Knisternde Wände
Türen aus Wasser, Wände aus Papier und ein Boden aus Blumen: das Zuhause einer Kunstsammlerin in San Francisco.
Welcher Schriftsteller, Designer oder Architekt kennt sie nicht, die Angst vorm weißen Blatt? Vor allem, wenn das Briefing ziemlich anspruchsvoll klingt: eine Wohnung, die auch als Kulisse für eine eklektische Kunstsammlung dienen soll. Die Architekten von Medium Plenty aus Oakland packten es an... und ein. Das Ergebnis: ein Interior mit fantastischem Ausblicken und tiefen Einblicken.
Mit Aussicht auf die Golden Gate Bridge, die Festung von Alcatraz und dem ehemaligen Militärgelände Presidio ist Pacific Heights eine der begehrtesten Wohnlagen San Franciscos. Für eines dieser privilegierten Häuser aus dem frühen 20. Jahrhundert entwarfen die Architekten Gretchen Krebs und Ian Read zahlreiche ungewöhnliche Lösungen, die ihre Kundin, eine experimentierfreudige Kunstsammlerin, sichtlich begrüßte. „Wir haben dieses Projekt immer als eine Zusammenarbeit mit unserer Kundin verstanden“, sagen die beiden. „So entstand eine intensive Auseinandersetzung mit den Aspekten Licht, Raum und Kunst.“
Künstliche Gewässer
„Ihre Sammlung umfasst alte Fotos, Skulpturen und zahlreiche Werke moderner Kunst, darunter ein großer Teil männlicher Akte“, berichten die Architekten. „Sie mag es, Kunst um sich haben – sogar im Badezimmer. Also überlegten wir, welches Kunstwerk sich für den Nassraum anbieten könnte und kamen auf die Idee mit der vergrößerten Fotografie.“ Die Wahl für den überdimensionalen Druck fiel auf ein sommerliches Bademotiv aus ihrem Fundus, welches nun auf einem Einbauschrank aus Ahornsperrholz prangt.
Leise Töne
Dieses ungewöhnliche Möbel bleibt jedoch der einzige plakative Hingucker. Überdekoriertes, Extravagantes oder Schrilles wird man im Portfolio der Architekten aus Oakland nicht finden: „Wir versuchen stets, eine Kakophonie von Materialien und Formen vermeiden", so die Architekten. „Vielmehr streben wir eine Balance aus Ideen und Ressourcen an." So vergrößerten sie zwar das Küchenfenster mit dem atemberaubenden Blick auf die berühmte Hängebrücke und die Bucht, besonnen sich im Inneren aber auf formreduzierte Möbel, glatte Flächen und einen puristischen Farbkanon aus Weiß- und Anthrazittönen. Das Ergebnis ist ein Interiordesign wie aus einem Guss.
Lichte Strukturen
So wählten sie auch bei der Beleuchtung eher unprätentiöse Lösungen, setzten nur an einigen ausgewählten Stellen dekorative Hängeleuchten ein und versuchten stattdessen, möglichst viel Tageslicht auszunutzen. Ergänzend integrierten sie indirekte Lichtquellen. In der Küche etwa sorgt ein schmaler Lichtstreifen unterhalb der Decke für eine optische Abrundung der architektonischen Ecken. Doch die sanfte Belichtung hat noch einen weiteren Effekt, der erst auf den zweiten Blick sichtbar wird: Für Böden und Wände wählten Krebs und Read keramische Fliesen, deren subtile Texturen und Reliefs sich erst in Verbindung mit Licht zeigen.
Origami-Architektur
Die feine Musterung in den Kacheln vom israelischen Designbüro Raw Edges, die an der Küchenwand Verwendung finden, sorgt so erst einmal für Verwunderung: Von gefaltetem Papier abgeleitet, scheinen die Fliesen aus der Serie Folded für Mutina gefaltet und genknickt zu sein. Im Badezimmer wählte das Duo eine Fliesenkollektion der spanischen Designerin Patricia Urquiola, ebenfalls für Mutina, die mit dem Namen Déchirer (also „abreißen" oder „zerreißen“) auf alte, abblätternde Putzschichten und die Überbleibsel vergangener Wanddekore hinweist. Ähnlich einer Collage aus Tapeten, erscheint hier auf diese Weise – wenn auch etwas versteckter – noch einmal das Thema Papier.
Damit beweisen die Architekten von Medium Plenty eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von Beleuchtung und Struktur. „Unser Ziel mit den unterschiedlich texturierten Oberflächen war es, das Licht in den Fokus rücken“, kommentieren sie. Und tatsächlich gelingt ihnen durch das lebendige Changieren der Oberflächen in Bad und Küche ein poetisches Spiel aus Licht und Schatten.
FOTOGRAFIE Melissa Kaseman
Melissa Kaseman