Haus zum guten Leben
Wie eine Mischung aus Werkstatt und Bühne wirkt dieser Holzbau, wo Fische, Obst und Gemüse als stimmungsvolle Requisiten dienen.
Im japanischen Taiki-Cho realisierte ein Team von sechs Studenten des UC Berkeley College of Environmental Design einen Erlebnisraum für die Sinne. Wie eine Mischung aus Werkstatt und Bühne wirkt der kubische Holzbau, in dem Fische, Obst und Gemüse als stimmungsvolle Requisiten dienen.
Der Sprung in die Praxis ist der kniffligste Moment für jeden frisch ausgebildeten Architekten. Um dem Nachwuchs auf die Sprünge zu helfen, richtet die japanische Lixil-JS-Stiftung einen jährlichen Architekturpreis für Hochschulabsolventen aus. Den Gewinnern winkt mehr als nur ein symbolisches Preisgeld und eine Urkunde. Das eingereichte Projekt wird im nordjapanischen Taiki-Cho tatsächlich gebaut.
Orientalisch-okzidentalische Mixtur
Den jüngsten Neuzugang im Architekturpark der Stiftung markiert das Gebäude Nest We Grow, mit dem die Studenten Hsiu-Wi Chang, Fanzheng Dong, Yan Xin Huang, Baxter Smith, Hsin-Yu Chen und Max Edwards vom UC Berkeley College of Environmental Design den vierten Wettbewerb für sich entscheiden konnten. Unterstützung haben sie in der Anfangsphase von Kengo Kuma erhalten, der einen kritischen Blick auf die Skizzen warf und an der orientalisch-okzidentalischen Mixtur des Entwurfs wahrscheinlich nicht ganz unschuldig sein dürfte.
Sinnlicher Erlebnisraum
Nest We Grow ist ein Erlebnisraum für die Sinne. Anders als die Siegerprojekte der drei vorherigen Wettbewerbe ist das Gebäude nicht nur für die Öffentlichkeit zugänglich. Es wurde sogar explizit für sie gebaut. Als kulinarisch-sozialer Treffpunkt soll es in der Präfektur Hokkaidō eine besondere Rolle einnehmen: Denn Anwohner und Besucher können hier gemeinsam Speisen aufbewahren, zubereiten und essen. Wie eine Bühne der Gaumenfreuden öffnet sich das kubische Gebäude zur umliegenden Natur – und bildet dennoch einen schützenden Kokon.
Tief sitzende Mütze
Der Kubus besteht aus einer lichten, hölzernen Raumstruktur, die von einer Haut aus weißen, transluzenten Polycarbonat-Paneelen überspannt wird. Die Fassade reicht nicht exakt vom Dach bis zum Boden herab. Sie lässt stattdessen einen Spalt über dem Sockelgeschoss frei, als würde das Gebäude eine tief ins Gesicht gezogene Mütze tragen. Die Öffnung erfüllt eine doppelte Funktion: Sie lässt Frischluft zirkulieren und dient zugleich der Erschließung. Der Zugang zum Gebäude erfolgt über zwei Treppen, die sich an den Außenmauern des Sockelgeschosses versetzt zueinander in die Höhe winden. Im Inneren des Sockels sind die Küche, ein langer Esstisch sowie mehrere Wassertanks untergebracht. Das Besondere dabei: Der Boden des Erdgeschosses verschmilzt nicht nur höhenmäßig mit der umliegenden Landschaft, sondern ebenso in seiner archaisch-natürlichen Materialität: Erde.
Hölzerne Komposition
Das Innere des „Nests“ gleicht einem dreidimensionalen Gitter, das die Raumkoordinaten optisch greifbar macht. Der zentrale Raum füllt mit Ausnahme des Sockelgeschosses das gesamte Volumen des Gebäudes aus. Wie bei traditionellen japanischen Häusern wird die vollständige Last über Stützen getragen, sodass die Wände von einer tragenden Funktion befreit sind. Die Architekten haben kalifornische und japanische Holzbautechniken miteinander verbunden. Während in den USA oft großformatige Segmente verarbeitet werden, setzen Japaner auf das Prinzip der Komposition von mehreren kleineren Stücken. Die mächtigen Pfeiler und Querbalken des Nest We Grow erwirken einen Mittelweg aus beiden Schulen.
Raumgreifendes Werkzeug
Die horizontalen und vertikalen Verstrebungen dienen als ein raumgreifendes Werkzeug. Werden die unteren Ebenen zum Aufhängen und Trocken von Lachs, Kabeljau, Rettich und Karotten verwendet, stehen in den höheren Ebenen zusätzliche Pflanzschalen und hölzerne Bottiche zum Anbau von Gewürzen und Gemüsesorten zur Verfügung. Großformatige Fenster öffnen Sichtachsen nach draußen und erzeugen einen atmosphärischen Kontrapunkt zum gedämpften, indirekten Licht, das durch die transluzenten Kunststoffpaneele ins Innere hineinfällt.
Raum im Raum
Das Herzstück des Gebäudes bildet eine hölzerne Plattform, die über dem Boden des zentralen Raumes hinweg schwebt. Eine eingelassene Feuerstelle verrät zugleich die Bestimmung als Schauplatz der Teezeremonie. Gesessen wird auf schmalen Baumscheiben, während die Außenkanten der Plattform durch hölzerne Pflanzschalen flankiert werden. Es ist ein Raum im Raum, der dennoch mit der Gesamtheit des Gebäudes verbunden ist. Feuer, Erde, Licht und Wind vermischen sich mit den Düften des Holzes und all jener Ingredienzen, die in dieser Mischung aus Bühne und Werkstatt verstaut wurden. Ein wirkungsvoller Auftakt für eine bevorstehende Architektur-Karriere.
FOTOGRAFIE Shinkenchiku-sha
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