Schatzsuche im Bestand
Die Gründerinnen des Architekturunternehmens Nidus im Gespräch
Ana Vollenbroich und Annelen Schmidt-Vollenbroich von Nidus haben ein Herz für Bestandsimmobilien. Alte Gebäude werden von ihnen liebevoll saniert, neu interpretiert, rundum gestaltet und schließlich auch vermarktet. baunetz id sprach mit den beiden Gründerinnen über Frauen in der Immobilienbranche, das nachhaltige Prinzip des einfachen Bauens – und darüber, wie der eigene architektonische Entwurf eine Symbiose mit dem Bestand eingeht.
2016 wurde das Architekturunternehmen Nidus von Annelen Schmidt-Vollenbroich und Ana Vollenbroich in Düsseldorf gegründet. Das inzwischen mehrfach ausgezeichnete zehnköpfige Team agiert an der Schnittstelle von Immobilienentwicklung, Architektur und Baukulturvermittlung – was sehr ungewöhnlich ist. Bei seinen Projekten geht es Nidus darum, die DNA von Gebäuden und Orten freizulegen, ihnen neues Leben einzuhauchen und sie in nutzungsoffene und langlebige Konzepte zu verwandeln. Außerdem betreibt das agile Unternehmerinnen-Duo mit Nidus Kosmos die erste Architekturgalerie in Düsseldorf.
Annelen Schmidt-Vollenbroich, wie kommt man als studierte Architektin der renommierten ETH Zürich auf die Idee, zusätzlich ein Studium in Immobilienwirtschaft zu absolvieren? War das schon immer Ihr Plan?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Im Studium habe ich oft freie Projekte bearbeitet und hierbei auch die Aufgabenstellung selbst entwickelt. Während meiner Arbeit im klassischen Architekturbüro habe ich genau das vermisst und mich häufig gefragt, warum ein bestimmtes Konzept gewünscht ist und nicht etwas anderes. In der Entscheidung, Immobilienwirtschaft zu studieren, habe ich die Chance gesehen, zukünftig stärker in den Entwicklungsprozess von Konzepten eingebunden zu sein. Mit Nidus entwickeln wir nun unsere eigenen Konzepte und Projekte von Anfang bis Ende.
Ana Vollenbroich, ist es üblich, als Juristin Immobilienwirtschaft zu studieren? Was hat Sie dazu bewegt?
Ana Vollenbroich: Nein, wahrscheinlich ist das eher untypisch. Bei mir war die Motivation eine ähnliche: Als Juristin wird man häufig erst spät in ein Projekt eingebunden und hat wenig Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung. Gerade die Entwicklung von Konzepten, die Zusammenstellung von Teams und die Begleitung eines Projekts von Anfang bis Ende waren aber das, was mich interessiert hat.
Sie betreiben kein klassisches Architekturbüro, sondern agieren mit Nidus interdisziplinär – an der Schnittstelle von Immobilienentwicklung, Architektur und Baukulturvermittlung. Wie kam es dazu?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Seit der Gründung 2016 hat sich unser Unternehmen stetig weiterentwickelt. Das Konzept war nicht von Anfang an klar und wir haben uns auf unser Gefühl verlassen. Zunächst haben wir mit klassischer Projektentwicklung begonnen, dann schließlich unser Architekturstudio gegründet, um unsere – und teilweise auch externe – Projekte zu planen. Im letzten Sommer haben wir unsere Architekturgalerie als einen Ort für den Austausch zwischen Architektur, Baukultur und verwandten Disziplinen eröffnet. Das Konzept einer Architekturgalerie – so wie wir sie betreiben – gab es in Düsseldorf zuvor noch nicht. Wir sind der Auffassung, eine Landeshauptstadt benötigt einen solchen Ort.
Wie führen Sie diese drei sehr unterschiedlichen Bereiche zusammen?
Ana Vollenbroich: So unterschiedlich sind sie gar nicht. Die Projektentwicklung hängt immer sehr eng mit der Architektur zusammen und unsere Ausstellungen wiederum ergeben sich häufig aus den Themen, die uns in den Projekten beschäftigen. Insofern greifen die drei Bereiche ineinander und befruchten sich gegenseitig.
Gestalten Sie auch Interiors?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz und gestalten daher auch Interiors. Wenn die Architektur und das Interior ineinandergreifen, entstehen die besten Ergebnisse.
Wie fühlt es sich an, Immobilien zu vermarkten, die man selbst gestaltet hat?
Ana Vollenbroich: Auch das ist immer Teil des Entwicklungsprozesses. Mit jedem Projekt können wir Geschichten erzählen: Geschichten über das Gebäude, über seine Entstehung, über die Bauweise und noch vieles mehr. Wir empfinden es als große Bereicherung, diese Geschichten selbst erzählen zu dürfen und auch die Ästhetik der Kommunikation gestalten zu können.
Die Immobilienwirtschaft ist noch immer eine männerdominierte Branche. Wie etabliert man sich dort als Frauenteam?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Mit Durchhaltevermögen und viel Glauben an unsere Ideen, unser Team und unsere Projekte. Außerdem ist es ein großes Glück, dass wir als Duo unterwegs sind. Wir können uns gegenseitig nicht nur antreiben, sondern uns auch Selbstvertrauen geben und zusammen durch schwierigere Zeiten navigieren. Hoffentlich können wir auch andere Frauen dazu inspirieren. Die Immobilienwirtschaft steckt voller Möglichkeiten und ist häufig besser als ihr Ruf. Wir arbeiten daran!
Sie haben sich darauf spezialisiert, Bestandsbauten zu retten, zu sanieren. Nicht nur Altbau, auch schwierige Nachkriegsarchitektur gehört zu Ihrem Portfolio. Was reizt Sie an alten Gebäuden?
Ana Vollenbroich: Vermutlich ist es der Interpretationsspielraum, den ein Bestand zulässt: Wie lese ich das Gebäude, wie deute ich die Vergangenheit und wie kann neues Leben darin aussehen? Die Schönheit im nicht so Offensichtlichen zu entdecken, hat für uns eine große Anziehungskraft. Im Prinzip sind wir auf einer immerwährenden Schatzsuche.
Bestandsbauten erzählen also immer eine eigene Geschichte. Inwiefern spielt diese bei Ihren Architekturkonzepten eine Rolle?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Die Geschichte spielt immer eine Rolle. Wie weit ihr Einfluss reicht, unterscheidet sich meist dadurch, wie ergiebig die Ergebnisse der Recherche sind. Aber wir verstehen uns auch nicht als klassische Denkmalschützer, die museal rekonstruieren. Gebäude dienen seit jeher dem Menschen und seiner Tätigkeit und müssen sich neuen Gegebenheiten anpassen können. Es geht in unseren Projekten also nicht nur darum, eine Geschichte der Vergangenheit zu erzählen, sondern auch darum, die Geschichte weiter zu erzählen.
Der Immobilienerwerb ist eine riskante Sache, da große Investitionen im Spiel sind. Woran erkennen Sie das Potenzial eines Hauses, das Sie zur Sanierung erwerben?
Ana Vollenbroich: Zum einen ist die Bausubstanz wichtig. Aber ohne ein gutes Konzept an dem richtigen Ort bringt auch die beste Bausubstanz nichts. Letztlich ist es ein Zusammenspiel aus Ort, Konzept, Substanz und Wirtschaftlichkeit, das über ein Projekt entscheidet. Weitere Aspekte wie Potenziale im Bereich Ökologie und Ästhetik spielen auch in die Entscheidung hinein.
Unsere Ansprüche – beispielsweise an Wohnkomfort und Ästhetik – haben sich seit der Nachkriegszeit extrem gewandelt. Ist es immer möglich, eine zeitgemäße Architektur umzusetzen? Oder sind Ihnen durch Auflagen des Denkmalschutzes manchmal die Hände gebunden?
Ana Vollenbroich: Jedes Gebäude ist anders in seiner Struktur und auch nicht jedes – sogar erschreckend wenige Gebäude aus der Nachkriegszeit – stehen unter Denkmalschutz. Pauschal ist das nicht zu beantworten, aber der Reiz einer bestimmten Ästhetik ergibt sich ja gerade aus dem Bestand und der damit einhergehenden Einzigartigkeit. Es ist entscheidend, dass der architektonische Entwurf symbiotisch mit dem Bestand funktioniert und ihn ergänzt. Insofern gibt es schon einige Vorgaben, die vom Bestand ausgehen. Es wird keine ganz neue Geschichte erfunden, sondern weitererzählt. Manchmal sind aber gerade dies die besonders packenden Erzählungen.
Wie ist Ihre Erfahrung: Ist es nachhaltiger, Nachkriegsbauten zu sanieren – oder abzureißen und neu zu bauen?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Das kommt wahrscheinlich darauf an, aus welcher Perspektive man nachhaltiges Bauen betrachtet. Für uns spielt die graue Energie eine große Rolle und sollte bei der Abwägung zwischen Abriss und Neubau stets stark ins Gewicht fallen. Aus unserer Sicht ist der Erhalt immer der bevorzugte Ansatz. Allerdings gibt es auch gute Argumente für einen Neubau: Regionale und ressourcenschonende Materialien sowie gute energetische Werte während des Betriebs eines Gebäudes sind nur einige der Aspekte.
Die Märkte sind derzeit sehr angespannt. Immobilien und Baukosten explodieren. Baustoffe sind teilweise gar nicht erhältlich. Wie wirkt sich diese Situation auf Ihre Arbeit aus?
Ana Vollenbroich: Um zu bestehen, müssen wir auf die neuen Gegebenheiten reagieren. Das tun wir, indem wir Zeitpläne anpassen, über alternative Baustoffe nachdenken und einfache Konstruktionsweisen planen. Es gibt derzeit eine Initiative zur Integration einer neuen Gebäudeklasse in die Landesbauordnungen, die an das Prinzip des einfachen Bauens anknüpft. Wenn das gelingt, wäre das ein großer Schritt für das Bauen und die Architektur. Wir verfolgen diese Prinzipien bereits jetzt im Rahmen des rechtlich Möglichen.
Mit Nidus Kosmos haben Sie eine eigene Galerie in Düsseldorf etabliert. Wie kam es dazu?
Annelen Schmidt-Vollenbroich: Im Zusammenhang mit unserem Projekt Haus Bruno Lambart, einem Mehrfamilienhaus aus den Fünfzigerjahren, bemerkten wir eine fehlende Wertschätzung dieser Architekturepoche. Das liegt unserer Meinung nach unter anderem daran, dass Architektur und Baukultur – anders als etwa die Kunst – wenig Raum in der allgemeinen kulturellen Bildung einnehmen. Wir sagen immer: Kunst ist ein Schulfach, Architektur nicht. Mit der Galerie möchten wir einen Beitrag zur besseren Positionierung von Architektur in der Gesellschaft leisten.