Panoptikum der Sinne
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Geschirr klappert, Teller werden angerichtet, der Schinken hängt von der Decke herab. Wer das italienische Restaurant Vai Vai im Frankfurter Westend besucht, kann gespannt sein auf ein besonderes gastronomisches und gestalterisches Konzept mit verschiedenen Aufenthaltsqualitäten. Dieses Konzept ist bereits am Grundriss des Restaurants ablesbar, sind doch rechts und links der Bar Gastraum und Lounge untergebracht, während man ein wirkliches Entree vergebens sucht. 400 Quadratmeter ist das Restaurant groß, für das sich das Darmstädter Büro Design in Architektur einen unkomplizierten Vintage-Look mit einem Mix aus gebrauchten und neuen Möbeln, Leuchten, Tableware und Accessoires ausgedacht hat.
Die mit einem rustikalen Holzboden ausgestattete Bar mit Sichtbeton-Wänden fungiert als Verteilerraum des Restaurants. Durchschreitet der Gast die linke Tür, findet er sich im rechtwinkeligen, 80 Sitzplätze fassenden Gastraum wieder, der von großen Fenstern erhellt wird.
Speisen im Vintage-Look
Das hier bestimmende gestalterische Element sind die Holzlattentische, die mit roten und weißen Metallstühlen umstanden sowie von den weißen und schwarzen Leuchten Caravaggio von Cecilie Manz beschienen werden. An der kurzen Seite des Raums haben die Architekten eine braune, lederbezogene Sitzbank angeordnet. Davor stehen quadratische Tischen und Stühle für Zweiersituationen und -gespräche. Auffällig ist die Wandgestaltung hinter der Sitzbank: Grün und Blau scheint die Farbe die Wände hinunterzulaufen. Offen liegende Rohre und Kabel, gläserne, von der Decke hängende Teelichthalter, auf Alt getrimmte Schubladenschränke, Drehhocker, Industrieleuchten sowie der Materialmix zwischen kühlem Metall und rau belassenem, warmen Holz unterstützen den Vintage-Look – ebenso wie der architektonische Mittelpunkt des Gastraums: die offene Zubereitungsküche. Gastraum und Showküche werden getrennt durch eine mit grünen Fliesen verkleidete, halbhohe Mauer mit Holzablage und getönten Industriefenstern. Das zwischen beiden Bauelementen entstandene „Fenster“ dient als Durchreiche für Speisen und Getränke.
Work in progress
Dahinter – mit Zugang zur eigentlichen, für den Gast nicht zugänglichen Küche – werkeln die Köche, schieben Brotlaibe in den Ofen, hängen wie in einer Fleischerei die Rinderhälften oder würzige Zwiebel-Kränze von der Decke oder wird der Salat angemacht. Serviert werden Taglioni al Ragù, Kapern-Mayonnaise oder hausgemachte Patatine Fritte von den in Holzfällerhemden gewandeten Kellnern. Zentrale Pfeiler des gastronomischen Konzepts sind die selbst hergestellten, teils mit ungewöhnlichen Mehlsorten gebackene Teige für Pizza, Pasta und Brot sowie die frisch im Ofen zubereiteten Fisch- und Fleischgerichte. Nichts weniger als L’arte di mangiare – zu Deutsch Die Kunst des Speisens – hat sich das Restaurant auf die Fahnen geschrieben. Konzeptionell unterstützt vom Food-Beratungsunternehmen ButterButter mit dem Sternekoch Alan Ogden sind hier Goran Petreski und Tim Plasse mit viel Erfahrung in der Gastronomie am Werk.
Es werde Nacht!
Ist der Magen des Gasts gefüllt mit allerlei Köstlichkeiten wie Insalata Melanzane e Ceci oder Strozzapetri con Salsicca, lässt er den Abend gern noch bei einem Drink ausklingen. Die Macher des Vai Vai wissen diesen Wunsch für sich zu nutzen und haben neben der Bar auch gleich an eine Lounge gedacht. Diese befindet sich rechts vom Verteilerraum mit der Bar und veranschaulicht exemplarisch das Konzept der unterschiedlichen Aufenthaltsräume und -qualitäten im Vai Vai. Im Unterschied zu den eher kleinteilig gestalteten Räumen Bar und Gastraum mit vielen verschiedenen Materialien und Formen verströmt die 100 Sitzplätze fassende Lounge eine ruhige, angenehme Stimmung. Dies ist neben der dunklen Holzverschalung an den Wänden vor allen den gesteppten Stoffsofas und gemütlichen Sitzinseln geschuldet. Sie wirken sehr englisch und werden kombiniert mit runden hölzernen Beistelltischen und passenden Hockern. Die sparsame Möblierung, die reduzierte Material- und Formgebung sowie das Fehlen fast jeglicher Dekoration sind hier so überzeugend, dass man den Drink gar nicht mehr aus der Hand geben mag.
FOTOGRAFIE Katrin Binner
Katrin Binner
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