Rostlaube am Kaiserstuhl
Im baden-württembergischen Bischoffingen eröffnete das Weingut Abril eine neue Kellerei.
Im baden-württembergischen Bischoffingen hat das Weingut Abril eine neue Kellerei nach Plänen des Architekten Wolfgang Münzing eröffnet. Mit seiner Fassade aus korrodiertem Corten-Stahl passt sich der 10-Millionen-Euro-Bau nicht nur stimmig in die Reblandschaft ein. Das warme Schimmern des Rosts wird zum Sinnbild der Weinreife.
Wer als Winzer heute etwas auf sich hält, investiert in Architektur. Fand die Weinherstellung früher in historischen Gemäuern statt, wird sie nun publikumswirksam in die Gegenwart übersetzt. Auch das Weingut Abril in Bischoffingen, dessen Ursprünge bis in das Jahr 1740 zurückreichen, setzte auf eine räumliche Verjüngungskur und ließ sich eine neue Kellerei nach Plänen von Wolfgang Münzig auf den Leib schneidern. Der Architekt und Innenarchitekt unterhält sein Büro in Flein bei Heilbronn – einem der größten Weinanbaugebiete Baden-Württembergs – und hat sich bereits in den späten neunziger Jahren auf das Thema Wein spezialisiert.
Suggestiver Fries
„Wir wollten einen symbolischen Bogen von der Tradition des Weinguts in die Zukunft spannen“, erklärt Wolfgang Münzing. Sein Entwurf zeigt einen Körper aus verrostetem Corten-Stahl, der sich an die Rebenfelder des Enselberges anschmiegt. Der warme Braunton der Fassade wirkt auf zweifache Weise: Er erinnert an den Tuffstein aus dem Kaiserstuhl und spiegelt zugleich den Reifeprozess des Weines wider. Dass während der Bauarbeiten die Überreste einer über 7500 Jahre alten Bauernkultur gefunden wurden, nahm Einfluss auf die Gestalt des Gebäudes. So wurde ein ornamentaler Fries in Stanz- und Lasertechnik in die Fassade eingefügt. Wie der stählerner Reif eines Holzfasses umfasst der Fries das gesamte Gebäude und lässt an den knorrigen Wuchs von alten Weinreben denken.
Neutraler Rahmen
Auf das Wechselspiel aus Sinnlichkeit und Schroffheit setzen ebenso die Innenräume. Roh belassene Sichtbetonwände und Fußböden aus grauem Feinsteinzeug erzeugen einen neutralen Rahmen, der die Blicke durch die Fenster hinaus auf die umliegenden Reben leitet. Lediglich in den Verkostungs- und Verkaufsräumen ziehen aus Eichenholz gefertigte Wandregale und freistehende Konsolen die Blicke auf sich, die der Präsentation der Weinflaschen dienen. Während ihre Materialität mit der der Weinfässer korrespondiert, setzen bordeauxfarbene Rückwände einen atmosphärischen Kontrapunkt zum Grau des Interieurs. Auch sämtliche Stühle, ein großer Esstisch sowie eine Theke folgen dem weinaffinen Materialkonzept und wurden aus Eichenholz gefertigt.
Funkelnde Hightechkulisse
Auf die Romantik schummeriger Gewölbe wird auch in der Kellerei verzichtet. Verrieten die großen Barrique-Fässer nicht die wahre Bestimmung der Räume: Mit ihren rohen Sichtbetonwänden könnte man sie ebenso für ein Forschungslabor oder eine Computerfabrik halten – ein Eindruck, der ebenso im Herzstück des Neubaus weiter verstärkt wird: der Kelterei. Viel Sonnenlicht fällt durch die breiten Panoramafenster im Obergeschoss herein. Die metallenen Rohre und Apparaturen, die aus dem stählernen Boden emporragen, funkeln im Hightechgewand. Unter ihnen befinden sich die großen Tanks, in denen die Trauben nach ihrer Anlieferung verarbeitet werden.
Von den Feldern ins Fass
Die Aufgabe einer Kelterei klingt zunächst martialisch. Um den süßen Traubenmost zu gewinnen, müssen die festen Bestandteile wie Schalen, Kerne, Stiele und Fruchtfleisch aus den zuvor zerquetschten Trauben herausgepresst werden. Trotz aller Kraft, die dabei benötigt wird, ist ein schonender Umgang entscheidend. Schließlich muss verhindert werden, dass auch die Kerne zerdrückt werden und somit Bitterstoffe in den Wein gelangen. In großen, abgedichteten Edelstahlbehältern wird anschließend der Gärungsprozess durch den Zusatz von Hefen in Gang gesetzt. Durch die Steuerung der Temperatur, bei der die Gärung über einen Zeitraum von sechs bis acht Tagen stattfindet, wird der Geschmack sowie der Alkoholgehalt des Weins bestimmt. Sind die Hefen abgestorben, sinken sie zu Boden und werden durch einen Abstich entfernt. Danach wird der Wein in großen Holzfässern gelagert, die in diesem Falle in einen Ruheraum von beinahe sakraler Wirkung eingebettet werden.
Ökologische Ausrichtung
Rund 140.000 Flaschen verlassen das Weingut Abril im Jahr, darunter mehrheitlich Blauer Spätburgunder sowie Weißer und Grauer Burgunder. Doch auch Riesling, Chardonnay, Gewürztraminer, Crémant oder Chardonnay-Sekt werden in dem Gut produziert, das 2009 den gesamten Anbau auf kontrolliert-ökologische Methoden umgestellt hat. Eine Vorgabe an den Architekten war daher die CO2-neutrale Ausrichtung des Gebäudes, was durch eine Holzpellet-Heizung sowie eine Photovoltaikanlage erzielt wird. Auf dem begrünten Dach ist eine Teilfläche mit Kies bedeckt, wo Regenwasser in Zisternen aufgefangen und zur Bewässerung der umliegenden Rebflächen verwendet wird. Diese Strategie wurde inzwischen auch von der Branche honoriert: 2013 wurde die Kellerei mit dem Architekturpreis Wein sowie der Auszeichnung Höhepunkt der Weinkultur des Landes Rheinland-Pfalz prämiert. Es scheint, als hätte Wolfgang Münzing mit seiner sinnlich-schroffen Rostbox genau ins Schwarze getroffen.
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FOTOGRAFIE Susanne Sommerfeld
Susanne Sommerfeld
Special: Wein und Architektur
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