Menschen

Ressourcen für den Wandel

Zu Besuch bei Matterialista in Berlin

Die Baubranche gehört zu den größten Ressourcenverbrauchern und Abfallverursachern. Dass es höchste Zeit ist umzudenken, findet auch die Interior Designerin Kasia Mijas-Galloway. Mit Matterialista hat sie in Berlin ein Archiv für zirkuläre und biobasierte Materialien gegründet, das Planenden nachhaltige Alternativen präsentiert.

von Tanja Pabelick, 10.12.2025

Die Boxhagener Straße fließt zentral wie eine Ader durch den Berliner Stadtteil Friedrichshain, gesäumt von kleinen Shops, Showrooms und Studio-Büros mit Kiez-Anschluss. Die nachhaltige Materialbibliothek von Kasia Mijas-Galloway ist ein lichter Raum voller Schubladenschränke und hoher Regale. Bei Hafermilchkaffee und veganem Gebäck erzählt Kasia von den farbenfrohen Moodboards, die sie gerade auf einer Interieurmesse präsentiert hat.

Kasia, wieso hast Du Matterialista gegründet?
Ich habe Innenarchitektur studiert und mich schon früh mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Angefangen hat es mit Experimenten zu Naturfarben auf Textilien. Ich habe Stoffe wiederverwendet und mit pflanzlichen Substanzen oder Lebensmittelresten gefärbt. Dabei wurde mir bewusst, wie viele Prozesse, Abfälle und Zusatzstoffe in der Herstellung eines Textils stecken. Später, als ich Interieurs entwarf, frustrierte mich die zeitintensive Recherche nach nachhaltigen Alternativen. Es gab keinen einfachen Zugang zu umweltfreundlichen, zirkulären und qualitativ hochwertigen Materialien. Also habe ich meinen Job gekündigt und mit Matterialista ein nachhaltiges Materialarchiv und ein Interior Design Studio aufgebaut.

Welches Ziel verfolgst Du mit Matterialista?
Ich bin überzeugt, dass Innenarchitektur vollständig zirkulär und nachhaltig funktionieren kann. Was vielen Studios jedoch fehlt, ist Zeit für eine gründliche Materialrecherche. Genau hier setze ich an: Ich zeige Gestaltenden gezielt Alternativen und bereite die relevanten Informationen so auf, wie man sie im Planungsalltag benötigt. Die zentrale Frage lautet: Wie wird Nachhaltigkeit zum Standard – nicht zur Ausnahme?

Was machte es damals so schwierig, Projekte mit umweltfreundlichen Materialien umzusetzen?
Vor ein paar Jahren wurde „Nachhaltigkeit“ noch sehr allgemein betrachtet, mittlerweile ist der Themenkomplex mit Zirkularität und Kreislaufwirtschaft viel umfassender geworden. Ein großer Faktor sind die Kosten – für die Produkte selbst, aber auch für den Mehraufwand in der Projektarbeit. Junge Marken arbeiten oft in kleinen Stückzahlen, was höhere Preise bedeutet. Inzwischen nähern sich die Kosten nachhaltiger Materialien aber den herkömmlichen Lösungen an. Ein weiterer Punkt ist das Risiko: Neue Materialien sind weniger erprobt. Man kann oft nicht garantieren, ob sie in fünf oder zehn Jahren genauso funktionieren. Hier braucht es Vertrauen – und Erfahrung.

Ist es schwer, Menschen vom Wechsel zu neuen Materialien zu überzeugen?
Ein wichtiges Argument, das viele übersehen, sind die inneren Werte der Materialien. Viele Produkte, die wir im Innenraum nutzen, sind schlicht ungesund. Man muss sich nur anschauen, welche Chemikalien in Möbeln, Farben oder Lacken stecken. Gerade dort, wo wir Materialien berühren, riechen und täglich mit ihnen leben, spielt das eine enorme Rolle. Ich streiche meine Wohnung beispielsweise ausschließlich mit Lehmfarbe – sie ist atmungsaktiv und reguliert Feuchtigkeit.

Wie hat sich aus dem persönlichen Interesse eine Materialbibliothek entwickelt?
Mit der Zeit haben sich bei mir immer mehr Materialmuster angesammelt. Irgendwann wurde mir klar, dass es sinnvoll wäre, diese Recherchen auch anderen zugänglich zu machen. Doch um Greenwashing zu vermeiden, muss man sehr tief gehen: Herstellungsprozesse verstehen, kritisch nachfragen, direkt mit den Produzenten sprechen. Mir war wichtig, nicht einfach irgendetwas ins Regal zu stellen. Ein gutes Beispiel ist recycelter Kunststoff. Viele Unternehmen nutzen gar kein echtes Post-Consumer-Rezyklat, also Material aus tatsächlichem Abfall, sondern sortenreine Produktionsausschüsse. Das hat ökologisch kaum Wirkung. Ein klassischer Fall von: gut gemeint, aber schlecht umgesetzt.

Wie vermittelst Du Dein Materialwissen?
Ich gebe Workshops für Innenarchitektinnen und Innenarchitekten, Eventagenturen sowie Unternehmen, die in ihrer Arbeit Materialien einsetzen. In meiner „Materials Masterclass“ gibt es konkrete Handlungsempfehlungen, Spezifikationen und Checklisten. Besonders effektiv wird es, wenn Studios mit einem konkreten Projekt zu mir kommen – dann suchen wir gemeinsam Alternativen.

Wo findest Du die Materialien für Matterialista?
Eigentlich überall. (lacht) Anfangs vor allem durch viel Recherche und Zufälle: Ich sah irgendwo ein Material, wollte wissen, woher es kommt, und schrieb die Hersteller an. Mittlerweile kommen viele Marken direkt auf mich zu oder ich bekomme Empfehlungen.

Viele Materialinnovationen entstehen heute bei jungen Designer*innen. Warum ist das so?
Ich erlebe großes Engagement bei Studierenden. Sie hinterfragen Themen, über die man vor zehn oder fünfzehn Jahren kaum gesprochen hat. Die Bau- und Designbranche gehört zu den größten Umweltverschmutzern. Der Paradigmenwechsel muss jetzt passieren – und die junge Generation versteht diese Verantwortung sehr gut.

Welche neuen Ressourcen erschließen junge Designer*innen und Unternehmen?
Ich habe im Showroom beispielsweise eine Leuchte aus Kaffeeresten, der man absolut nicht ansieht, was sie ursprünglich war. Sie ist ein funktionales, durchdachtes und anspruchsvolles Designobjekt. Ihr Hersteller konzentriert sich auf landwirtschaftliche Reststoffe – auch Hanf oder Knoblauchschalen. Er erforscht neue Einsatzgebiete und produziert lokal. Andere Produzenten arbeiten mit Kork oder Stroh. Beeindruckend ist auch, wie verschiedene Disziplinen zusammenkommen: Landwirte, Designer und Forscher, die sonst kaum Berührungspunkte hätten.

Hat sich die Ästhetik nachhaltiger Produkte in den letzten Jahren verändert?
Absolut. Das Klischee vom „braun-grünen Öko-Look“ hält sich hartnäckig, aber es ist längst überholt. Ich zeige auf Messen und Events beispielsweise eine Installation in Pink – als Statement, dass nachhaltiges Design auch farbenfroh und ästhetisch flexibel sein kann. Diese Unsichtbarkeit der Nachhaltigkeit gefällt mir. Sie passt ins Luxusinterieur genauso wie in den ökologisch bewusst gestalteten Raum. Wenn nachhaltige Produkte in allen Stilrichtungen funktionieren, können sie eine breite Zielgruppe ansprechen.

Hast Du persönliche Material-Favoriten?
Ich bin ein großer Fan von Pilzmyzel, das strukturell sehr stabil ist und eine spannende Optik hat. Viele sind dem Material gegenüber kritisch, weil es organisch ist und fast wie Pappmaché wirkt. Das Myzel kann in Formen wachsen und sie ausfüllen, wird dann gebacken und so fixiert. Ein weiteres Lieblingsprodukt sind Platten aus Seegras. Man nutzt dabei die Übermengen an Treib-Seegras – in diesem Fall aus der Ostsee. Die Platten sind stark gepresst, sehr leicht und man kann sie für Möbel verwenden. Sie haben eine angenehm natürliche Textur – und riechen sogar ein wenig nach Meer.

Sollte Nachhaltigkeit stärker in der Fachplanung verankert werden?
Ja, es würde absolut Sinn ergeben, dass Nachhaltigkeit ebenso wie beispielsweise Lichtdesign behandelt wird, das oft externen Fachgestalterinnen und -gestaltern übertragen wird. Das Thema nimmt durchaus Fahrt auf und wird als notwendige Leistung gesehen. Außerdem wäre es gut, wenn die Innenarchitekten in einem Unternehmen mit Nachhaltigkeitswissen geschult würden. Ich wünsche mir einfach, dass Nachhaltigkeit zum Standard wird. Noch verkaufen manche nachhaltige Innenarchitektur als Zusatzprodukt – und zwar teurer, als wäre es ein Luxus-Service. Das ist aus meiner Sicht falsch und schadet dem echten Wandel.


Einige der von Kasia ausgewählten Materialien wurden bereits bei GREENTERIOR auf dem Klimafestival für die Bauwende in Berlin vorgestellt.

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Links

Showroom

Matterialista

www.matterialista.com

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