel des Raumes umrundet. Die rechte Flanke dient als Kleiderschrank mit bis zur Decke reichenden Holztüren. Die Raumflucht lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Druckgrafik von Ettore Sottsass mit einer von farbigen Streifen unterteilten Pyramide. Der Korridor biegt nun nach links und steuert an einem Regal vorbei, das zur Ablage von Aktenordnern, Fachbüchern und anderen Arbeitsutensilien dient. Auf der gegenüberliegenden Seite ist eine Tür zu sehen, hinter der es in der ursprünglichen Wohnung in die Schlafräume sowie in Bad und Küche ging.
Domestizierte Piazza
Im Anschluss an das Arbeitsregal folgt der Esstisch, der von vier Bugholzstühlen (dem Thonet-Klassiker S 209 aus dem Jahr 1900) flankiert wird. Direkt daneben öffnet sich das Herzstück des gesamten Interieurs: Ein von drei Sofas eingefasster Raum zum Entspannen, Reden, Musikhören und Betrachten von Kunstwerken. Oberhalb der Sitzmöbel greifen mehrere mit Büchern gefüllte Regale ineinander, die mit bündig integrierten Leuchten aufwarten. Schallplatten und Plattenspieler verschwinden in einer hölzernen Box, die wie ein Scharnier zwei im rechten Winkel zueinander platzierte Sofas verbindet. Eine „kleine Piazza“ nannte Sottsass den Mittelpunkt des Zuhauses, wo Giovanni Lana häufig Soireen veranstaltete.
Alles verwoben
Gegenüber der Piazza zieht ein Klavier die Blicke auf sich. Auf einem flachen Holztisch ruht ein roter Fernseher (das Modell Volans 17 von Mario Bellini für Brionvega, 1968). Die holzgetäfelte Rückwand geht in ein Regal über, dessen Ablagen teils hinter farbig bemalten Fronten verborgen sind. Vor dem großen Schreibtisch steht ein Tulpen-Stuhl von Eero Saarinen. Auf dem Weg zurück zur Eingangstür der Wohnung sind Ablagen zu sehen, wo der Hausherr verschiedene Druckgrafiken einlagerte. Die Zusammenarbeit mit Ettore Sottsass endete bei Weitem nicht mit der Fertigstellung des Apartments 1967. Vom selben Jahr an bis 1970 wurde die Zeitschrift Pianeta Fresco in den Werkstätten von Giovanni Lana gedruckt: eine Publikation, die Sottsass zusammen mit der Journalistin Fernanda Pivano und dem Dichter Allen Ginsberg herausgab. Die Dinge sind eng miteinander verzahnt – im Leben wie in jenem 62-Quadratmeter-Wohnraum, der nun in der Triennale zu sehen ist.