Nicht nur Theater
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Das Barbican Centre in London ist das größte Kulturzentrum der Stadt – und das größte Europas. An den brutalistischen Betonklötzen, die sich mitten in der Innenstadt emporrecken, scheiden sich die Geister. Für die einen ist es eine Stein gewordene Architektur-Verirrung, die sich unter anderem den Titel „Britain’s ugliest building“ verdient hat, für die anderen ein Traum in Zementgrau und eine der besten Wohnanlagen in der britischen Metropole. Denn hier finden sich neben drei Kinos, sieben Konferenzsälen, der renommierten Barbican Hall und einem Theater auch über 550 Wohnungen. Im Erdgeschoss der Landmarke führt eine Einrichtung alle Nutzer und Besucher zusammen: die Barbican Food Hall, die aus Restaurant, Lounge und Markt besteht. Das britische Architekturbüro SHH hat die Räumlichkeiten generalüberholt – und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet.
Bekannt ist das Barbican vor allem für seine Veranstaltungen und Ausstellungen. Die vielen Spielorte des Zentrums werden den ganzen Tag bis spät in die Nacht von Besucherscharen frequentiert, dazu kommen die Anwohner, die in dem angegliederten Gebäudekomplex residieren und hier ihren Kühlschrank füllen wollen. Wenn also an solch einem Ort ein Restaurant und eine Lebensmittelhalle entstehen, dann sollten sie wohl etwas Spezielles sein und sowohl auf die besondere Nutzung als auch die eigenwillige Atmosphäre eingehen. Das sahen auch die Architekten des Architekturbüros SHH so, führten den Gedanken aber noch einen Schritt weiter: Wenn in einem Gebäude wie dem Barbican schon ein Komplex dem Essen gewidmet wird, dann soll es sich nicht um eine einfache Dienstleitung am Magen handeln. Vielmehr sollte das Barbican Centre nach dem Umbau nicht mehr nur als Ort kultureller Veranstaltungen wahrgenommen werden, sondern als eine Institution, die ebenso mit kulinarischen Highlights glänzt.
Beton c’est bon
Durch die besondere Ästhetik des Baus lag es den Planern am Herzen, die architektonischen Besonderheiten freizulegen. Man entschied sich, die Betonstrukturen der Decken zu entblößen. Mit ihrer kastenartigen Erscheinung lassen sie eine ganz besondere Atmosphäre entstehen - die vielleicht entfernt an die Gewölbe in Weinkellern erinnern mag. Dazu grobe Waschbeton-Wände und ein Bodenbelag aus roten Ziegelsteinen, der zwar nicht mehr im Original erhalten war, dafür aber auf allen Gehwegen des Zentrums verlegt ist und so die Lebensmittel-Halle als modernen Marktplatz definiert.
Alles Olive
450 Quadratmeter im Erdgeschoss, eine Lounge darüber und eine daran angeschlossene große Terrasse standen zur Verfügung. Aufgrund der Größenordnung des Projektes stellte SHH ein Team zusammen, das alle Bereiche der Ausstattung mit Expertise abdeckt: Die zweifach ausgezeichnete Garten-Designerin Kate Gould, den Möbeldesigner Stefan Bench und die Lichtdesigner von PSLAB. Letztere entwarfen vor allem die eindrucksvolle Lichtinstallation in der Food Hall. 600 Olivenöl-Gläser, alle mit einem Leuchtmittel ausgestattet, erleuchten den Raum. Sie sitzen in einem Gerüst, das die Funktionen Raumtrennung und Illumination verbindet und über Kopf installiert eine Lichtdecke bildet. Zu den Gläsern haben die Macher eine Anekdote parat, denn fast hätten die sorgsam im Orient ausgewählten Gefäße es nicht bis nach London geschafft: Für die importierten Gläser brauchte es eine Einfuhrgenehmigung, mit der – weil es sich ja quasi um leere Verpackungen handelte – keiner gerechnet hatte. Die Möbel unter den maßgeschneiderten „Light Jars“ präsentieren sich als ein „Best Of“ zeitgenössischer Designstücke. Darunter Vintage-Möbel, wie die an Schulzeiten erinnernden Metallskelett-Stühle mit Holzsitzschalen, sowie sorgsam ausgewählte Neuauflagen. Alles findet sich zu einem einzigartigen Mix zusammen, der wunderbar mit dem allgegenwärtigen Retro-Futurismus harmoniert.
Wenn der kleine Hunger kommt ...
In Restaurant und Food Hall des Barbican soll sich nicht nur der am schnellen Essen interessierte Besucher der kulturellen Events einfinden. Das Menü wurde zwar für den schnellen Konsum aus der Hand in den Mund angepasst – und ein Konzept der kleinen Teller eingeführt, auf denen sich schnell zu verzehrende Happen finden. „Grab and Go“ nennen das die Macher, die sich damit an diejenigen wenden, die vor dem Theater noch ein schnelles Essen wünschen. Die Speisen wechseln jedoch in regelmäßigen Abständen und werden auf ein Thema, wie etwa „Brit’s Dish Day“, zugeschnitten. Das motiviert zum Wiederkommen und sorgt für Abwechslung bei den Stammkunden. Unterstützt wird das durch Angebote, die eine Interaktion mit dem Ort fordern und zum längeren Aufenthalt einladen sollen. Wie etwa die „Bookbank“: Als analoge Lesestation, die mit über 200 Büchern ausgestattet ist und als Leseecke und Bibliothek fungiert, zelebriert sie das alte und beliebte Konzept eines Lesecafés – und macht die öffentliche Gemeinschaftsfläche ganz britisch zum „zweiten Wohnzimmer“.
FOTOGRAFIE Gareth Gardner
Gareth Gardner
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