„Arbeit, Kraft und Herzblut“
Studiobesuch bei Jäll & Tofta in Berlin

Es gibt selten Entwürfe, die auf den ersten Blick gute Laune machen. Wie das Interiordesignstudio Jäll & Tofta das schafft, haben wir bei einem Blick hinter die Kulissen in Berlin-Kreuzberg erfahren.
Die mit Kopfstein gepflasterte Arndtstraße im Berliner Bergmann-Kiez ist das Zuhause von Jäll & Tofta. Das Designduo Sina Gwosdzik und Jakob Dannenfeldt, das auch privat ein Paar ist, hat hier nicht nur sein Studio. Nur wenige Häuser weiter wohnen sie auch – mit ihren zwei Kindern und jeder Menge selbst entworfener Möbel. Der Name Jäll & Tofta leitet sich von dem kleinen Ort Jälluntofta in Schweden ab, in dem Jakobs Mutter wohnt. „Wir haben damals gar nicht so viel über den Namen nachgedacht“, sagt Sina lachend. „Heute würden wir uns wahrscheinlich aber nicht mehr so nennen.“
Buntes Treiben
Die Räumlichkeiten von Jäll & Tofta sind in einem typischen Berliner Ladengeschäft in der Hausnummer 39 untergebracht. Schon von draußen kann man sehen, was innen vor sich geht und deshalb nutzen die beiden Designer das Schaufenster, wofür es ursprünglich gedacht ist: Es dient als Showroom ihrer gestalterischen Ideen und ist gleichzeitig Entree und luftiger Besprechungsraum. Hier steht ein gemütliches Togo-Sofa von Ligne Roset und ein Wandvorhang schafft behagliche Stofflichkeit, während ein innenliegendes Fenster Durchblicke in den großen Arbeitsraum herstellt. Die Besprechungen finden am selbst entworfenen, extravagant verspiegelten Gallery Table statt. „Wir arbeiten gern mit Spiegeln und dachten, es wäre cool, einen Spiegeltisch für diesen Raum zu haben", sagt Sina. Um den Tisch angeordnet ist ein buntes Sammelsurium von Designerstühlen, darunter Entwürfe von Stefan Diez und BIG-GAME.
Startschuss Kinderbett
Sina und Jakob studierten Produktdesign an der Fachhochschule in Potsdam und hatten immer den Wunsch, freiberuflich zu arbeiten. Angefangen hat alles 2010 in Berlin mit dem Entwerfen von Produkten für Kinder. Schon ihre Diplom-Abschlussarbeit an der Uni – das 4-in-1-Kinderbett Rocky, das mit dem Alter des Kindes mitwächst und auch einen Stuhl für Erwachsene umfasst – verkaufte sich gleich ziemlich gut. Dafür hatten die Designer eigens ein nachhaltiges Material entwickelt und Rocky anschließend zur Serienreife gebracht, was mit einem ziemlich hohen finanziellen Risiko verbunden war. Sie seien damals recht naiv an die Sache herangegangen, hätten das Bett auf Messen gezeigt und überhaupt nicht wirtschaftlich gedacht, erzählen sie heute.
Design, Herstellung, Vertrieb – Jäll & Tofta war für alles rund um die stetig wachsende Produktrange zuständig. „Es war eine sehr arbeitsintensive Zeit, die ich im Nachhinein aber nicht missen möchte“, sagt Jakob. Trotzdem sei es damals nicht in die richtige Richtung gegangen, erklärt Sina und ergänzt, dass sie lange brauchten, um von der Nische Kindermöbel wegzukommen. Zuerst konnten sie vom Entwerfen allein nicht leben und mussten Nebenjobs annehmen. Sina arbeitete im Postproduktionsbüro eines Freundes, Jakob in einer Architekturgalerie. „Wenn man einmal mit dem Design angefangen hat und so viel Arbeit, Kraft und Herzblut hineinsteckt, dann hört man nicht einfach damit auf“, erklärt Sina ihren Durchhaltewillen.
Das große Ganze
Heute entwickelt Jäll & Tofta fast ausschließlich maßgefertigte Möbeleinbauten – vom Einzelstück bis hin zu komplexen Raumkonzepten. Dabei gewinnen sie die meisten Kunden durch Mund-zu-Mund-Propaganda und haben glücklicherweise auch in Corona-Zeiten genug zu tun. „Dass wir im Interiordesign arbeiten, hat sich ganz langsam entwickelt – mit Projekten wie einer Küche für Freunde“, erzählt Sina. Irgendwann hätten sie sich dann zwischen dem Produkt- und dem Interiordesign entscheiden müssen, „denn beides nebeneinander wäre zu zweit zeitlich nicht möglich gewesen“. Nach wie vor arbeiten sie allein, nur manchmal ziehen sie eine freie Mitarbeiterin hinzu. Bei ihrer Arbeit reizt sie insbesondere, die Wünsche und Vorstellungen ihrer Kunden herauszufinden und zu erfüllen.
Gestalterische Essenz
„Uns macht es Spaß, für den Moment zu entwerfen und für einen speziellen Raum mit seinen besonderen Herausforderungen“, sagt Sina. Beide haben festgestellt, dass es in Deutschland längst nicht mehr so exotisch ist, sich von einem Interiordesigner bei der Einrichtung helfen zu lassen, als noch vor zehn Jahren. Und auch bei den Farben wird inzwischen mehr gewagt: „Die Leute haben sich das immer gleiche, oft beliebige skandinavische Design übergesehen“, erklärt Sina diesen Trend. Wie das Duo gestalterisch denkt, offenbart sich in ihrem Studio. Neben einer selbst entworfenen Küchenzeile mit dem berühmten Misuria-Muster von Ettore Sottsass und Superstudio auf der Arbeitsplatte und einer verspiegelten Wand gibt es auch im kleinen Badezimmer maßgefertigte Möbeleinbauten.
Hier zeigt sich, wie wichtig Farben sind, um einen gestalterischen Effekt mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln zu erzeugen: Die Wände sind in Puderrosa gestrichen, der Türrahmen in starkem Blau. Eine Sitzbank in Neonorange und Küchenregale in demselben Yves-Klein-Blau wie der Türrahmen ergänzen das Farbensemble, zu dem sich haptische Erlebnisse wie ein textiler Wandvorhang im Entree gesellen. Bunt ist das Stichwort, wenn es um die Arbeit von Jäll & Tofta geht, denn Farbe ist ein essentieller Bestandteil ihrer Entwürfe, neben dem Experimentieren mit verschiedenen Materialien. Was nicht immer so war, denn am Anfang arbeiteten sie viel mit Weiß und hellem Holz. „Der Einsatz von Farben hängt natürlich vom Kunden ab“, sagt Jakob. „Wir freuen uns immer, wenn jemand mutig ist.“
Die Designer arbeiten vor allem an Projekten im deutschsprachigen Raum und dabei immer mit lokalen Tischlereien zusammen, die ihre Möbel fertigen. „Wir legen vorher alles ganz genau fest – von den Maßen, über die Materialien bis hin zu den Farbcodes“, sagt Sina. „Da kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen.“ Manchmal kehrt Jakob zu den Anfängen des Studios zurück und stöbert bei Ebay das Kinderbett Rocky auf, wo es noch immer gute Preise erzielt. „Ich finde es schön, wenn die Dinge eine gewisse Wertigkeit haben“, sagt er. Was auch auf die Interiordesign-Entwürfe von Jäll & Tofta zutrifft.
Jäll & Tofta
www.jaellundtofta.deMehr Menschen
Berliner Avantgarde
Studiobesuch bei Vaust in Berlin-Schöneberg

Designstar des Nahen Ostens
Hausbesuch bei der libanesischen Gestalterin Nada Debs in Dubai

Cologne Connections
Junge Designer*innen sorgen für frischen Wind in Köln – Teil 2

Design als Klebstoff
Junge Gestaltende sorgen für frischen Wind in Köln – Teil 1

Hilfsaktion in Kalifornien
Das Möbellabel Kalon Studios aus L.A. spricht über seinen „Wildfire Relief Free Market“

„Alles muss wandelbar sein“
Stephanie Thatenhorst über Interiortrends 2025

Feuer gefangen
Ein Studiobesuch bei Milena Kling in Berlin-Prenzlauer Berg

Weniger ist mehr
Ein Gespräch mit dem Berliner Architekten Christopher Sitzler

Ode an die Emotion
Interview mit dem französischen Designer Benjamin Graindorge

Maximale Formbarkeit
Ein Gespräch über Architekturbeton mit Silvia und Bernhard Godelmann

Townhouse in Mitte
Zu Besuch beim Berliner Architekten Patrick Batek

Design-Statements auf der Wand
Ein Interview mit Julian Waning von Gira

Mehr Seele fürs Holz
Formafantasma und Artek im Gespräch

Dialog durch die Zeit
Der Schweizer Galerist und Restaurator Reha Okay im Gespräch

Der finnische Designmaterialist
Studiobesuch bei Antrei Hartikainen in Fiskars

Reif fürs Collectible Design
Studiobesuch bei Gisbert Pöppler in Berlin

Erhöhte Erdung
Sebastian Herkner über sein neues Sofaprogramm für Ligne Roset

„Qualität und Nachhaltigkeit gehören zusammen“
Ein Gespräch mit Johanna Ljunggren von Kinnarps

Form follows availability
Sven Urselmann über kreislauffähige Einrichtungskonzepte

Möbel, die das Leben bereichern
René Martens über den holistischen Designanspruch von Noah Living

Magie und Logik
Die italienische Designerin Monica Armani im Gespräch

„Wir haben eigentlich die Tapete neu erfunden“
Laminam-CEO Pierre Heck über die derzeit dünnste Keramikplatte der Welt

Polychromes Naturerlebnis
Aurel Aebi von atelier oï über die Arbeit mit Holz

Die Raummacherin
Interiordesignerin Maj van der Linden aus Berlin im Porträt

Sanfte Radikalität
Fabian Freytag über sein neues Buch, das Regelbrechen und die Magie Mailands

Das Gute trifft das Schöne
Interview über die Kooperation von Arper und PaperShell

Ein Designer in olympischer Höchstform
Mathieu Lehanneur im Gespräch

„Ein Schalter ist wie ein Uhrwerk“
Ein Gespräch über die Gira-Produktneuheiten mit Jörg Müller

„Alle am Bau Beteiligten haben Verantwortung“
Ein Gespräch über nachhaltiges Bauen mit Lamia Messari-Becker

Zwischen Euphorie und Askese
Studiobesuch bei Karhard in Berlin
