Menschen

Ferruccio Laviani

von Norman Kietzmann, 20.03.2009


Ferruccio Laviani hat Kunststoff zum Leuchten gebracht. Geboren 1960 im norditalienischen Cremona macht er 1986 seinen Abschluss in Design und Architektur am Mailänder Politecnico. Der „Memphis“-Gruppe eng verbunden sammelt er seine ersten beruflichen Erfahrungen in den Studios von Michele De Lucchi sowie Alessandro Mendini, für den er auch am Bau des Groninger Museums beteiligt ist. Bereits 1991, als er sich mit seinem eigenen Studio in Mailand selbstständig macht, beginnt er für das Unternehmen Kartell zu arbeiten und entwirft für Foscarini seine ersten Leuchten. Als er für die Gestaltung eines Messestandes von Kartell nicht die passenden Leuchten findet, beschließt er kurzerhand, diese selbst zu entwerfen – und stößt damit auf unerwartete Nachfrage. Für den Produzenten von Kunststoffmöbeln, der zu diesem Zeitpunkt noch keine Leuchten in seinem Programm hatte, der Beginn einer grundlegenden Neuausrichtung. In den folgenden Jahren gestaltet Ferruccio Laviani eine Reihe weiterer Leuchten für Kartell, die mit ihrer Kombination aus dekorativer Gestalt und der unverkennbaren Materialität von Kunststoff richtungsweisend für die gesamte Leuchtenindustrie werden. Sein Gespür für sinnliche Inszenierungen zeigt Laviani auch an anderer Stelle: So entwirft er seit 2001 die Boutiquen des Modelabels „Dolce&Gabbana“, das ihm 2008 in seinem Mailänder Hauptquartier eine eigene Ausstellung widmete. Wir trafen Ferruccio Laviani in Mailand und sprachen mit ihm über seine Faszination für Licht, die Wertigkeit von Kunststoff sowie seine Neuheiten für die Mailänder Möbelmesse 2009.


Herr Laviani, Sie haben sich vor allem auf das Design von Leuchten spezialisiert. Was fasziniert Sie am Thema Licht?


Ich weiß nicht genau. Für mich ist das wie für ein Kind, das zur Schule geht. Wer in Geographie gut ist, kann in Mathematik oder Literatur eine absolute Null sein und umgekehrt. Mir fiel es immer leichter, Leuchten zu entwerfen als andere Einrichtungsgegenstände. Zum Beispiel kann ich keine Stühle entwerfen. Die Stühle, die ich gemacht habe, sind allesamt fürchterlich. Leuchten oder Tische liegen mir dagegen viel eher. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass Achille Castiglione und Michele De Lucchi meine Vorbilder waren. Und für beide hat Licht ja immer eine wichtige Rolle gespielt. Als Michele De Lucchi seine berühmte „Tolomeo“-Leuchte entwarf, habe ich in seinem Büro gearbeitet, wo ich von 1983 bis 1991 sogar Partner war. Ich bin mir nicht sicher, ob es allein an diesen Einflüssen liegt, aber sie spielen sicher eine Rolle.

Kunststoff galt lange als Material der Zukunft. Sie haben mit Ihren Leuchten wie der „Bourgie“ dagegen auch historisierende, barocke Formen aus Kunststoff gefertigt und dem Material somit eine neue Wendung gegeben...

Vorbild für "Bourgie" war ein alter Kirchenleuchter, der in dem Haus meiner Eltern stand. Als ich diese Leuchte 2004 entwarf, ging es mir allerdings weniger um Barock. Es war die Zeit, als der Minimalismus einfach überall im Design zu finden war. Ich fand das sehr ermüdend und wollte dagegen etwas Sinnlicheres entwerfen. Es hat mir sehr viel Vergnügen bereitet, etwas so Bourgeoises wie den Leuchter meiner Eltern auf eine überaus chinesische Weise neu zu denken und ihn komplett aus Plastik zu fertigen. Ich wollte etwas, das zeitgemäß, humorvoll und einfach zugleich ist.

Das Bestimmende an dieser Leuchte ist vor allem ihre Materialität. Was verbinden Sie mit dem Material Kunststoff?


Für mich hat Kunststoff etwas Unprätentiöses und Solides. Obwohl ich schon vor 18 Jahren mit Kartell zu arbeiten begann – damals allerdings nur für die Messestände – habe ich erst spät Recherchen unternommen, was die Verarbeitung, das Finishing und die Wirkung von Kunststoff anbelangt. Vor allem in Weiß mag ich Kunststoff heute sehr gerne. Auch der erste Prototyp der „Bourgie“ war in Weiß. Aber niemand wollte sie in dieser Farbe produzieren, sondern nur in transparent und später auch in Gold und Silbern. Es hieß dann immer, sie würde sonst billig aussehen und wie einer dieser Gartenstühle aus dem Baumarkt wirken. Nachdem ich fünf Jahre lang immer wieder dafür gekämpft habe, haben sie bei Kartell nun endlich doch nachgegeben und sie in Weiß produziert. Ich denke, es ist ein zweites Leben, das die Leuchte dadurch erhält.

Würden Sie sagen, dass sich die Wahrnehmung von Kunststoff als „billiges“ Material gewandelt hat?

Definitiv. Als ich 1991 anfing zu arbeiten, kamen die ersten Produkte von Philippe Starck auf den Markt, die in Kunststoff gefertigt wurden. Das hat viel dazu beigetragen, dass die Leute wieder Kunststoff mochten. Denn zu dieser Zeit war Kunststoff für die meisten nicht mehr als ein billiges Souvenir aus den Siebziger Jahren. Ich mag die Idee, über Kunststoff heute als ein sehr wertvolles Material nachzudenken. Auch weil Kunststoffe durch den steigenden Ölpreis in den nächsten 20 Jahren deutlich teurer werden. Ich denke Kunststoff ist heute ein Material wie Glas oder Holz. Es ist gewissermaßen zeitlos. Nur die Form verrät noch die Zeit, in der ein Produkt aus Kunststoff entstand.

Sie selbst scheinen dabei auch gerne durch die Geschichte zu springen. So wirkt Ihre Leuchte „Fly“ wie eine Reminiszenz an das Design der Siebziger Jahre...

Es war die erste Leuchte, die ich 2002 für Kartell entworfen habe. Ich habe damals den Messestand für Kartell geplant und konnte einfach nicht die richtigen Leuchten finden. Der Stand war sehr poppig, mit vielen bunten Farben. Ein wenig wie ein Regenbogen. Es war sehr schwierig, dazu das richtige Licht zu finden. Also haben wir die Produktionsfirma, die für uns den Messestand gebaut hat, gebeten, eine einfache, runde Kunststoffform zu produzieren. Die Leuchte war zu diesem Zeitpunkt gar nicht als ein marktfähiges Produkt vorgesehen. Als sie dann während der Messe zu sehen war, wollten viele wissen, ob es sie auch zu kaufen gibt. Kartell fragte mich daraufhin, ob wir sie produzieren könnten und ich sagte: „Ich weiß nicht, ich habe nie darüber nachgedacht. Aber wir können es gerne versuchen.“ Nachdem der Entwurf ein Erfolg wurde, haben wir beschlossen, eine Reihe weiterer Leuchten zu entwickeln. Die Idee bei "Fly" waren also weniger die Siebziger Jahre, als vor allem Farben für den Messestand.

2008 haben Sie in den Räumen des Mailänder Metropol Theaters eine große Einzelausstellung präsentiert. Worum ging es dabei?


Die Ausstellung war eine Kombination von all den Leuchten, die ich bereits für Kartell entworfen habe und neuen Projekten, an denen ich gerade arbeite. Das Interessante daran war für mich, als eine Art „Work in Progress“ bereits diejenigen Leuchten zu zeigen, die im April 2009 auf der Mailänder Möbelmesse vorgestellt werden. Ich wollte damit meine Sichtweise erklären: Wie ein Projekt in meinem Kopf entsteht, von den ersten Prototypen bis hin zu den endgültigen Objekten. So war zusammen mit der „Bourgie“-Leuchte auch der alte Leuchter aus dem Haus meiner Eltern zu sehen. Es ging darum, die Einflüsse zu zeigen und wie wir an den Proportionen und Formen der Entwürfe arbeiten.

Was können wir 2009 von Ihnen erwarten? Mit Ihrer Leuchte „Bloom“, die auch Teil der Ausstellung war, haben Sie eine überaus floral verzierte Richtung eingeschlagen...

Ja, für viele Besucher war die Leuchte war eine wirkliche Überraschung. Für mich zeigt sie einen neuen Trend, den wir bei Kartell in Zukunft weiter verfolgen werden: Sehr feine und verspielte Formen. Es ist ein Design, das ein Stück weit auch der Mode folgt. Andere Leuchten habe ich dagegen sehr klar und einfach entworfen wie die Hängeleuchte „Neutra“. Sie erinnert ein wenig an das Design der „Guten Form“, wie es Deutschland mit den Produkten von Braun entstand. Ich denke, es ist wichtig, gleichzeitig in diese beiden Richtungen zu arbeiten. Es sind zwei gegensätzliche Pole, die aufeinandertreffen: Auf der einen Seite Leuchten, mit mit floralen Motiven übersät sind und an venezianische Lüster erinnern. Auf der anderen Seite sehr zeitgemäße, technische und klare Formen. Ich mag es, diese beiden unterschiedlichen Sichtweisen zu derselben Zeit zu betrachten.

Sie gaben vorhin zu, keine Stühle entwerfen zu können. Wagen Sie sich eines Tages vielleicht doch noch an das Thema heran?


Ich bin im Moment sehr froh, die Dinge machen zu können, die ich tue. Ich habe nicht noch dieses oder jenes Projekt in meinem Kopf, das ich unbedingt noch machen will. Ich möchte an interessanten Projekten arbeiten. Woran ich derzeit arbeite, ist für mich genug. Mir ist die Balance im privaten und beruflichen Leben sehr wichtig, denn ich möchte mein Privatleben nicht missen. Ich arbeite darum auch nicht in jede Richtung. Ich entwerfe lieber nur ein einzelnes, interessantes Produkt im Jahr, als 2000 verschiedene – nur um überall meinen Namen zu sehen. Das ist nichts für mich. Ich bin in dieser Beziehung sehr entspannt.

Vielen Dank für das Gespräch.




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Links

Studio Ferruccio Laviani

www.laviani.com

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