Drei Etagen heiße Luft
Kupfer, Eisen, alte Balken. Eine Kaffee-Kette goes Steampunk.
Steampunk beschreibt die Zukunft einer Vergangenheit, die ihren Weg ins Präsens nicht gefunden hat: Der Strom drehte den Dampfmaschinen das Wasser ab und sorgte für kleinere, leisere und dezentere Maschinen. Freunden des literarischen Futurismus steht das nicht im Wege. Mit viel Fantasie lassen sie die Zukunft eines Jules Verne zu ihrer eigenen werden. In Kapstadt gestaltete jetzt eine Kaffee-Kette ihren Hauptstandort als Steampunk-Hommage. Eigentlich naheliegend – gehören Kaffeemaschinen doch zu den letzten zeitgenössischen Dampferzeugern.
Truth Coffee ist eine der bekanntesten Kaffee-Röstereien Kapstadts, die sich ganz der Nachhaltigkeit verschrieben hat – etwa mit einem als Kräuertopf wieder zu verwendenden Becher. Ihre ökologischen Bohnen werden auf althergebrachte Weise, wenngleich elektronisch zubereitet. Wie früher üblich nutzt Truth Coffee gusseiserne Trommeln – und nicht solche aus unlegiertem Stahl. Eigentümer David Donde ist überzeugt, dass sich darin die Hitze anders und vor allem besser verteilt. Trotz Strom wird der Kaffee also handwerklich und unter dem strengen Auge des Rösters hergestellt, vertrieben wird er an Hotels, Restaurants und Büros. Damit ist das junge Unternehmen so erfolgreich, dass es zuletzt ein neues Headquarter benötigte. David Donde mietete 1500 Quadratmeter im Innovationsdistrikt The Fringe und beauftragte das Büro des südafrikanischen Industriedesigners Haldane Martin mit der Innenarchitektur.
Bohnen mit Geschichte
„Wir wurden gebrieft die Markenidentität der Rösterei zu stärken und durch das Interieur zu stützen. Dazu fiel uns sofort das Steampunk-Konzept ein – als Referenz zu den Röst- und Kaffeemaschinen, die Elemente einer romantischen, dampfgetriebenen Technologie aufweisen.“ Die Steampunk-Ästhetik ist bekannt für ihre Liebe zum Detail, auch bei Truth Coffee ist das zu sehen. Zahnräder greifen ineinander, Kupferrohre schieben sich an der Decke entlang und an eine Fabrik erinnernde Stahlgerüste führen durch die drei Etagen des alten Lagergebäudes. Und obwohl es als Jahrhundertwendehaus eher ein Zeitzeuge der Industrialisierung ist, hat es einige Geschichten erlebt. Sie steckten als Backsteine zwischen seinen Fugen, von ihnen erzählten Eisenträger und ein hölzerner Dachstuhl. Haldane Martin musste all das nur freilegen, um es zur Bühne zu machen. Er bewahrte die natürliche Patina und zollte ihr durch Chesterfield, Leder, Stahl, Kupfer und rohe Balken Respekt. Die Inszenierung ist konsequent durchexerziert, bis hin zur Toilette mit ihren Kupferbecken und historischen Hähnen, und bis zum letzten Knopf, selbst wenn er an den Anzügen der Angestellten sitzt.
Professor Jones verrückte Maschine
Während die oberen Etagen zu Kreativstudios ausgebaut wurden, entstand auf den 600 Quadratmetern des Erdgeschosses ein Restaurant mit 120 Plätzen, ein Café, eine Bar und eine Küche. Mit 7,20 Metern steht hier der längste Tisch Kapstadts, dessen zugehörige Stühle sich mit einem Griff unter die Platte herausdrehen lassen. Gleich nebenan finden sich die Büro-Bausteine des Headquarters: der drei Tonnen schwere Röster, eine Schule für die Barista, das Kaffee-Lager und ein Besprechungsraum. Die alte Röstmaschine ist das Herzstück des Shops – schon allein durch ihre Größe. Sie ist zentral im Raum positioniert und von einer kreisförmigen Regalstruktur aus Stahl eingefasst, die an viktorianische Gaswerke erinnert.
Nicht nur die Möbel, die alle aus der Feder von Haldane Martin stammen, wurden speziell für die Rösterei entworfen. Auch einige Maschinen sind Spezialanfertigungen, entworfen von Chris Jones, einem Steampunk-Spezialisten, der auch unter Professor Jones firmiert. Er hat eine Dosier-Apparatur für die Bohnen entworfen. Genau 250 Gramm gibt sie in eine Tüte aus, rein mechanisch. Dreht der Barista an einem Rad, läuft die Maschine an, Metall schwingt, Getriebe drehen sich. Es ist die perfekte Illusion, auf einem Spielplatz für Fantasy-Enthusiasten. Theatralisch, ja; und auch eine Disneyfizierung. Aber eine, die sich für die Länge eines Kaffees sehr wohl als Ausflug in eine alternative Realität genießen lässt.
FOTOGRAFIE Micky Hoyle
Micky Hoyle
Truth Coffee
www.truthcoffee.comMehr Projekte
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