Davide Mastrodomenico
Ein Gespräch mit dem Leiter des noch jungen Girsberger-Servicezweigs Customized Furniture.

Mit Customized Furniture bietet Girsberger einen Service, der Kunden mit individuellen Gestaltungswünschen maßgeschneiderte Möbel liefert. Seit 2013 ist Davide Mastrodomenico für den Geschäftszweig verantwortlich und hat ihn innerhalb kurzer Zeit zu einem bedeutenden und erfolgreichen Standbein des Unternehmens gemacht. Wir sprachen mit ihm über die Entstehungsgeschichte dieser besonderen Dienstleistung, die Kompetenzbündelung unter einem Dach und den Unterschied zu anderen Girsberger-Geschäftsbereichen.
Seit wann bietet Girsberger den Service Customized Furniture an?
Das allererste Möblierungsprojekt liegt mittlerweile schon zehn Jahre zurück. Unter dem Namen Customized Furniture sind wir allerdings erst seit 2013 am Markt präsent.
Was war denn die Initialzündung zur offiziellen Gründung dieses Bereichs?
Es kamen einfach immer, immer mehr Anfragen von Kunden, die lauteten: „Wir haben da ein Produkt von Ihnen gesehen, könnten Sie dieses auch an unsere Bedürfnisse anpassen?“ Da ging es um Größen und Dimensionen, Farben und Materialien sowie zum Teil auch Designaspekte. Und irgendwann kam der Tag, an dem wir mit einem wirklich großen Auftragsvolumen konfrontiert wurden. Der Kunde fand unsere Möbel gut und war an einer hohen Qualität bei der Herstellung interessiert – allerdings hatte er seine eigenen Gestaltungsideen. Da er unserer Kompetenz vertraute und wir seine Vision spannend fanden, kam es zur Zusammenarbeit: Das war der Startschuss für Customized Furniture.
Was sind die besonderen Qualitäten Girsbergers bei kundenspezifischen Ausstattungen?
Um diese Frage korrekt zu beantworten, muss man eigentlich nur unsere Manufaktur aus der Vogelsperspektive betrachten: An diesem Ort bündeln sich zahlreiche Kompetenzen. Fachleute aus den Bereichen Industriedesign, Massivholzverarbeitung, Metallbau, Polstertechnik arbeiten alle in einem Haus. Das macht Girsberger einzigartig und ist ein wichtiges Differenzierungsmerkmal im Vergleich zu anderen Herstellern. Ein weiterer Vorteil dieser Kompetenzbündelung ist die Fertigungstiefe, die wir dadurch erreichen: Wir können so viel besser auf individuelle Kundenwünsche eingehen und sind viel weniger abhängig von externen Zulieferern. Das macht uns flexibel und die Produktion wirtschaftlich!
Die Entwicklung eines individuell gestalteten Möbels kann doch durchaus etwas länger dauern: Ist das für jeden Kunden bezahlbar?
Das kommt darauf an: Wenn ich mir ein Einzelstück anfertigen lassen möchte, ist das natürlich kostenintensiver, als wenn ich ein Objekt in hoher Auflage produziere.
Welche Kunden kommen zu Ihnen?
Primär sind das Architekten und Innenarchitekten. Aber es kommen auch mehr und mehr Corporate-Branding-Agenturen, die immer häufiger mit diesem Thema konfrontiert werden, wenn sie den Auftritt von Firmen gestalten sollen: Eine gewünschte Differenzierung kann da oft nicht mehr durch Standardmobiliar erfolgen. Und mit Customized Furniture bieten wir genau das: Möbel, die perfekt zum Firmenauftritt passen.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Gestaltern konkret aus? Inwieweit können Sie auf deren Wünsche eingehen?
Der Ausgangspunkt ist immer der Entwurf einer Möblierung durch den Architekten, oft in der Form einer Skizze. Wir sehen uns primär als Umsetzungspartner dieser Ideen. Nach den ersten Gesprächen geht es in die Prüfung der Machbarkeit und die funktionale Umsetzung des Designs. In der ersten Phase, der Projektdetaillierung, entstehen oft Modelle im Maßstab 1:10 und 1:5. Danach folgt, insbesondere bei Sitzmöbeln, ein 1:1-Prototyp, bei dem man auch Aspekte wie Komfort und Ergonomie überprüfen kann. Wenn es an die Umsetzung geht, übernehmen wir natürlich die komplette Verantwortung in Form von Planung, Konstruktionszeichnungen bis zur Produktion und schlüsselfertigen Übergabe an den Kunden. Die Entwicklung dauert erfahrungsgemäß zwischen drei und neun Monaten.
Und wer besitzt im Anschluss die Rechte an dem fertigen Produkt?
Der Kunde.
Gab es schon mal ein Produkt, das sich aus Ihrem Bereich herausentwickelt hat und nun unter dem Label Girsberger läuft?
(lacht) Ich kann die Frage vielleicht so beantworten: Meistens bleibt eine kundenspezifische Lösung einzigartig! Es gibt aber auch Ausnahmen: Wir haben schon Möbel für Architekten entwickelt, die uns als Umsetzungspartner haben wollten. Bei den fertigen Objekten werden wir dann als Hersteller genannt – aber das Produkt läuft unter dem Label des Gestalters. Und vor kurzem erst haben wir für ein Schweizer Demenzzentrum, gemeinsam mit dem Architekten und dem Pflegepersonal, einen patientengerechten Stuhl entwickelt und gefertigt, der so gut auf dem Markt ankam, dass er wahrscheinlich in das Girsberger-Sortiment aufgenommen wird. Solche positiven Nebeneffekte sind aber nicht der Grundgedanke von Customized Furniture, der eher auf Einmaligkeit abzielt.
Sind für Sie eher die großen oder eher die kleinen Projekte spannend?
Beides kann für uns interessant sein: Wichtig ist eine gewisse Mindeststückzahl, da wir ja auch unseren Betrieb auslasten müssen.
Aber entwickeln Sie mit Customized Furniture auch mal einzelne Objekte oder geringe Stückzahlen?
Vor kurzem haben wir im Auftrag einer Berliner Agentur eine Privatwohnung in Kasachstan eingerichtet: Da ging es um zehn Stühle, einen Tisch und einzelne Sofas. Aber der Durchschnitt liegt schon bei etwa 20 Einheiten oder mehr. Dann wird es auch wirtschaftlich für den Kunden. Und als anderes Extrem: Wir arbeiten gerade an einem Auftrag, bei dem es um 850 Einheiten für ein Theater geht. Dort entwickeln wir gemeinsam mit den Architekten einen Sitz, dessen Design an jenes der Originalbestuhlung angelehnt ist, der aber Optimierungen in Geometrie und Funktionalität beinhaltet. Und genau bei diesen etwas größeren Projekten, können wir unsere ganze Kompetenz und auch unsere Kapazitäten im Werk positiv einsetzen. Am Ende dauert der gesamte Prozess bei der Herstellung von 850 Einheiten nur unwesentlich länger als der bei der Produktion von nur 20 Möbeln.
Für welche Länder bieten Sie Ihren Service an?
Der Fokus liegt schon auf der Schweiz und auf Deutschland. Dort sitzen unsere Kunden.
Welche Trends sehen Sie bei den Ausbauten, die Sie betreuen?
Was ich immer mehr feststelle, ist, dass die Firmen nach Einzigartigkeit streben. Und da spielt die Möblierung eine wachsende Rolle. Es gibt natürlich auch Standardmöbel, die bis zu einem gewissen Grad markenadäquat sein können. Aber eine wirkliche Unverwechselbarkeit schafft man als Unternehmen nur mit individuellen Lösungen. Das ist auch der Hauptgrund, warum dieser Bereich wächst.
Wie ist denn die wirtschaftliche Gewichtung im Vergleich zu den anderen Geschäftsbereichen Girsbergers: Hat die sich in den ersten Jahren schon verändert?
Ja, und zwar spürbar. Wir sehen uns aber weder als Konkurrenten noch als Verbündete anderer Abteilungen: Wir müssen dem Kunden gegenüber komplett neutral bleiben. Wenn also neben einem von uns entwickelten Konferenztisch Stühle einer anderen Marke stehen, darf uns das nicht stören. Wir sehen uns als Instrument Girsbergers, aber nicht als Teil der Girsberger-Möbelwelt.
Gibt es eine besondere Projektart oder bestimmte Architekten, für die Sie gerne arbeiten würden?
Hätten Sie mich vor drei Jahren gefragt, hätte ich Ihnen sicherlich eine lange Liste diktieren können. Inzwischen – und das soll nicht arrogant klingen – können wir wirklich mit Fug und Recht behaupten, in verschiedensten Projektkonstellationen gearbeitet und an den Entwürfen einer ganzen Reihe interessanter und auch international bekannter Architekten mitentwickelt zu haben. Ich erinnere mich an jedes einzelne Vorhaben, losgelöst von Größe und Bedeutung, mit großer Freude. Und wenn diese Mischung erhalten bliebe, wäre das eine spannende Zukunftsperspektive.
Herr Mastrodomenico, wir bedanken uns für dieses Gespräch.
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