Plate with a View
Haben hier Riesen nach dem Picknick vergessen, ihr Geschirr zu entsorgen? Übereinandergestapelte weiße Teller, überdimensioniert und seltsam deplatziert inmitten einer grünen Wiese: So erscheint das Basque Culinary Center in der nordspanischen Küstenstadt San Sebastián. Das Büro Vaumm Arkitektura errichtete hier den Gaumenfreuden einen besonderen Tempel.
Das neue Hauptquartier der Gastronomie ist die erste Institution ihrer Art: Als Austauschplattform soll sie den Dialog zwischen den Bereichen Lehre, Forschung, Praxis, und Öffentlichkeit ermöglichen und fördern. Der 17,1 Millionen Euro teure Neubau beherbergt auf 15.000 Quadratmetern das Forschungs- und Innovationszentrum für gastronomische Wissenschaft und das Hauptbüro für die Gastronomie-Wissenschaftsuniversität. Renommierte Spitzenköche unterweisen hier ihre Studenten in allen Belangen der Gastronomie, zum Abschluss winkt ein Universitätsdiplom. Die Lernumgebung ist durchaus inspirierend: Von der Muschel-Bucht am Golf von Biskaya weht die frische Meeresluft und vermengt sich mit dem Aroma der Speisen, die in der „Koch-Uni“ zubereitet werden.
Die fünf Kreise der Küche
Trotz seiner Größe fügt sich das fünfgeschossige Ausbildungszentrum harmonisch in seine Umgebung ein. Mit einer Seite lehnt sich das Gebäude an einen steilen Hügel, scheint gleichsam aus der Erdoberfläche herauszuwachsen. Diese Hanglage bildete den Ausgangspunkt der architektonischen Überlegungen, die Räumlichkeiten wurden von oben nach unten organisiert. Haupteingang und öffentliche Bereichen liegen in der fünften Etage – nach unten hin dringt man immer weiter in die Tiefen der kulinarischen Geheimnisse vor.
Die einzelnen Geschosse legen sich hufeisenförmig um einen länglichen Hof, eine Brücke in Höhe der obersten zwei Etagen schneidet schräg durch diesen Innenraum und verbindet die nördliche mit der südlichen Gebäudeflanke. Im Hof und auf dem Dach werden Kräuter für die Küche angebaut, die Grünflächen lassen den Gebäudekörper optisch mit der umgebenden Landschaft „zusammenwachsen“.
Essen in Schichten
Die U-förmige Anlage und die Brücke durch den Hof gewährleisten die Zirkulation und den Bewegungsfluss, welche den Austausch zwischen den drei Bereichen garantieren sollen: dem akademischen Bereich, dem Praxis-Bereich, und dem Forschungs-Bereich. Die einzelnen Areale sind dabei ebenfalls vertikal strukturiert: So befinden sich im Praxis-Bereich übereinander angeordnet die Umkleideräume, die Vorbereitungsräume und die Küchen.
Die schichtweise Gliederung des Gebäudes ist an der Außenseite ablesbar, beim Näherkommen wird auch das Geheimnis der „Teller“ gelüftet: An den Flanken des Gebäudes liegen die weißen, umlaufenden Bänder eng an, zur Vorderseite hin weiten sie sich zu Brüstungsbändern vor den auskragenden Balkonen, die zudem als Verbindungswege dienen. Geht es in der Küche mal hektisch zu, bietet hier der Blick über die Landschaft eine kleine Atempause.
Hightech-Hülle
Nicht nur die Einbindung in die Natur war für die Außengestaltung des Basque Culinary Centers ausschlaggebend, sondern auch die geographische Nähe zum Miramon Technologic Business Park. Die Architekten verkleideten das Gebäude mit goldfarbenen Metallblechen, welche durch Prägungen und Perforationen eine eigene Haptik erhalten: Die changierenden Muster erinnern an die geheimnisvollen Prägungen auf Festplatten und Mikrochips. Insgesamt entsteht das Bild eines zukunftsweisenden Gebäudes, welches sich durch seine „grünen“ Seiten gleichwohl bescheiden der unmittelbaren Umgebung anpasst.
„Plate Enterprise“
An der Außenhülle des Basque Culinary Centers wird die multiple Nutzung des Inneren ablesbar: Modernste Hightech-Forschung steht gleichberechtigt neben der analogen Kunst des Kochens. Das Geschirr ist nicht weit: Als architektonisches Element bildet es die Hülle für die Aktivitäten in der Küche. So werden die Speisen nicht nur auf dem Teller, sondern sozusagen im Teller angerichtet. Das stilisierte Küchengerät nimmt explizit Bezug auf das Werk des amerikanischen Künstlers Robert Therrien, der sich in vielen seiner Arbeiten mit Küchenobjekten auseinandersetzt. In ihrer Größe lassen die „Teller“ aber auch an an die colossal monuments des Künstlers Claes Oldenburg denken, dessen ins Riesenhafte vergrößerte (Gebrauchs-)Gegenstände zum irritierenden Moment im öffentlichen Raum werden. Bei Nacht allerdings, wenn das Licht zwischen den einzelnen Scheiben hervor quillt, erinnert das Gebilde ebenso gut an einen Schwarm fliegender Untertassen.
FOTOGRAFIE Fernando Guerra
Fernando Guerra
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