Bayerische Detailfetischisten
In München wurde eine angestaubte Altbauwohnung in ein luftiges Domizil verwandelt.

Holzrausch hat in München eine angestaubte Altbauwohnung in ein luftiges Domizil für eine fünfköpfige Familie verwandelt. Das Konzept: klare Zonierungen, maßgeschneiderte Einbauten, schöne Details und ein bisschen Kunst.
Sven Petzold und Tobias Petri sind begeisterte Handwerker. Mit ihrem Unternehmen Holzrausch entwerfen und fertigen sie formal reduzierte Möbel und Einbauten, die sich durch eine ausgeprägte Liebe zum Detail auszeichnen. Im Fokus stehen ausgewogene Proportionen, haptisch interessante Materialien und eine hohe Kunst handwerklicher Verarbeitung.
Ganzheitlich
Die Schreinermeister haben das Unternehmen Holzrausch vor fast zwanzig Jahren gegründet. Inzwischen beschäftigen sie 35 Mitarbeiter – in der eigenen Schreinerei auf dem bayerischen Land und im Münchner Planungs- und Innenarchitekturbüro. Ihr Gestaltungscredo: Die Architektur muss zum Möbel passen und das Möbel zur Architektur, weshalb sie den Begriff Architekturmöbel verwenden. „Wir bauen mit unseren Möbeln Architektur. Dabei ist uns wichtig, die Einbauten nicht so sehr nach Möbeln aussehen zu lassen und sie stattdessen in den Raum miteinzubinden“, erklärt Sven Petzold das Konzept. Über das Planen und Fertigen hinaus konzentrieren sich Petzold und Petri inzwischen auf komplette Innenausbauten, denn hier können sie ihren ganzheitlichen Gestaltungsansatz am besten ausspielen. Das zeigt auch ein Projekt im Münchner Stadtteil Au.
Vater, Mutter und drei Kinder wohnen in einer umgebauten Fünfzimmer-Altbauwohnung in der Nähe des Kolumbusplatzes. Jedes Familienmitglied hatte unterschiedliche Wünsche und Ansprüche an das Wohnen. All diese unter einen Hut zu bringen, war die Aufgabe von Sven Petzold, der die Projektleitung übernahm. Ziemlich lange hatten die Bauherrn - ein Geschäftsmann und eine Schmuckdesignerin - nach einem geeigneten Objekt gesucht. Kein ganz einfaches Unterfangen auf dem engen Münchner Immobilienmarkt. Doch das Ehepaar hatte Glück und fand eine 130 Quadratmeter große Wohnung im ersten Stock eines Stilaltbaus.
Das Herzstück: die Küche
Schnell war allen Beteiligten klar: Die Wohnung sollte kernsaniert werden, wobei der „Grundriss weitestgehend erhalten bleiben und die Wohnung sinnvoll zoniert werden sollte“, wie Petzold erzählt. Praktischerweise konnte eine Wohnungshälfte beinahe unberührt bleiben: drei gleich große, nebeneinander liegende Zimmer für die Kinder sowie das Wohnzimmer mit schönen Stuckdecken und altem Fischgrätparkett. Der andere Teil der Wohnung indes wurde komplett umgestaltet. Im Fokus des Interiors: die offene Wohnküche, die durch fließende Raumübergänge zugleich als Entree, zentraler Flurbereich und Verteiler zu den Individualräumen sowie als Esszimmer fungiert. Gleich beim Eintreten gewähren sich „tiefe Einblicke in die Wohnung“, wie der 41-jährige Bauherr schmunzelnd erzählt. Mittig angeordnet ist ein massiver, auf Gehrung gearbeiteter Küchenblock aus Basaltino. Er ist mit Fronten aus geölter Räuchereiche versehen, die Grifffugen wurden aus brüniertem Messing gefertigt. Hinterfangen wird der Küchenblock von Hochschränken in matter Schleiflacklackierung. Extravagant ist auch das separat angeordnete Spülelement aus einem 300 Kilogramm schweren Stück Basaltino, der sich ästhetisch dem Küchenblock angleicht und einem Trog ähnelt – eine Arbeit des Münchner Steinmetzes Konrad Oppenrieder. Armaturen von Dornbracht und Elektrogeräte von Bora und Gaggenau ergänzen das Küchenensemble.
Die neu gestalteten Bereiche Küche, Kinderbad und Gäste-WC werden durch den Fußboden klar hervorgehoben: Sichtestrich mit einem hohen weißen Pigmentanteil, der im Alltag zwar eine Mimose ist, aber wunderbar kontrastiert mit dem dunklen Küchenblock. Auch hier zeigt sich: Holzrausch liebt das (Zusammen-)Spiel der Materialien und verwendet ausschließlich Werkstoffe, die gut altern: Eichenholz, Carrara-Marmor und Messing beispielsweise. Anhand der Stuckaturen kann man an der Decke in der Küche übrigens noch den alten Grundriss des Esszimmers ablesen. Denn trotz aller Umbauten wollte Sven Petzold eines unbedingt: den Charme des Altbaus erhalten.
Schöner baden
Charmant sind auch die beiden Badezimmer, die im komplett neu gestalteten Trakt der Wohnung liegen. Das Elternschlafzimmer ist mit einem En-Suite-Bad ausgestattet, das auf kleiner Fläche WC, Waschtisch und Badewanne aufnimmt. Wabenartige Fliesen aus Carrara-Marmor bringen Bewegung in den Raum, der ansonsten grafisch streng gehalten ist. Dazu tragen die kalkgespachtelten Wände, die weißen Sanitärobjekte und die schwarzen Vola-Armaturen ebenso bei wie die geradlinigen Einbaumöbel: ein weißer Schrank mit Inlays aus Eiche sowie ein großer Spiegelschrank, beide mit indirekter Beleuchtung. Das Duschbad der Kinder mit separiertem WC ist vom Entree aus zugänglich. Hier fallen die schönen Materialkombinationen ins Auge: der durchgängige Sichtestrich, das massive Natursteinbecken, Messingarmaturen und als Vintage-Elemente eine metallene Theaterleuchte und Kinderbank aus Holz.
Alles anders im Altbau
Nur fünf Monate hat der Umbau der Wohnung gedauert, was eine exakte Planung voraussetzte. Die Zusammenarbeit zwischen den Auftraggebern und Holzrausch war ein intensiver Prozess: Es wurden Abläufe und Funktionen geprüft, Materialien ausgesucht, Grundrisse ausprobiert, verworfen und für gut befunden. Das Bauherrnpaar, das zuvor 18 Jahre zur Miete gewohnt hatte, ließ sich seinen Traum vom Wohnen einiges kosten. Doch dafür bekamen sie auch ganz wunderbare Details: handgeschmiedete Möbel-, Tür- und Fenstergriffe des Kunstschmiedes Sebastian Hepp, Porzellanleuchten des Künstlers Nikolaus Keller und ein Barelement mit Weinlagerschrank. Die Besitzer jedenfalls sind glücklich. „Die Materialien altern mit Würde und setzen eine schöne Patina an“, schwärmt der 41-jährige Bauherr und plant schon den nächsten Gestaltungscoup: einen Balkonanbau im Kinderbadezimmer.
FOTOGRAFIE K+W Fotografie & Florian Holzherr
K+W Fotografie & Florian Holzherr
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