Kasseler Original
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Die neoklassizistische Sandsteinfassade ist noch die alte, aber im Inneren erscheint die von Staab Architekten sanierte Neue Galerie in Kassel ganz modern. Gemeinsam mit den Lichtplanern von Licht Kunst Licht und Siteco gelang es dem Berliner Büro, mit wenigen gezielten Eingriffen eine maximale Raumwirkung zu schaffen – mit offenen Ausstellungssälen und viel natürlichem Licht.
Im Grunde handelt es sich bei der zwischen 1871 und 1877 erbauten Neuen Galerie in Kassel um eine Rekonstruktion des ehemals größten Museumsbaus der Welt: Leo von Klenzes Alte Pinakothek in München. Bei ihrer Eröffnung im Jahre 1836 hatte die Pinakothek wenig mit den herkömmlichen schlossartigen Museumsbauten des frühen 19. Jahrhunderts gemein. Vielmehr stand sie in engem Zusammenhang mit der Funktion und der Gliederung des Gebäudes als Museum. Insbesondere der Einsatz von Oberlichtern und Seitenlichtkabinetten war für die damalige Zeit zukunftsweisend und diente später diversen Galerien als Vorbild, unter ihnen die von Heinrich von Dehn-Rotfelser für die Gemäldesammlung des Landgrafen Wilhelm VIII. entworfene, wesentlich kleinere Kasseler Variante. Diese wurde als langgestreckter, zweigeschossiger Mittelbau konzipiert, der von zwei leicht vorspringenden Eckpavillons begrenzt wird. Im Erdgeschoss wurde zwischen den beiden Kopfbauten eine Wandelhalle, im Obergeschoss eine Loggia gespannt – mit wunderbarem Blick auf die Karlsaue.
Misslungene und gelungene Generalüberholungen
Als sogenannte Gemäldegalerie fungierte der Bau nur knapp 70 Jahre. Im Herbst 1943 wurde er wegen schwerer Kriegschäden geschlossen – für über 30 Jahre, wie sich später herausstellen sollte. Erst 1976 wurde sie nach verschiedenen, die Struktur betreffenden Umbaumaßnahmen als Neue Galerie wiedereröffnet. Und genau diese späteren Veränderungen wurden nun durch das Berliner Büro Staab Architekten in Zusammenarbeit mit den Lichtplanern von Licht Kunst Licht und der Osram-Tochter Siteco zurück gebaut, um das Gebäude einerseits zu modernisieren, und andererseits die charakteristischen Merkmale des Entwurfs von Heinrich von Dehn-Rotfelser wieder hervorzuheben: die ursprüngliche Raumgliederung sowie die besonderen Qualitäten der Oberlicht- und Seitenlichtsäle.
Wer heute die Neue Galerie über den alten Haupteingang im nordöstlichen Eckpavillon betritt, gelangt in einen großzügigen Raum, der nichts mehr mit der historischen Halle mit ihrem pompösen Treppenaufgang gemein hat. Vielmehr erwartet ihn ein dank diverser Oberlichter und Wanddurchbrüche offenes und hell anmutendes Foyer. In der Mitte steht ein hölzerner Empfangsbereich, über dem ein großes Lichtdeckenfeld gespannt ist und ihn so als ersten Anlaufpunkt kennzeichnet. Von dort aus führt linkerhand eine Treppe in die obere Etage, rechterhand eine in die untere, die Raum für Wechselausstellungen bietet.
Künstliches und natürliches Licht
Im Erdgeschoss bilden die großen, an der Längsachse des Gebäudes aufgereihten Ausstellungsräume den Mittelpunkt. Sie sind Werken von Joseph Beuys und Ulrike Grossarth vorbehalten und werden nur durch indirektes, künstliches Licht erhellt, das eine weiche Lichtstimmung schafft. An der südwestlichen Fassadenseite werden sie von der Wandelhalle mit großen Fensteröffnungen und Blick auf den Stadtpark eingefasst, an der nordwestlichen von fünf kleinen Seitenlichtkabinetten, die von Kuppeln überspannt sind. Aus ihrer Mitte wurden runde Lichtelemente abgependelt, die über eine direkte und indirekte Abstrahlung eine gleichmäßige Ausleuchtung der Exponate aus dem 19. Jahrhundert ermöglichen.
Im Obergeschoss folgen die Räume der Neoimpressionisten, der klassischen Moderne oder der Pop-Art. Hier wurden in die Zwischenebenen der Oberlichter Tageslichtsteuerungselemente integriert, die einerseits die Vorteile des natürlichen Lichts nutzen und andererseits den konservatorischen Anforderungen der Kunstwerke gerecht werden. Dabei stimmt eine automatische Lichtsteuerung das Kunstlicht permanent auf das Tageslicht ab. „Eine Prämisse bei der Planung der Lichtdecken für die fünf Oberlichtsäle im ersten Geschoss lautete, das natürliche Licht nicht auf einen völlig statischen, leblosen Level zu regulieren, sondern seine Dynamik im Innenbereich erlebbar zu machen“, erklärt Andreas Schulz von Licht Kunst Licht. „Durch die geschickte Auswahl und Kombination von Entblendungs-, Verdunklungs- und Streuvorrichtungen kann der Galeriebesucher durch den Deckenbau hindurch schemenhaft den Himmel und die vorbeiziehenden Wolken ahnen.“
Auch wenn es sich bei dem ursprünglichen Bau tatsächlich um eine Rekonstruktion handelt, ist die Neue Galerie spätestens seit ihrer aktuellen Instandsetzung ein Unikat. Was auf dem ersten Blick wie ein bloßes White Cube anmuten mag, erweist sich schnell als eine behutsame Sanierung, in der die architektonischen Qualitäten der Raumfluchten und Ober- und Seitenlichtsäle herausgearbeitet wurden – und diese mit viel Helligkeit und Transparenz versorgt.
FOTOGRAFIE Werner Huthmacher / Neue Galerie
Werner Huthmacher / Neue Galerie
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