Fließende Zimmer
Die schönsten textilen Raumteiler
Textile Vorhänge sind nicht nur eine Möglichkeit, Tages- und Sonnenlicht abzuschirmen. Mit ihnen lassen sich auch funktionale Zonen in Räumen schnell und unkompliziert definieren. Sie können stimmungsvolle Atmosphären schaffen, einen Kontrast zur Inneneinrichtung bilden oder aber für ein Zusammenspiel von Farbe und Textur sorgen. Wir stellen fünf Projekte mit besonderen Textillösungen vor – und eines, das den vollen Durchblick bietet.
Dass Textilien eine weitaus größere Bedeutung in der Architektur zukommen kann, als bloßer Sichtschutz oder Accessoire zu sein, demonstrierte Lilly Reich mit ihrem Partner Ludwig Mies van der Rohe bereits im Jahr 1927. Im Rahmen der Ausstellung Die Mode der Dame erschuf sie Räumlichkeiten, die durch schwarze, goldene und rote Seiden- und Samtvorhänge – die Farben der Weimarer Republik – definiert waren. Die Besucher*innen konnten im sogenannten Samt und Seide Café auf Sitzmöbeln von Mies van der Rohe Platz nehmen. Diese Idee des nicht starren, „fließenden Raums“, dessen unterschiedliche Bereiche ineinander übergehen, stets verbunden sind und durch sanfte Rundungen der Vorhänge sowie die Weichheit der Stoffe geprägt sind, wurde seit den Zwanzigerjahren vielfach zitiert oder in einen neuen Kontext gesetzt.
Zeitgemäße Konzepte mit Textilien sind keineswegs nur in Museen und auf Messen zu finden. Wandelbarkeit und Flexibilität gewinnen immer mehr an Bedeutung. Im Wohnbereich können textile Raumtrenner die stets aufflammende Debatte über offene Grundrisse beilegen. Die veränderbaren Elemente schaffen je nach Notwendigkeit weite Räumlichkeiten oder gemütliche Rückzugsbereiche zum Schlafen, Arbeiten oder Entspannen. Zudem kann das Spiel mit Farben und transluzenten sowie opaken Materialien das Interieur stimmungsvoll ergänzen oder kontrastieren.
Garderoba Concept Store, BIRO Architecture, Zagreb
Im Modegeschäft Garderoba im kroatischen Zagreb wird auf das Prinzip des Slow Shoppings Wert gelegt. Die Suche nach dem perfekten Outfit soll in einer entspannten Atmosphäre stattfinden. Es werden Kaffee und Champagner gereicht – eine ausführliche Beratung inklusive. Die Corporate Identity ist auf Flexibilität und Spontanität ausgelegt. Passend zu diesem Konzept planten Saša Košuta, Mario Kralj und Dora Lončarić vom Büro BIRO ein Interieur, das durch drei Vorhänge definierte Umkleidekabinen implementiert und diese zu den Highlights im Store macht. Die gelben, orangefarbenen und grünen Stoffe werden von monochrom gefärbtem Metall und Sitzmöbeln begleitet. Die Umkleiden sind durch die flexiblen Vorhänge in der Größe veränderbar – je nachdem, ob man allein oder mit Freunden shoppt. Die farblichen Hingucker bilden einen Kontrast zu der sonst schlichten Inneneinrichtung. Auch die Modedesigner*innen ziehen einen Nutzen aus den beweglichen Textilelementen: Die Kollektionen können individuell im Garderoba Store inszeniert werden.
Ready-Made Home, AZAB, Bilbao
In Bilbao wählte das spanische Büro AZAB eine radikale Herangehensweise. Die Architekt*innen gestalteten ein 95 Quadratmeter großes Apartment für eine Familie und versuchten, weitestgehend auf Türen zu verzichten. Sie wollten die strengen Trennungen des ursprünglichen Grundrisses auflösen und installierten einen hellblauen Vorhang, der Küche und Bad verhüllt oder zum Wohnbereich hin öffnet. Das Material verläuft außerdem vor einer Rückwand und wird so zu einem harmonischen Hintergrund für ein offenes Regal mit gelb lackiertem Metall. Der Vorhang ist in der Wohnung ein unkonventionelles sowie kostengünstiges Mittel, das funktionale und dekorative Aufgaben übernimmt.
Sfera Beauty-Co-Working, Eduard Eremchuk, Moskau
Dass sich das Co-Working-Konzept auf diverse Branchen übertragen lässt, beweist das Projekt des jungen Architekten Eduard Eremchuk in Moskau. Bei Sfera Beauty wird frisiert, Make-up und Nageldesign aufgetragen. Die Friseur*innen und Kosmetik-Spezialist*innen können sich dafür Plätze in dem Salon anmieten, dessen Interieur in zurückhaltenden Grau- und Edelstahltönen gestaltet ist. Eine Trennung zwischen den Arbeitsbereichen wird durch transluzente Vorhänge in sanften Pastelltönen zwischen Rosarot und Blau gewährleistet. Der Stoff unterteilt die 140-Quadratmeter-Fläche in funktionale Zonen – kann aber auch als Kulisse für größere Events, Workshops und Vorträge dienen.
Lab House, Laura Ortín, Murcia
Die 60 Quadratmeter große Wohnung in Murcia war renoviert worden, doch die Bewohner fühlten sich dort nicht wohl und beauftragten die Architektin Laura Ortín mit einer Neugestaltung. Sie behielt zwar die Anordnung der vorhandenen Zimmer bei, brachte aber mit abgerundeten Wänden und Durchbrüchen eine neue Qualität in die Räume. Das Wohnzimmer gleicht einer theatralischen Inszenierung, was vor allem an den halbrunden Holzlamellen in einem hellen Taupe liegt, die die Wand bedecken. Die Verkleidung erinnert an einen Vorhang und harmoniert mit den tatsächlichen weißen Vorhängen vor der Fensterfläche.
Die Gestaltung des Schlafbereichs mit angeschlossenem Bad soll eine Reise in „zeitgenössische arabische Nächte“ darstellen. Mit blauem Mikrozement behandelte Oberflächen gehen eine angenehme Symbiose mit abgerundeten blauen Glastüren und einem transluzenten blauen Stoff ein, der die Garderobe vom restlichen Raum abgrenzt. Die Blautöne variieren in ihrer Intensität, ergänzen sich zu einer Rundung und sollen so die fließende Bewegung von Wasser in der Wohnung imitieren.
EGR Apartment, ater.architects, Kiew
In dieser Kiewer Wohnung für ein junges Paar regiert ein kräftiges Kobaltblau. Der zerklüftete Grundriss des 65 Quadratmeter großen Apartments wurde um einen zentralen Wohnbereich gruppiert. Die Farbpalette ist zurückhaltend und minimalistisch, wird aber von Einbauten aus Eichenholz, einem rosafarbenen Sofa und dem intensiven Blau der Vorhänge durchbrochen. Sie unterteilen die Wohnung deutlich in einzelne Bereiche: Das Esszimmer wird von der Sofalandschaft getrennt, der Arbeitsplatz vom Eingangsbereich und im Schlafzimmer schirmt der Stoff sowohl den Ankleideraum als auch das Tageslicht ab. Im Bad wird das Kobaltblau als Wandfarbe erneut aufgegriffen und mit schwarzen Fliesen kombiniert.
Rivaparc Apartment, Nhabe Scholae, Ho-Chi-Minh-Stadt
Der französisch-vietnamesische Architekt Anh Cuong Nguyen, der hinter dem Büro Nhabe Scholae steckt, gestaltete in Ho-Chi-Minh-Stadt eine Wohnung für einen Pflanzen- und Bücherliebhaber. Die Aufteilung des 75 Quadratmeter großen Apartments erfolgte nicht durch textile Raumtrenner, sondern durch einen transparenten Kunststoffvorhang, der sich durch den Raum schlängeln kann. Auch die Dusche wird nur durch eine solche transparente Trennung abgegrenzt. Der Auftraggeber lebt allein und möchte eins mit seiner Umgebung sein. Er forderte daher einen freien Blick auf die Einrichtung sowie seine liebsten Schätze.