Ferienhaus in der Wildnis
Solo House von OFFICE KGDVS in Aragonien
Partner: Thonet
Den Anfang für die Serie der Solo Houses hatte Pezo von Ellrichshausen vor vier Jahren mit seiner Wohnskulptur aus Beton gemacht – der zweite Streich für ein Ferienhaus inmitten der katalanischen Wildnis in Matarraña (Aragonien) kommt von den belgischen Architekten Kersten Geers David Van Severen. Im Fokus ihres kreisrunden Gebäudes steht die Durchdringung von Natur und Architektur und: die unbedingt bedingte Auflösung der Form.
Was passiert, wenn Architektur nicht alltagstauglich sein muss? Wenn sie weder Vor- noch Aufgaben hat und weder Bauherren noch Nachbarn kennt, sondern allein von ein paar einsamen Olivenbäumen und wilden Wiesen umgeben ist? So eine Carte blanche klingt für viele Planer nicht unbedingt so reizvoll, wie man annehmen könnte: Sie schürt auch Ängste. Ein paar Eckdaten können schließlich hilfreich sein, um nicht ins Schwimmen zu geraten. Alles andere ist Kunst.
Case Study in der spanischen Toskana
Cretas, zwei Stunden südwestlich von Barcelona. Als der französische Immobilienentwickler Christian Bourdais 2010 inmitten der wundervollen Landschaft des Parks Ports de Tortosa-Beseit in Matarraña – eine Gegend, die man aus guten Gründen auch als das spanische Pendant zur Toskana bezeichnet – die ersten Pläne für sein Solo Project fasste, hatte er vor allem die amerikanischen Case Study Houses vor Augen. Nur sollte sein Wohnexperiment einen Schritt weiter gehen. Es sind zehn bewohnbare Skulpturen, die für sich alleine stehen, aber erst in der Summe zu etwas Größerem zusammenwachsen. Die Casa Solo Pezo von dem chilenischen Studio Pezo von Ellrichshausen Architects bildete als erste Fertigstellung 2013 den Auftakt der Solo Houses. Solo Houses gibt es nur im Plural, die Reihe will die erste Architektursammlung in Europa sein.
Haus ohne vorne und hinten
Für die belgischen Architekten Kersten Geers und David Van Severen war die Umgebung dieser spanischen Toskana so beeindruckend, dass sie ein schlichtweg unsichtbares Gebäude entwerfen wollten – ein Haus, das in der Landschaft verschwindet. Gebaut wurde ihr Solo in Spanien auf einem natürlichen Plateau, das einen Blick bis aufs Meer erlaubt. Die Landschaft war es schließlich, die die Form definierte. Allein durch den kreisförmigen Grundriss ergibt sich ein 360-Grad-Panoramablick. OFFICE KGDVS haben ein demokratisches Haus entworfen, das weder vorne noch hinten hat: Alle Seiten, alle Fassaden sind gleich.
Symbol für Vollkommenheit
Der Kreis gilt als Symbol für Einheit oder Ewigkeit, für das Absolute, das Göttliche. Schon Platon beschreibt als erste Lebensform auf Erden ein Kugelwesen „vom Mittelpunkte aus nach allen Endpunkten gleich weit abstehende kreisförmige Gestalt, die vollkommenste Form“. David Van Severen und Kersten Geers haben sich für ihre Architektur aber möglicherweise weniger von Platon, sondern eher von einem Kreisel oder einem Hula-Hoop-Reifen inspirieren lassen. Das betonierte Fundament bezeichnen die Architekten selbst als eine Art „kreisrunden Catwalk“. Das Zentrum des 550 Quadratmeter großen Hauses bildet ein geschützter Innenhof mit Pool.
Keine klassische Geometrie ohne ein wenig Kurvendiskussion
Vier gleich lange Sehnen mit gleicher Steigung teilen die zwei Kreise verschiedenen Durchmessers mit identischem Mittelpunkt: So lautet die mathematische Beschreibung der Grundrissformen. Was kompliziert klingen mag, sieht simpel aus, und so gliedern die Architekten den Kreis auf einfache Weise in vier Gebäudesequenzen, zwischen denen sich weitere Räume zur Landschaft öffnen. Jede der abgeschlossenen vier Sequenzen misst 60 Quadratmeter, wobei die vier Sehnen des Kreises jeweils eine Reihe mit neun Stahlsäulen markieren. Würde man alle Sehnen verlängern und sich kreuzen lassen, ergäbe sich ein Quadrat, das den Kreis schneidet und in vier Bögen teilt: Ein Bogensegment für das Wohnhaus, ein Segment für den Schlafbereich, das dritte für das Gästehaus und ein letztes für das Poolhaus. Damit genug Mathematik.
Familienkreise
Entscheidendes Element für diese minimale Architektur ist das Dach. Während die Glasfassade wie ein leichter Vorhang in den oben beschriebenen Sequenzen das Gebäude umrundet und ab und zu von Elementen aus Polycarbonat oder Aluminiumblechen unterbrochen wird, nimmt das Flachdach neben seiner schützenden Funktionen die gesamte technische Infrastruktur auf. Photovoltaik, Wassertanks und Generatoren gruppieren sich auf der Dachkonstruktion, die einen Durchmesser von 40 Metern hat. Gestaltet wurden diese Dachobjekte von dem Maler Pieter Vermeersch. Auch sonst überzeugt die Kooperation der Architekten mit anderen Disziplinen: Die Stuhl-Leuchte Solo Stools stammt von dem Künstler Richard Venlet, die Chaise Longue-Kollektion Wire S hat das belgische Designbüro Muller Van Severen extra für das kreisrunde Ferienhaus entworfen. Hier schließt sich übrigens ein anderer Kreis: Fien Muller und Hannes Van Severen sind nicht nur beruflich, sondern auch privat ein Paar – wobei Hannes Van Severen der Sohn des 2005 verstorbenen Designers Maarten Van Severen und Bruder von David Van Severen ist.
Gebauter Hedonismus
Sou Fujimoto, Didier Faustino, Anne Holtrop, Bijoy Jain vom Studio Mumbai, MOS, Smilan Radic, Kuehn Malvezzi, Tatiana Bilbao, Barozzi Veiga und Christ & Gantenbein heißen die nächsten Architekten, die ihre experimentellen Urlaubsarchitekturen in der spanischen Toskana zwischen Barcelona, Valencia und Saragossa verwirklichen dürfen. Für die Auswahl der zwölf Architekten für sein Solo-Projekt wählte Christian Bourdais den Begriff einer internationalen „New Garde“, was irgendwie ein neopostmodernes Kompositum aus Newcomer und Avantgarde zu sein scheint. Tatsächlich klingt die Runde vielversprechend, wirkt es zudem als Erleichterung, dass übergroße Namen wie John Pawson oder Peter Zumthor fehlen, die zum Beispiel neben MVRDV oder FAT Architecture Ferienhäuser für Alain de Bottons und Marc Robinsons Plattform Living Architecture entworfen haben. Bourdais beweist in mehreren Fällen einen guten Riecher: Sou Fujimoto (2013) und Smilan Radic (2014) wurden nach ihrem Entwurf für die Solo Houses jeweils mit der Gestaltung des Londoner Serpentine Pavilion beauftragt und Fabrizio Barozzi und Alberto Veiga bekamen 2015 mit dem Mies van der Rohe Award den Ehrenpreis, der fast so bedeutend wie der Pritzker-Preis ist.
Symmetrie in der Wildnis
Ob sich aber alle Solo Houses so einfach und schnell realisieren lassen werden wie die ersten beiden, bleibt abzuwarten. Im Fall von OFFICE KGDVS ist das Ergebnis ein Haus, das alle Konventionen hinterfragt – das nichts muss und alles kann. Vorausgegangen war die Studie Solo Office, die Kersten Geers und David Van Severen Ende letzten Sommers auf der Biennale Interieur in Kortrijk präsentiert haben. Interessanterweise spielen ein Großteil der Solo Houses in der Wildnis mit Symmetrie und Strenge – fast so, als wären es die ersten und letzten Häuser der Welt.
FOTOGRAFIE Bas Princen, Office KGDVS, Solo Houses
Bas Princen, Office KGDVS, Solo Houses