Addis Abeba[r] liegt in Tirol
Mehr oder weniger schwungvoll und elegant bis vor die Tür der Skihütte gewedelt, erkennt der Österreich-Afficionado sogleich, dass er es hier nicht mit einer gewöhnlichen Skihütte à la Holzschnitz- und Kaminromantik zu tun hat. Das fängt schon an beim Namen der Skihütte, die den Besucher in großen roten Lettern an der Außenwand begrüßt: „Addis Abeba[r]“. Zwar ist Addis Abeba eigentlich die Hauptstadt Äthiopiens, hier aber handelt es sich um ein Wortspiel, das dem Besitzer Adalbert Walter, genannt Adi, im Urlaub in Südafrika in den Sinn kam. Mitten auf einer Skipiste steht nun das wunderbar luftige Bauwerk der Schweizer Architekten von Ventira vor beeindruckender Bergkulisse.
Gute Architektur in den Alpen ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Architektonisch exzeptionelle Industriebauten, Einfamilienhäuser und Bauten im Tourismusbereich sind im letzten Jahrzehnt vor allem in der Schweiz und in Österreich entstanden. Und dort insbesondere in den Bundesländern Tirol und Vorarlberg. In Tirol findet sich auch die Skihütte „Addis Abeba[r]“ und zwar oberhalb von Galtür – bekannt durch das Lawinenunglück von 1999 – auf der Skipiste zwischen Alpkogel- und Birkhahnbahn auf 1700 Meter Höhe. Hier oben kann der Besucher nicht nur seinem kulinarischen Vergnügen frönen und ausgiebig seine neuen Carving-Ski testen, sondern auch den grandiosen Ausblick auf Gorfen- und Ballunspitze sowie die Kirche von Galtür genießen.
Zielgebiet touristischer Sehnsüchte
Bauen in den Bergen unterliegt besonderen Bedingungen. Jeder Eingriff sollte gut überlegt sein. Im Unterschied zum urbanen Kontext fällt es hier nämlich viel mehr auf, wenn ein Gebäude misslungen ist, denn zu exponiert ist die freistehende Lage inmitten der Natur. Andererseits hat die moderne Architektur einen monetären Nebeneffekt, dessen Folgen nicht zu unterschätzen sind: In Untersuchungen wurde festgestellt, dass zeitgenössische Architektur neue, einkommensstarke Gästegruppen anzieht und deshalb einen wichtigen Marketingfaktor darstellt – in Zeiten der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzkrise sicherlich ein wichtiges Argument von Tourismusmanagern, das aber trotzdem hinterfragt werden sollte. Da die Alpenregion spätestens seit dem 19. Jahrhundert Zielgebiet touristischer Sehnsüchte ist, wurden in der Vergangenheit unzählige bauliche Monstrositäten begangen – man denke nur an die Hochhauskolonien in französischen Skiorten –, die im Nachhinein kaum noch zu korrigieren sind.
Ventira Architekten hingegen bauten mit der Skihütte in Galtür auf einem 1021 Quadratmeter großen Grundstück nicht nur ein ästhetisch beeindruckend gelungenes, sondern auch ein ökologisch korrektes Gebäude, was gerade im gefährdeten Ökosystem Alpen von besonderer Bedeutung ist: So wurde beispielsweise die in hoher Qualität ausgeführte Gebäudeoberfläche im Verhältnis zum umschlossenen Raum gering gehalten, um den Energiehaushalt zu optimieren. Durch die große speicherwirksame Masse werden im Winter Gewinne durch die Speicherung der Wärme gemacht, im Sommer verhindert diese Masse eine Überhitzung des Gebäudes. Errichtet wurden die Après-Ski-Bar und das Restaurant in der Rekordgeschwindigkeit von nur vier Monaten.
Monolith am Berg
Der Grundgedanke des Entwurfs war die Form eines Schneekristalls, jedenfalls nach Aussage des Architektentrios von Ventira. Allesamt sind sie erst Mitte Dreißig und spezialisiert auf den Entwurf von Wohnbauten, öffentlichen, Industrie- und Tourismusbauten. Mit der 251 Quadratmeter (Nutzfläche 450 Quadratmeter) großen Skihütte, die wie ein monolithischer Block inmitten von ursprünglicher Natur daher kommt, ist ihnen ein architektonischer Coup gelungen: Das harmonische Miteinander von moderner Architektur und erhabener Alpenkulisse, ganz ohne die Inszenierung rustikaler Nostalgie. Die vorgehängten Fensterboxen sind genau wie die Oberlichtboxen mit Kupfer verkleidet. Durch sie kann man nicht nur in die Hütte hinein, sondern vor allem hinaus blicken. Und das Schönste daran: Man kann in den Fensterboxen auf langgestreckten Holzbänken Platz nehmen und fühlt sich wie in einer Loge mit Blick auf die Berge.
Ein- und Durchblicke in Küche und Gastraum
Von Süden her erreicht man den Gastraum über die (Sonnen-)Terrasse, die mit Lärchenholz beplankt wurde und von stützenfrei verklebten Glasgeländern umfasst wird. „Addis Abeba[r]“ kombiniert gekonnt das Urbane mit dem Alpinen. Einerseits gibt es loungeartige Sitzgelegenheiten, andererseits Interior-Elemente, die durchaus mit dem Alpinen assoziiert werden, was vor allem der extensiven Verwendung von einheimischem Lärchenholz und wärmenden Filz geschuldet ist.
Insgesamt 170 Sitzplätze sind im Innenraum und auf den Terrassen vorhanden. Die im Gastraum dominierenden Materialien sind Lärchenholz, dunkle MDF-Platten und rostroter Filz, die allesamt eine warme Gemütlichkeit ausstrahlen, unterstützt durch den in erdigem Braun gehaltenen Holzofen. Diese Gemütlichkeit ist jedoch alles andere als schablonenhaft. Auch die Möbel wurden aus Lärchenholz gefertigt, die Tische sind mit Beinen aus unbehandeltem Stahl versehen. Die eigentliche Küche aus Edelstahl wirkt mit den weiß gekachelten Wänden wie ein unterkühlter Kontrapunkt zum Gastraum. Mit diesem ist sie durch eine Durchreiche verbunden. Die in den Gastraum integrierte, mit rostrotem Filz verkleidete Theke wird opak durch einen Schlitz im Gebäude hinterleuchtet, in dem sich im Winter die Schneemassen auftürmen. Betrachtet man diese durch die riesige Fensterfront, vergisst man nie, wo man sich befindet: mitten in den Bergen.
FOTOGRAFIE Albrecht Imanuel Schnabel
Albrecht Imanuel Schnabel
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