Elektrisierende Kiste
Autarkes Ferienhaus von Leopold Banchini in Australien

Wohnen ohne Netz: Das „Marramarra Shack“ im australischen New South Wales ist weder an eine Straße noch an das Stromnetz angeschlossen. Der Architekt Leopold Banchini schuf einen hölzernen Schaukasten mit nautischen Einflüssen – fokussiert allein auf die Natur.
Erholung gelingt am besten dort, wo keiner stört. Eine gelungene Auszeit ist im Marramarra Shack daher vorprogrammiert. Das vom Schweizer Architekten Leopold Banchini geplante Feriendomizil entstand direkt am Ufer eines Baches, umgeben von unberührter Natur. Die im frühen 18. Jahrhundert von Siedler*innen gegründete Gemeinde Marramarra Creek liegt ein paar Kilometer entfernt. Sie trägt den Namen des Baches, der am Haus vorbeifließt. Bis heute führt keine Straße dorthin. Man erreicht das Haus ausschließlich per Boot über den Bach – und zwar nur, wenn dieser genügend Wasser führt.
Strom ohne Leitung
Nicht nur die fehlende Straße sorgt für eine wohltuende Erholung vom Zivilisationsstress. Bis heute wurde keine Stromleitung gelegt. Der Gebrauch von elektronischen Geräten ist dennoch möglich, wenngleich nur in sparsamer Dosierung. Solarenergie und Wasser werden auf dem Dach gesammelt und vor Ort gespeichert, sodass das Haus autark ist. Erbaut wurde das Marramarra Shack aus 200 Jahre alten Holzpfählen, die einst von den britischen Siedler*innen als Strommasten verwendet wurden. Das lokale Eisenrindenholz (Eucalyptus crebra) wurde später sukzessive durch Stahlkonstruktionen ersetzt. Nun erfüllen einige der alten Stämme eine neue Aufgabe als Tragstruktur des Hauses. Zuvor wurden sie von Rund- auf Vierkanthölzer zurückgestutzt, um die rötliche Textur des Naturmaterials offenzulegen.
Wohnlicher Schaukasten
Für die Deckenbalken, Wandverkleidungen und Dielen kommt geflecktes Gummibaumholz (Corymbia maculata) zum Einsatz, das über eine charaktervolle Maserung verfügt und ebenso in der Region Darug wächst. Diese ist benannt nach den Ureinwohner*innen, die im Delta des Flusses Dyirabun (Hawkesbury River) leben, in den auch der Marramarra Creek mündet. Die Gebäudehülle ist an drei Seiten geschlossen und mit dünnen, feuerfesten Faserzementplatten verkleidet. Ihre matte, hellgraue Oberfläche unterscheidet sich deutlich von der warmen Farbgebung der Hölzer im Inneren.
Ganz anders stellt sich die zum Bach ausgerichtete Fassade dar: Der Innenraum gleicht einem Schaukasten mit großer Glasfront, die mit Boden, Seitenwänden und Decke abschließt. „Das Fenster ist in zwei Hälften geteilt und kann mithilfe von Gegengewichten hochgezogen werden, sodass die Landschaft in den ruhigen, holzverkleideten Innenraum eindringen kann“, erklärt Leopold Banchini, der sein Büro 2017 in Genf gegründet hat. Die Natur ist nicht nur eine ständige Begleiterin in diesem Gebäude. Sie wird wie auf einer Bühne in Szene gesetzt.
Interieur als Treppe
Assoziationen zur Theaterwelt weckt auch der innere Aufbau des 68 Quadratmeter großen Gebäudes. Der Bau folgt dem Hanggrundstück mit einer treppenartigen Konstruktion, die sich auf acht hohe Stufen verteilt. Diese sind punktuell durch Stahlfundamente im Gestein verankert, um den ursprünglichen Zustand des Geländes zu erhalten. Das Wohnzimmer liegt auf der untersten Stufe direkt vor der großen Glasfront. Hier sind ein Teppich sowie eine Feuerstelle platziert. Ein schwarzer Stahltrichter führt den Rauch hinauf bis unter die hohe Decke. Auf der zweiten Stufe steht ein großer, puristischer Esstisch, der hangseitig von einer filigranen Bank und gegenüber von massiven Hockern flankiert wird. Auf der darüber liegenden Ebene ist ein Küchenbereich angeordnet. Dieser ist ebenso wie die gesamte Möblierung des Raums aus wiederverwendetem Terpentinholz (Syncarpia glomulifera) gearbeitet. Es stammt von einem alten Steg, den britische Siedler*innen einst am Bachufer errichtet hatten.
Nautische Bezüge
An der Rückseite des Wohnraums schließen sich auf der nächsten Ebene Badezimmer und WC an. Der Zugang erfolgt über zwei separate Treppen, die jeweils an den Längsseiten des Hauses verlaufen. Leopold Banchini setzt hier auf eine symmetrische Raumerschließung, wie sie an Bord von Yachten und größeren Passagierschiffen üblich ist. Ohne rustikales Seemannsgarn zu spinnen, wird so ein nautisches Motiv galant in einen Wohnbau in prägnanter Wasserlage übertragen. Die beiden Schlafzimmer – oder sollte man besser „Kojen“ sagen – bespielen zwei weitere Höhenstufen: die untere für den Zugang, die obere für die Matratzen. Belichtet werden die Schlafbereiche über einen kleinen, begrünten Innenhof, der auf der nächsthöheren Ebene liegt.
Durchlässige Wände
Den höchsten Punkt des Hauses bildet schließlich die Dachterrasse, die allerdings nur von der linksseitigen Treppe erschlossen wird. Die Wipfel mächtiger Bäume ragen über diesen Außenbereich hinweg, während filigrane Seile dafür sorgen, dass niemand unversehens über Bord geht. Ein spannendes Detail bilden die Sichtverbindungen im Gebäude. Bad und WC sind nicht durch eine starre Wand von der Küche getrennt. Stattdessen sind hohe Paneele aus geflecktem Gummibaumholz als Sichtschutz montiert und lassen sich im 90-Grad-Winkel wie Fensterläden aufklappen. Von den Betten kann so der Blick durch die Sanitärbereiche und das Wohnzimmer bis hinaus aufs Wasser gleiten. Der Bach – Sehnsuchtsmotiv und einzige Verbindung zurück zur Zivilisation – wird nie aus den Augen verloren.
FOTOGRAFIE Rory Gardiner Rory Gardiner
Projekt | Marramarra Shack |
Typologie | Ferienhaus |
Ort | Marramarra Creek, New South Wales, Australien |
Architekt | Leopold Banchini Architects |
Größe | 68 Quadratmeter |
Materialien | Eisenrindenholz (Eucalyptus crebra), Geflecktes Gummibaumholz (Corymbia maculata), Terpentinholz (Syncarpia glomulifera), Faserzementplatten |
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