Rettung einer Ruine
Denkmalgerechter Anbau von Will Gamble Architects in Northamptonshire
„Nichts wie weg mit dem alten Gemäuer“ lautete der Auftrag der Besitzer*innen eines viktorianischen Reihenhauses in Northamptonshire, in deren Garten eine Fabrikruine stand. Statt diese abzureißen, machte der Architekt Will Gamble daraus lieber eine Haus-im-Haus-Lösung – mit einer spannenden Vielfalt alter und neuer Klinker.
Der Auftrag der Bauherrschaft war eigentlich klar: Um ihr viktorianisches Reihenhaus zu erweitern, sollte eine verfallene Pergamentfabrik aus dem 17. Jahrhundert im Garten einem Anbau weichen. Als einen Teil der Erweiterung wollte das kurz vor der Rente stehende Paar den ungenutzten, an das Wohnhaus grenzenden Viehstall verwenden. Doch der Architekt Will Gamble erkannte das Potenzial des unter Denkmalschutz stehenden Ensembles. „Von Beginn des Entwurfsprozesses an war klar, dass die Bauherrschaft die Ruine als Hindernis und nicht als positives Gut betrachtete, das durch einen sensiblen, gut durchdachten Eingriff zelebriert werden könnte“, erläutert er.
Ein Haus im Haus
Der Architekt überzeugte seine Auftraggeber*innen von einer Haus-im-Haus-Lösung. Anstatt die Ruine abzureißen, fügte er für sein Projekt The Parchment Works zwei leichte Volumen behutsam in das Mauerwerk ein. Die Originalmauern blieben in ihrem rudimentären Zustand erhalten und stehen teilweise schützend wie ein Portal um den verglasten Anbau. Lücken zwischen den Wandüberbleibseln füllte der Architekt mit Balken aus industriell wirkendem Cortenstahl, Wänden aus Eichenholz und Türen, Fenstern sowie Balkongeländern aus Glas.
Mauern als Zeitzeugen
In ihrer Transparenz überlassen die Glaswände die Bühne ganz klar den historischen Mauern. Spielte der Architekt zuerst mit dem Gedanken, die Ruine vollständig mit dem Anbau zu füllen, blieb letztlich ein Teil als Begrenzung der Terrasse erhalten. Der Boden besteht aus historischen Ziegeln. Die Mauern wurden teilweise durch recycelte Klinkersteine ergänzt. Sie zeigen auf beeindruckende Weise die Vielfalt des Materials. Durch unterschiedliche Brenntechniken, Rohstoffe und die Witterung reicht die Farbpalette von hellem Beige bis Dunkelrot. Die Oberflächen sind mal glatt, mal geriffelt oder rau. Um Kosten zu sparen, griff der Architekt – wo es ging – auf vorhandene Materialien zurück. Er recycelte Steine und Holz, sodass sich der Anbau sensibel in seine Umgebung einfügt.
Alt trifft neu
Auch im Inneren ist die historische Bausubstanz sichtbar. Will Gamble ließ die Balken des bestehenden Viehstalls freilegen. Auch die Stahlkonstruktion ist von innen als „Skelett“ des Hauses sichtbar. Historische Steinwände wurden neu verfugt und mit Kalk gewaschen. So entsteht ein melierter Effekt. Ein Betonsockel stellt den Übergang zwischen modernen Holzdielen und dem Bestand her. Mit seinem monolithischen Küchenentwurf, geprägt von grauen Fronten und Arbeitsplatten aus Edelstahl, setzte der Architekt einen Kontrapunkt zu den unregelmäßigen Wänden und der Struktur der Ruine. Die offene Küche geht in ein Ess- und Wohnzimmer über. Immer wieder ergeben sich interessante Blickachsen auf die Überreste der Pergamentfabrik, die einst angeblich Papier für die königliche Familie produzierte. Auf dem Dach des Anbaus entstand Platz für eine Dachterrasse, die nun vom Schlafzimmer aus zugänglich ist.
Will Gamble trug mit seiner modernen Intervention im historischen Kontext dazu bei, dass das Ensemble erhalten blieb und berücksichtigte trotzdem das Bedürfnis der Bewohner*innen nach mehr Wohnraum. Sowohl für die Innen- als auch für die Außenfassade wählte er eine Palette ehrlicher Materialien, die eine Verbindung zur Geschichte des Ortes herstellen. Damit ist es ihm gelungen, nicht nur die Bauherrschaft, sondern auch die Denkmalpflege glücklich zu machen.
FOTOGRAFIE Johan Dehlin
Johan Dehlin
| Projektname | The Parchment Works |
| Entwurf | Will Gamble Architects |
| Fertigstellung | 2020 |
| Ort | Northamptonshire, UK |
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