Menschen

5.5 Designers

von Norman Kietzmann, 12.03.2010


Sie waren zu viert und doch gleich mehr. Seit 2003 arbeiten Jean-Sébastien Blanc, Claire Renard, Vincent Baranger und Anthony Lebossé gemeinsam unter dem Namen „5.5 Designers“. Für Aufmerksamkeit sorgen die jungen Designer, die Jahrgang 1980 und 1981 geboren wurden, mit ungewöhnlichen Zusammensetzungen. Sie reparieren kaputte Möbel, entwerfen Besteck, für das die Benutzer selbst die Griffe finden müssen, oder Leuchten, denen eine Verteilersteckdose als Fuß dient. Den Benutzer nicht als passiven Konsumenten zu begreifen, sondern in den Entwurf mit einzubeziehen, zieht sich als roter Faden durch ihre Arbeiten, die sie längst für etablierte Marken wie Baccarat, LaCie, Bernardaud, Coin Casa, Veuve Clicquot oder Hennessy entwickeln. Wir trafen Jean-Sébastien Blanc und Claire Renard (auf dem Foto in der Mitte) in ihrem Studio in Paris und sprachen mit ihnen über Zahlen als Namen, chirurgische Eingriffe und die Abkehr vom Stil.



Monsieur Blanc und Mademoiselle Renard, seit sechs Jahren arbeiten Sie nun unter dem Kürzel „5.5 Designers“ zusammen. Gegründet haben Sie Ihr Büro jedoch nur zu viert. Was hat es mit der Zahl mit dem Punkt auf sich?

Jean-Sébastien Blanc: Wir sind gleich am Anfang auf ein Kollektiv von fünf Personen angewachsen. Eigentlich wollten wir gar kein Studio oder eine Agentur gründen. Darum haben wir uns auch keinen Namen gegeben. Wir waren lediglich fünf Designer, die fest zusammen gearbeitet haben. Als dann eine weitere Person hinzu kam, die nur einen halben Tag da war, entstand die Zahl „5.5“. Obwohl es gar nicht geplant war, hat sie plötzlich als Name funktioniert, an den sich die Leute erinnern konnten. Vielleicht auch, weil er ein wenig wie eine neue Version von Software klingt. Das hat uns gefallen. Also ist es dabei geblieben. Wir arbeiten seitdem unter diesem Namen und treten auch nicht einzeln als Urheber unserer Projekte auf.

Wie haben Sie sich gefunden?

Claire Renard: Noch während des Studiums an der ENSAM (Ecole National Supérieure d‘Arts et Métiers) hier in Paris. Wir haben alle vorab in keinem anderen Büro gearbeitet, sondern gleich mit unserem eigenen Studio angefangen. Wir hatten gar keine Vorstellung, wie die Arbeit in einem professionellen Unternehmen eigentlich abläuft. Also mussten wir unsere eigene Arbeitsweise finden. Vielleicht kommt es daher, dass wir keinen verbindlichen Stil haben. Die meisten Designer haben eine klar erkennbare Handschrift, was für uns gar nicht möglich ist. Schließlich besitzt jeder von uns das gleiche Mitspracherecht. Wir sind daher weniger auf die Form fokussiert als den Prozess, wie sich ein Produkt auf andere Weise denken lässt. Die Form ist immer das Ergebnis dieser Konzeption. Sie steht nie am Anfang.

Das Umgehen eines eigenen Stils haben Sie mit Ihrer Leuchte StyleIV auf die Spitze getrieben, bei der Sie vier unterschiedliche Leuchten zu einer verschmolzen haben. Was war die Idee für diesen Entwurf?


JSB: Wir fanden es immer seltsam, dass das Design mit einem ganz bestimmten Stil verbunden wird. Vor allem in Kaufhäuser oder großen Möbelgeschäften wird das Angebot genau nach diesen Kriterien sortiert. Es gibt den Landhausstil auf der einen Seite, den historischen auf der anderen, dann den Discountbereich, wo es allein um den Preis geht und dann das, was unter dem Begriff „Design“ verkauft wird. Umgekehrt heißt das aber auch, dass man als Designer keine klassischen oder rustikalen Leuchten entwerfen darf. Das ist doch absurd. Darum haben wir bei dieser Leuchte vier unterschiedliche Stile kombiniert. Je nachdem, von welcher Seite man schaut, zeigt sich die Leuchte klassisch, rustikal oder modern oder einfach nur billig. Sie lässt sich nicht festlegen. Ich denke, dass Illusion durchaus eine Methode ist, die auch im Design eine Rolle spielen kann.

Wie gehen Sie bei einem neuen Projekt vor?

JSB: Wir sind ein Team. Es ist wichtig, dass wir am Anfang diskutieren und jeder einverstanden ist. Aber danach werden die Projekte von einem von uns weiterentwickelt – je nachdem, worin der einzelne seine Stärken sieht. Jeder hat eine andere Persönlichkeit, die auch bei den jeweiligen Produkten zum Ausdruck kommen soll. Es gibt in diesem Sinne keine feste Aufteilung, dass einer den Entwurf übernimmt und ein anderer die Ausführung. Auch wenn das zunächst recht chaotisch klingt, hat es sich dennoch bewährt. Die Projekte sind wirkliche Teamarbeit.

Eine Methode, die sich als roter Faden durch Ihre Arbeit zieht, ist das Reparieren und neu Zusammensetzen von bestehenden Objekten.


JSB: Ja, wir spielen gerne Ärzte für alte Möbel (lacht). Denn es ist doch absurd, dass wir heute die meisten Gegenstände eher ersetzen, als sie zu reparieren. Wurden Möbel früher von einer Generation zur nächsten weiter vererbt, werden sie heute so schnelllebig konsumiert wie Kleidung. Wir haben uns also gefragt, wie man die Dinge reparieren und ihnen dadurch zugleich einen Mehrwert verleihen kann. So entstand 2003 die Idee für „Réanim“, einer Art „Krankenhaus für Möbel“, für das wir Prothesen entwickelt haben, um kaputte Sofas, Stühle oder Schränke zu reparieren. Es ist jedoch keine Restaurierung im eigentlichen Sinne, da wir den ursprünglichen Zustand nicht wieder herstellen, sondern den Bruch bewusst aufzeigen. Ich denke, dass die Dinge dadurch zugleich komplexer werden, weil sie eine lesbare Geschichte erzählen.

Was ist im Anschluss an diese Arbeit passiert: Haben Sie die Prothesen als eigenständiges Produkt weiterentwickelt?

CR: Wir haben sie in einer kleinen Auflage von 200-300 Stück selbst hergestellt.  Doch es ist nach wie vor günstiger, einen neuen Stuhl kaufen als die Prothesen. Natürlich wäre es schön, wenn man die Prothesen auch im Baumarkt zu einem günstigen Preis kaufen könnte. Doch das würde den Kreislauf des Konsums sicher durcheinander bringen, da viele Kunden plötzlich keine neuen Dinge mehr kaufen bräuchten. Sinnvolle Produkte haben es oft schwer, einen Vertrieb zu finden.

Ihre Leuchte „lampe branchée“ besitzt anstatt eines Fußes lediglich einen Stecker. Wird dieser an eine Verteilersteckdose angeschlossen, übernimmt sie die Rolle des Fußes.

CR: Es gibt sehr viele Gegenstände im Alltag, die direkt miteinander zu tun haben. Indem wir zwei von ihnen kombinieren, können wir einen Teil der Produkte reduzieren. Schließlich sind Steckdosen in jedem Raum bereits vorhanden. Auf der Mailänder Möbelmesse im April stellen wir den Kerzenständer „Match“ vor, dessen Fuß zugleich als Box für Zündhölzer dient. Diese Art von Synthese macht Sinn, weil sie Funktionen verbindet, die ohnehin zusammengehören.

Sie sind derzeit zu acht. Können Sie sich vorstellen, noch weiter anzuwachsen und das Komma womöglich einmal aus Ihrem Namen zu entfernen?

JSB: Nein, wir haben nicht vor, eine Firma mit 50 Angestellten zu werden. Es ist zwar nicht einfach, die richtige Größe zu finden, um einerseits komplexere Projekte annehmen zu können und auf der anderen Seite nicht gezwungen zu sein, bestimmte Jobs nur anzunehmen, um ein großes Team aufrecht zu erhalten. In diesem Sinne haben wir auch nicht vor, uns weiter zu vergrößern und den Charakter als „Cabinet de recherche“ zu verlieren. Ich glaube auch, dass sich die Firmen deswegen an uns wenden. Sie bekommen nicht nur eine Zeichnung von uns zugeschickt, sondern eine Untersuchung, wie sich ein Produkt in einem ungewohnten Zusammenhang denken lässt. Das Interesse der Firmen an solchen Fragen wächst.

Können Sie das genauer erklären?

CR: Heute spielt das Design in den meisten Firmen nur eine sehr kleine Rolle. Die Designer werden oft erst zum Schluss dazu geholt, um den Dingen eine Form zu geben. Aber sie sind nicht daran beteiligt, wenn es darum geht, warum ein Produkt entwickelt werden soll oder für welchen Markt es bestimmt ist. Ich glaube, dass die Designer in Zukunft viel stärker in diese Fragen involviert werden. Denn die Konsumenten werden zunehmend mehr Informationen über ein Produkt fordern, bevor sie es kaufen. Es reicht nicht mehr, nur einen niedrigen Preis und eine bestimmte Form zu bieten. Sie müssen auch eine Ethik vertreten.

JSB: Auf der anderen Seite müssen die Firmen wieder richtige Produkte entwickeln. Im Design geht es heute oft nur darum, mit möglichst schönen Bildern zu beeindrucken. Dabei stehen hinter Produkten immer noch konkrete Bedürfnisse, die sie zu erfüllen haben. Wir haben keine Angst, Dinge zu entwerfen wie einen Schwamm, der jeden Tag benutzt wird und hochfunktionell ist. Ich finde es interessant, als Designer in diesem Umfeld zu arbeiten.

Mit Ihren USB-Sticks „Cookey“ und „Whizkey“ haben Sie bereits Produkte entwickelt, die in einer Millionenauflage hergestellt wurden. Ein Plädoyer gegen limitierte Editionen?


CR: Ja, denn wenn es im Design nur darum geht, die verrückteste Form zu finden oder allein Aufmerksamkeit zu erregen, zerstört es sich auf Dauer selbst. Das Design sollte hohe Stückzahlen nicht aus den Augen verlieren. Nicht allein aus kommerziellen Interessen. Doch wenn ein Produkt eine hohe Nachfrage erzielt, zeigt es, dass es die Bedürfnisse der Menschen erfüllt.

JSB: Wir entwickeln derzeit auch eine Reihe von Elektroprodukten für die Firma Moulinex, darunter Wasserkocher, Toaster und ähnliche Haushaltsprodukte. Das Interessante an diesem Projekt ist, dass es mit der Logik der Designwelt nichts zu tun hat. Die Produkte werden nicht auf Möbelmessen gezeigt, sondern direkt über Supermärkte und Elektrogeschäfte vertrieben. Sie werden kaum mehr als 15 Euro kosten und weit über eine Million mal produziert. Die Kunden, für die sie bestimmt sind, beschäftigen sich nicht mit dem Design. Dennoch müssen die Produkte sie überzeugen. Ich denke, wir möchten noch weiter in diese Richtung gehen.

Vielen Dank für das Gespräch.
Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail

Mehr Menschen

„Ein Schalter ist wie ein Uhrwerk“

Ein Gespräch über die Gira-Produktneuheiten mit Jörg Müller

Ein Gespräch über die Gira-Produktneuheiten mit Jörg Müller

Zwischen Euphorie und Askese

Studiobesuch bei Karhard in Berlin

Studiobesuch bei Karhard in Berlin

Wirkungsvolles Licht

Sven Bär über neue Trends bei SG Leuchten

Sven Bär über neue Trends bei SG Leuchten

Formen aus dem Feuer

Simone Lüling über die Anfänge ihres Leuchten-Labels ELOA

Simone Lüling über die Anfänge ihres Leuchten-Labels ELOA

Experimentierfreudiges Duo

Im Designlabor von Niruk

Im Designlabor von Niruk

Maßgeschneidertes Spektrum

Sebastian Deutenberg über die Manufakturleuchten von TRILUX

Sebastian Deutenberg über die Manufakturleuchten von TRILUX

Material matters

Bodo Sperlein und seine Entwürfe für den gedeckten Tisch

Bodo Sperlein und seine Entwürfe für den gedeckten Tisch

„Ich liebe es, mit Licht zu arbeiten“

Designer Michael Anastassiades im Gespräch

Designer Michael Anastassiades im Gespräch

„Veränderung ist Teil unserer DNA”

Axel Schmid über den Neustart bei Ingo Maurer

Axel Schmid über den Neustart bei Ingo Maurer

„Es gab diesen großen Hunger“

Interview mit Dimitri Saddi, Gründer der Lichtmanufaktur PSLab Lighting Design

Interview mit Dimitri Saddi, Gründer der Lichtmanufaktur PSLab Lighting Design

Humorvolle Erinnerung

Ein Gespräch mit dem jungen Designer Josua Roters

Ein Gespräch mit dem jungen Designer Josua Roters

Langlebig, aber nicht langweilig

Das Designstudio Big-Game im Gespräch

Das Designstudio Big-Game im Gespräch

Ukrainische Perspektiven #1

Ein Interview mit Kateryna Vakhrameyeva von +kouple

Ein Interview mit Kateryna Vakhrameyeva von +kouple

Leuchtende Symbolik

Nanda Vigo-Retrospektive im madd-bordeaux

Nanda Vigo-Retrospektive im madd-bordeaux

Schattenmeister

Der spanische Innenarchitekt Francesc Rifé im Gespräch

Der spanische Innenarchitekt Francesc Rifé im Gespräch

Faszination für Glas

Unterwegs mit Simone Lüling in einer tschechischen Glashütte

Unterwegs mit Simone Lüling in einer tschechischen Glashütte

Die Solardemokratin

Interview mit der niederländischen Designerin Marjan van Aubel

Interview mit der niederländischen Designerin Marjan van Aubel

Gläserne Seifenblasen

Ein Gespräch mit der Leuchtendesignerin Simone Lüling

Ein Gespräch mit der Leuchtendesignerin Simone Lüling

Material als Leitfaden

Nachruf auf die Designerin Pauline Deltour (1983-2021)

Nachruf auf die Designerin Pauline Deltour (1983-2021)

Die junge Internationale

Kuratorin Anniina Koivu über die The Lost Graduation Show auf dem Supersalone

Kuratorin Anniina Koivu über die The Lost Graduation Show auf dem Supersalone

Florale Choreografie

Gartengestalter Piet Oudolf über tanzende Felder, wilde Gräser und erweiterte Wahrnehmung

Gartengestalter Piet Oudolf über tanzende Felder, wilde Gräser und erweiterte Wahrnehmung

Wir müssen innovativ sein

Jan Karcher von Karcher Design im Gespräch

Jan Karcher von Karcher Design im Gespräch

Die Material-Profis

Interview mit Anna Tscherch und Carsten Wiewiorra

Interview mit Anna Tscherch und Carsten Wiewiorra

20 Jahre Smart Home

Ein Rückblick mit Hans-Jörg Müller von Gira

Ein Rückblick mit Hans-Jörg Müller von Gira

Die Grenzgängerin

Ein Gespräch mit der 3D-Designerin Julia Koerner

Ein Gespräch mit der 3D-Designerin Julia Koerner

Der Betonflüsterer

Omer Arbel im Gespräch

Omer Arbel im Gespräch

Hans-Jörg Müller

Der Innovationsmanager von Gira über moderate Updates und sanfte Integration

Der Innovationsmanager von Gira über moderate Updates und sanfte Integration

Komfort ist König

Der Spezialist für Schalter und Systeme über den perfekten Komfort in Hotels

Der Spezialist für Schalter und Systeme über den perfekten Komfort in Hotels

Jacques Herzog von Herzog & de Meuron

Ein Standpunkt zur Museumsarchitektur

Ein Standpunkt zur Museumsarchitektur

Holger Rullhusen

Ein Interview über die digitale Zukunf von Rutec

Ein Interview über die digitale Zukunf von Rutec