Inkarnation an der Isar
Von Wien nach München: eine Neuauflage der American Bar von Adolf Loos
 
											
																									
					Ein Veranstaltungsraum in München begibt sich auf die Spuren eines ganz Großen: Adolf Loos. Der vom Amsterdamer Architekturbüro Concrete gestaltete Red Room zeigt, wie die räumlichen Tricks des Wiener Moderne-Pioniers bis heute Bestand haben.
Es gibt nur wenige Bars, die architektonische Ikonen sind. Streng genommen ist es nur eine einzige: die 1908 in Wien eröffnete American Bar am Kärntner Durchgang Hausnummer 10. So groß ihr Name, so klein ihre Größe: Gerade einmal 4,45 mal 6,15 Meter misst dieser chronisch überfüllte Ort, der auch nach 111 Jahren ein Fixpunkt im Nachtleben der Stadt ist. Warum das so ist, liegt nicht nur an Prominenten wie Mick Jagger, Angelina Jolie oder Quentin Tarantino, die sich lieber dort als in der Bar ihres Hotels einfinden.
Illusion von Weite
Das Besondere ist der Raum, der von Adolf Loos in unübertroffener Perfektion gestaltet wurde. „Klare Linien und edle Materialien schenken der Bar ihr Gesicht. Die Seele ist der Raum, der weit über den der Bar hinausreicht“, beschrieb der Wegbereiter der Wiener Moderne seinen heute wohl berühmtesten Entwurf. Obwohl er gerade einmal 27 Quadratmeter misst, wird die Illusion eines weitläufigen Saales geschaffen – ausgelöst durch den geschickten Einsatz von Spiegeln unterhalb der kassettierten Natursteindecke, die die Fläche ins Unendliche reflektieren. Genau an diese Ikone hat sich nun jemand herangewagt, in 355 Kilometern Luftlinie Entfernung.
Flauschige Materialität
Roomers heißt das im Münchner Westend eröffnete Hotel, das neben 280 Zimmern und Suiten ebenso mit einer Bar, einem Restaurant und einem 600 Quadratmeter großen Spa mit Kinoleinwand am Pool aufwartet. Der Höhepunkt des Hauses ist jedoch der versteckte, allein für Veranstaltungen vorbehaltene Red Room, der ganz unverhohlen auf den Spuren der American Bar wandelt. Die Umsetzung des Berliner Architekturbüros TSSB sowie des Amsterdamer Interieurstudios Concrete erfolgte jedoch nicht spiegelbildlich. Vielmehr sind die formalen Prinzipien und weniger die schwelgerische Materialität des Loos’schen Entwurfs übernommen und adaptiert worden.
         
											
																									
					
Intime Kojen
Die bestimmende Veränderung betrifft die Farbigkeit. Die präzise im rechten Winkel angeordneten Sitzecken sind mit dunkelrotem Samt bezogen anstelle des von Adolf Loos bevorzugten dunkelgrünen Leders. Das flauschige Material bringt Glamour und Wohnlichkeit ein, zudem verstärkt es die Intimität der Sitzkojen mit auffallend hohen Rücken. In die Mitte der Nischen sind Tische mit abgewinkelten Ecken platziert – auch sie sind ein Zitat des Wiener Vorbilds. Ihre polygonale Formgebung ist weniger eine Vorwegnahme des in den 1910er Jahren aufkeimenden Expressionismus – man denke nur an die Filmkulissen aus Das Cabinet des Dr. Caligari – als vielmehr ganz praktisch motiviert: In der Loos-Bar ist es so eng, dass die Gäste sonst nicht an ihren Platz gelangen würden.
Magie der Nacht
Auf eine beleuchtete Tischoberfläche, die in Wien die Farben von Likören und Cocktails intensiviert, wurde verzichtet. Stattdessen ist die kassettierte Decke des Red Room mit versteckten Lichtleisten abgesetzt – auch dies ist ein Bruch mit dem Original. Die Helligkeit der Ebenen ist nicht konstant, sondern flimmert exakt im Beat der aufgelegten Musik. Der Effekt wird von den Spiegeln gesteigert, die unterhalb der Decke an allen vier Wänden platziert sind. Die Bar ist damit nicht nur ein Ort des genüsslichen Trinkens. Sie wartet ebenso mit der Energie eines Nachtclubs auf.
Das ist insofern spannend, als dass hier Disco ohne Disco gelingt – eine Referenz, die in einer Stadt, wo Giorgio Moroder einst den Klang der Siebzigerjahre produziert hat, auf der Hand liegt. Auch Adolf Loos war musikalischen Bewegungen verbunden – nicht durch Beats, sondern durch seine Ehe mit der Tänzerin Elsie Altmann und einer in Wien nicht unbemerkt gebliebenen Liaison mit der britischen Tänzerin Bessie Bruce. Auch davon erzählt übrigens die Loos-Bar, wo die Wandleuchten hinter locker hängenden Stoffgardinen verborgen sind, die mit etwas Fantasie an die Röcke von Tänzerinnen erinnern.
Räumliche Handlungsanweisung
Adolf Loos hat in Wien gezeigt, dass kleine Räume ganz groß rauskommen können. Alles ist möglich, ganz gleich ob viel oder wenig Platz zur Verfügung steht. In diesem Sinne ist der Red Room in München nicht einfach nur eine Zitatesammlung der frühen Moderne. Er ist vielmehr eine Handlungsanweisung für weitere Herbergen, sich nicht einfach dem Standard zu ergeben, sondern Räume in atmosphärische Refugien zu verwandeln.
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