Neuer Look fürs Pausenbrot
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Basler Wasser gibt’s gratis in der Mensa Kirschgarten. Und das soll etwas heißen in der sonst so teuren Schweiz. Aber immerhin handelt es sich hier auch um die Schulkantine eines Gymnasiums, im Basler Amtsdeutsch ganz trocken „Aufenthaltsraum mit Verpflegungsmöglichkeit“ genannt. Mitgebracht werden darf allerdings nur Hausgemachtes, Essen aus diversen Fast-Food-Filialen oder Supermärkten ist hier nicht gestattet. Ja, so streng geht’s zu im Alpenland, aber dafür wird ein Ambiente geboten, dass man in deutschen Schulen mit Beton-Brut-Ambiente der 1970er Jahre vergeblich sucht. Verantwortlich für die lichte Architektur der Mensa Kirschgarten ist das in der Stadt am Rhein ansässige Architekturbüro HHF Architects.
Neubau im Altbau
Bis vor kurzem noch mussten die Schüler des Kirschgarten-Gymnasiums und der De-Wette-Schule sich ihre Schulbrote zuhause schmieren oder einen kleinen Imbiss im provisorisch errichteten Holzpavillon im Pausenhof einnehmen. Dieser Situation musste Abhilfe geschaffen werden. Und was macht man mit einer Million Schweizer Franken? Wenn man sich um die Gesundheit und Ernährung von Schülern und Lehrern sorgt, dann baut man eine neue Mensa. Die tut mit ihrem Angebot an gesundem und bezahlbarem Essen nicht nur dem Körper und dem Portemonnaie gut, sondern lässt in diesem Fall auch noch die Herzen von Architektur- und Design-Afficionados höher schlagen. Wo dieses Wunder von kulinarischer und ästhetischer Vereinigung zu finden ist? In der Mensa Kirschgarten, entstanden unter der Bauherrschaft des Kantons Basel-Stadt. Dabei handelt es sich interessanterweise nicht um ein neu errichtetes Gebäude, sondern sozusagen um einen Neubau im Altbau: 1955 bis 1957 wurde die Schulanlage von den Architekten Hans Bernoulli, Ernst Mumenthaler und Otto Maier in Basel geplant. Da das Gebäude denkmalgeschützt ist, konstruierten die Architekten Herlach, Hartmann und Frommenwiler von HHF Architects einen Raum im Raum, weil die denkmalgeschützte Bausubstanz nicht beschädigt und rückgebaut werden kann.
Raum im Raum
Da der Schulstandort über keine Raumreserve verfügte, wurde ein zusätzlicher Raum mit entsprechender Infrastruktur geschaffen. Wie eine zweite Haut legt sich die eingebaute Holzverkleidung über Boden, Wand und Decke der Pausenhalle, so dass die alte Betonstruktur erhalten bleibt. Dadurch, dass einige Teile der Holzverkleidung nicht in jedem Feld bis zur Hallenrückwand geführt wurden, enstanden neue Raumeinheiten: ein Windfang und die Küche. Aus diesen hölzernen Bändern leitet sich nicht nur die gesamte Raumkonstellation der Mensa ab, sondern auch Sitzbänke, Küchenblock und Ablageflächen. Damit waren weitere Einbauten obsolet geworden und auch Schallschutzelemente und Leuchten konnten integriert werden. Vor dem neu entstandenen Windfang- und Küchenbereich befindet sich ein schmaler und geschützter Teil mit Bistro-Tischen und in die Rückwand integrierter Sitzbank. Den größten Platz nimmt in der Mensa der zentrale Essens- und Buffet-Bereich ein. Betritt man den Raum, wird erst einmal der Durst gestillt: mit einer Wasserzapfstelle und einem Getränkeautomaten.
Zusammen mit einem Küchenplaner entwickelte das Architektenteam ein komplexes Betriebs- und Verpflegungskonzept, das den Ansprüchen einer gesundheitsbewussten Ernährung gerecht wird und gleichzeitig Spaß macht. Dabei sollte der Raum auch außerhalb der Essenszeiten als Aufenthaltsraum genutzt werden können. Er hat insgesamt 70 Sitzplätze und das tolle daran: Die Sitzplätze werden bei schönem Wetter in den Außenraum verlagert, denn eine Treppe mit Sitzkissen führt auf den Pausenhof. Der Besucher der Mensa Kirschgarten kann der Zubereitung seines Essens zuschauen, denn nur eine Glasscheibe trennt den Koch von den Bekochten. Anschließend werden die frischen warmen Speisen in Warmhaltebehältern auf einem mobilen Selbstbedienungsbuffet angerichtet. Neben Eiweiß-, Stärke-, Saucen, Gemüse- und Salatkomponenten, deren Preis sich nach dem Gewicht berechnet, gibt es auch Portionsangebote zu festen Preisen. Und das Angebot wird gut angenommen: Jeden Tag werden in der Mensa Kirschgarten 180 bis 200 Mittagessen ausgegeben. Die Verweildauer in der Mensa beträgt durchschnittlich 45 Minuten. Und nicht nur zum Essen kommt man hierher, auch zum kommunikativen Rückzug oder stillen Arbeiten.
Grau in Grau
Ursprünglich befand sich an der Rückseite der alten Pausenhalle ein Wandbild des Basler Künstlers Gido Wiederkehr, das erhalten werden musste, aber abgedeckt wurde. Stattdessen haben die Architekten zusammen mit Wiederkehr ein Farbkonzept erarbeitet, das aus leicht changierenden Grautönen besteht. Damit wurde die aus Werkstoffplatten bestehende, stellenweise profilierte Wandverkleidung gestrichen. Mit dieser hellen Farbgebung der Wandverkleidung kontrastiert die dunkle Möblierung: Stapel-Hocker und Klapptische aus massivem und robustem geräucherten Akazienholz wurden ebenfalls von HHF Architects entworfen und erinnern zum Glück nicht an konventionelles Schulmobiliar, das einem als Schüler regelmäßig die gute Laune verdorben hat. Bis ins letzte Detail durchdacht ist der Innenraum der Mensa, denn Tische und Stühle stehen auf einem schönen, abgeschliffenen und versiegelten Anhydritmörtel.
Innen und Außen
Zum Pausenhof hin besticht die Mensa Kirschgarten durch eine breite Fensterfront, die als thermischer Abschluss des Raums fungiert. Sie lässt nicht nur den Innenraum mit Licht durchfluten, sondern bietet mit den neu eingebauten Schiebefenstern auch einen direkten Zugang zum Hof. Eine breite Treppe überwindet den Höhenunterschied und lädt zum Sitzen auf den Stufen ein. So wird der Innen- in den Außenraum erweitert. Diese neue Aufenthaltsqualität wird von Schülern und Lehrern eifrig genutzt zum Kommunizieren, Essen oder einfach nur zum Ausruhen und Muße finden. Sogar der ehemalige Fahrradkeller ist in das architektonische Konzept eingebunden: Wo früher Schweizer Velos auf ihre radelnden Besitzer warteten, lagern jetzt so manche Leckereien. Ein Lüftungs-Monoblock sorgt zudem für gute Luft. Dann kann man ja beruhigt Platz nehmen auf den alten Bänken der Wandelhalle, die gruppiert wurden um den Brunnen im Pausenhof. So viel kann man machen mit einer Million Schweizer Franken.
FOTOGRAFIE Tom Bisig, Basel
Tom Bisig, Basel
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