Bonn Provecho
Kochen für Synästhetiker: Wie ein valencianisches Designbüro den Geschmack eines Imbisses in Architektur und Farben umsetzt.
Wer Bonn Richtung Südstadt verlässt, wird die rote Markise, die bunten Möbel und die üppig bepflanzten Kräuterkästen kaum übersehen: Gerade eröffnete dort das Kessalao, ein Schnellimbiss für gesunde, mediterrane Küche. Statt Currywurst und Pommes erwartet die Gäste hier ein Angebot aus Salaten, Obst und Meeresfrüchten. Außerdem: eine ordentliche Portion Farbe und Möbel in Häppchen-Form.
Mit einer Farbpalette, so bunt wie die Gerichte auf den Tellern der Gäste, könnte man sich das Kessalao gut in Spanien, Italien oder gar in Mexiko vorstellen. In der grauen Betonlandschaft Deutschlands hingegen erscheint das kleine Lokal zunächst wie ein versehentlicher Farbklecks. Dabei haben sich die Designer und Architekten von Masquespacio aus Valencia keineswegs im Land geirrt, sondern ein ganzheitliches wie vielversprechendes Restaurant-Konzept entwickelt.
Welche Farbe hat Geschmack?
Gemeinsam mit ihrem Team gestaltete Innenarchitektin Ana Milena Hernández Palacios aus Valencia nicht nur das Interiordesign, sondern gleich den ganzen Markenauftritt – angefangen bei den Preislisten, über Werbematerialien bis hin zu Taschen und Verpackungen. Für die expressiven Motive auf Flyern und Plakaten arrangierte die Spanierin Stillleben aus Lebensmitteln, Händen und Kochgeräten und fotografierte sie vor leuchtend eingefärbten Hintergründen. Auf den ersten Blick etwas künstlich und irritierend, kommt das Essen davor jedoch besonders zur Geltung und wird zu einer ästhetischen Erfahrung. Anregungen für das Logo lieferte eine Hauptzutat der mediterranen Küche: das Olivenöl. In Form eines großen „S" erinnert das Bildzeichen an eine Flasche, aus der die Flüssigkeit zäh heraustropft.
Tomatenrot, Zitronengelb
Auch für das Interior des Restaurants ließ sich die valencianische Designerin von ihrem sonnenverwöhnten Heimatland inspirieren: So nutze sie für zahlreiche Anwendungen den in Spanien häufig verwendeten Bast: „Ich wollte damit an die traditionellen Körbe der Obst- und Gemüseernte erinnern", kommentiert sie. Im Kessalao findet sich das traditionelle Material etwa in Blumenkästen oder in Sitzauflagen wieder. Praktisch lassen sich diese dort als Aufbewahrungen für Jacken oder Handtaschen nutzen. Die Stühle sind aus Pinienholz gefertigt. Für die Verkleidung von Wänden und Boden kommt Birkenfurnier zum Einsatz. So entsteht ein Kontrast zu den knalligen Farben, welche an das Himmelblau und die reifen Früchte Spaniens erinnern. Vor allem sorgt es in Verbindung mit den großen Fenstern für eine natürliche und legere Anmutung der Räume.
¡Que aproveche!
Besondere Anforderungen stellte das gastronomische Konzept des Kessalao an die Struktur des Gästebereichs. Tagsüber Schnellimbiss, soll die 40 Quadratmeter große Fläche abends als gemütliches Restaurant dienen. So entwickelte das interdisziplinäre Team ein cleveres System aus Möbeln und Accessoires, das sich je nach Tageszeit zu verschiedenen Gruppierungen mit unterschiedlichen Funktionen umwandeln lässt. Die Basis für die modulare Konstruktion bilden rot, gelb, lila und blau lackierte Metallgitter, an denen sich mithilfe von Textilgurten und Haken etwa Menükarten, Pflanzenkästen oder Zeitschriften befestigen lassen. Je nach Bedarf können sie so einfach neu arrangiert oder ausgetauscht werden.
Flexibel statt angepasst
Sogar ein ganz handelsübliches Holzbrett wird in Kombination mit dieser Vorrichtung im Nu zu einem praktischen Tresen. Heruntergeklappt bietet dieser am Tag zahlreiche Sitzgelegenheiten, ohne viel Raum einzunehmen. Gäste, die vom Take-away Gebrauch machen, haben so ausreichend Platz und freien Zugang zum Verkaufsbereich. Hochgeklappt hingegen machen sich die improvisierten Tischchen dünn und schaffen Platz für bis zu zwei große Sitzgruppen, an denen die Gäste es sich abends (inklusive Rückenlehnen) bequem machen können.
Mit diesem modularen System reagierten die Designer von Masquespacio optimal auf die beengte Raumsituation des kompakten Restaurants und ermöglichten seine flexible Nutzung. Trotz einfacher Materialien und eines mutigen Farbkonzepts gelang ihnen – vom kleinsten Buchstaben bis hin zur räumlichen Strukturierung – ein stimmiges Gesamtkonzept. Hier isst das Auge mit. ¡Buen provecho!
FOTOGRAFIE David Rodríguez, Carlos Huecas
David Rodríguez, Carlos Huecas