Imagination der Wirklichkeit
Verwandlung eines Ritterguts von Schoper.Schoper Architekten im Elbsandsteingebirge

Schichten von Geschichte: Schoper.Schoper Architekten haben einem Juwel zu neuem Glanz verholfen: dem barock überbauten Rittergut Prossen in Bad Schandau, das nach Jahren der Verwahrlosung in eine prächtige Ferienresidenz verwandelt wurde.
In der Sächsischen Schweiz gehört Romantik mit dazu. Schroffe Gesteinsformationen erheben sich links und rechts der Elbe, die allerdings weniger an das Land der Schokolade und des Käse erinnern als an eine von dichtem Wald überwucherte Miniaturausgabe der Rocky Mountains. Auf einem 240 Meter hohen Tafelberg thront die berühmte Festung Königstein, die niemals eingenommen wurde. In ihrer Sichtweite liegt das Rittergut Prossen am Elbufer in Bad Schandau. Der einst dem Verleger Friedrich Brockhaus gehörende Bau wurde nun in eine Ferienresidenz mit drei Suiten und acht Wohnungen transformiert.
Schlummernde Schätze
2013 sind Henrike und Tom Schoper von den Bauherren angesprochen worden. Das Architektenpaar hat sein Büro zur Jahrtausendwende in Berlin gegründet und vier Jahre später nach Dresden verlegt. „Schon der Begriff des Ritterguts reizte uns an dieser Aufgabe – auch wenn das Objekt selbst in unseren Augen weniger als erwartet dem geistigen Bild eines Ritterguts glich: Es lockte nicht mit Wehrturm und Zinnen, sondern zeigte sich vielmehr als ein barock überformter Gebäuderiegel mit Ursprüngen aus dem frühen 16. Jahrhundert“, erklärt Tom Schoper.
Die Schönheit und Kraft der Innenräume ging im Laufe der Nachkriegsjahre unter abgehängten Decken, doppelten Böden, nachträglich eingefügten Wänden und unzähligen Schichten an Farben, Tapeten oder Fliesen verloren. „Die Säle sollten zunächst auf das zurückgeführt werden, was sie schon allzu lange nicht mehr waren: nämlich echte Aufenthaltsräume, die den von uns verliehenen Arbeitstiteln eines ‚Gartensaals‘ oder eines ‚Kaminsaals‘ entsprechen – und nicht Rest- oder Durchgangsräume, die von nachträglich eingestellten Wänden oder Treppen zerschnitten werden“, erklärt der Architekt. Erst wenn das ursprüngliche Wesen des Gemäuers wieder neu herausgearbeitet wird, können zeitgenössische Mittel inmitten des Alten agieren, so die These von Henrike und Tom Schoper.
Was hätte Semper getan?
Als sich herausstellte, dass der Dachstuhl aus dem 19. Jahrhundert abgetragen werden musste, ergaben sich drei Varianten: „Man macht es so, wie es vorher war, was uns in Bezug auf die gewünschte Raumgestaltung nicht zufriedenstellen konnte. Oder man implantiert dem Alten etwas komplett Neues, was Gefahr läuft, dem Verdikt der Beliebigkeit ausgesetzt zu sein. Oder aber man versucht, den ursprünglichen Entwurf für das Dachgeschoss aus dem vermeintlichen Denken des 19. Jahrhunderts heraus neu zu entwickeln“, so Tom Schoper. Die Wahl fiel auf den dritten Weg. Doch wie sollte das gelingen?
„Wir fragten uns, ob zum Beispiel Gottfried Semper fiktiv in diesen Jahren mit dem Ausbau des Dachgeschosses in Prossen beauftragt, nicht hier das Oktogon als mögliches zentrales Raummotiv in den Entwurf für das Rittergut eingebracht hätte“, so der Architekt. Das Oktogon tritt nun an mehreren Orten in Erscheinung: In Form eines neu aufgesetzten Turms aus filigranen Metallstäben, unter dem ein achteckiges Oberlicht in die Küche der Dachgeschosswohnung Himmelszelt hinab führt. Dort wird ein runder Esstisch keineswegs nur von vier Bugholzstühlen umringt, sondern ebenso von vier hohen, freistehenden Schränken, die jeweils dem Grundriss eines länglichen Sechsecks folgen. Die schwarzen, totemartigen Möbel nehmen Herd, Ofen, Spüle, Arbeitsplatten und Stauräume auf. Doch noch viel mehr: Sie bilden in ihrer Mitte einen offenen Raum in der Form eines Oktogons.
Gemalte Tapisserien
In der Parksuite im Obergeschoss ist eine eindrucksvolle Stuckdecke zu sehen, die der Denkmalschutz zu den wertvollsten barocken Exemplaren des 17. Jahrhunderts in einem Privatgebäude in Sachsen zählt. Während des Umbaus wurden zwei zugemauerte Fenster freigelegt, ein Kachelofen musste ebenso weichen. Nachdem Siebzigerjahre-Blumentapeten und zahlreiche Farbschichten von den Wänden entfernt wurden, trat eine Bemalung zutage, die Assoziationen an Wandteppiche erweckt. „Wir schlussfolgerten, dass ursprünglich Tapisserien den ganzen Raum ausgestaltet haben könnten und dass diese eben an der Kamineinführung des Ofens aufgrund von Brandgefahr durch Wandmalereien ersetzt worden waren“, erzählt Tom Schoper.
Und so wurde aus dem Ornament-Fragment eine Wandgestaltung, die den gesamten Raum einschließlich der Fensterleibungen erfüllt und die neu hinzugefügte Wärmedämmung galant kaschiert. Im Kaminsaal wurden Gipsabdrucke von acht Reliefs des dänischen Bildhauers Berthel Thorvaldsen freigelegt. Der Steinboden aus der Schwarzküche liegt nun außerhalb des Hauses und bildet ein kreisförmig eingefasstes Entree. Die teils übereinander verlegten Dielen- und Parkettböden wurden getrennt und an unterschiedlichen Stellen im Haus verlegt. „Wir haben die Frage nach Alt und Neu an vielen Stellen offen gehalten, sodass sich die Besucher eher einer Ganzheit gegenüber sehen als einem offensichtlichen Gegeneinander unterschiedlicher Zeitebenen“, bringen Henrike und Tom Schoper die Stärke ihrer räumlichen Verwandlung auf den Punkt.
Projekt | Schloss Prossen |
Ort | Bad Schandau, D |
Erbaut | 1693 |
Umbau | 2017 - 2019 |
Größe | 1065 Quadratmeter |
Ausstattung | 11 Apartments, 2 Gemeinschaftsräume, Wellnessbereich, 2 Saunen |
Möblierung | Poltrona Frau, Vitra, Hay, Wittmann und eigene Entwurfe |
Beleuchtung | Tobias Grau, Flos, Muuto und eigene Entwürfe (z.B. im Kaminsaal |
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