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Scheinbar geheilt

von Myrta Köhler, 24.06.2011


Als Wiege Europas schmückte sich das antike Griechenland mit kulturellen Glanzleistungen: Prächtige Tempel gehörten ebenso dazu wie die sorgfältig gepflegte Tradition des Theaters. Dabei diente ein Theaterbesuch nicht nur der Kurzweil, sondern auch der Gesundheit. Heilung durch Theater? Die „Katharsis” ermöglichte es den Zuschauern, sich über die Identifikation mit den Protagonisten von starken Affekten zu befreien.
In der von KLab Architects gestalteten Placebo Pharmacy in Athen wird zwar kein Theater gespieltdoch entstand durch eine geschickte dramaturgische Beleuchtung ein "Bühnenbild" für die Medizin.


Der Begriff „Placebo” kennzeichnet im Allgemeinen ein Scheinarzneimittel, das keine pharmakologische Wirkung zeitigt. Eine körperliche Wirkung kann in vielen Fällen dennoch nachgewiesen werden: Das Vertrauen des Patienten ist in diesem Fall alles. Die Wirkung beruht auf dem Schein – und das gilt nicht nur für Arzneimittel. Zeremonien und Theater wirken auf dieselbe Weise: Das Dargebotene suggeriert eine tiefere Wahrheit, weil das Publikum sich dem Spektakel hingibt. Das antike Griechenland pflegte die Tradition des Theaters auch als reinigende Kraft:

Eine Bühne für die Medizin

Die Kulisse der Placebo Pharmacy macht Eindruck: Fast könnte man meinen, ein Bühnenbild vor sich zu haben. Die Architektur inszeniert Menschen und Arznei gleichermaßen, ein Besuch gerät zum großen Auftritt. Die achteckige Form des Vorgängerbaus wurde mit einer neuen „Haut” in Form eines Zylinders versehen: Diese äußere Hülle ist als Spirale gestaltet und tritt durch ihre organische Form in Dialog mit der belebten Vouliagmenis Avenue, die vor dem Haus verläuft. Eine besondere Art der „Verpackung“ stellt die Fassade dar: Die weißen Paneele sind mit Brailleschrift perforiert, fungieren also als Informationsträger, dessen Inhalt aufgrund der Codierung dennoch unkenntlich bleibt. Die Symbolik ist einerseits ein Zitat der Beschriftung von Medikamentenpackungen, trägt aber gleichzeitig zur Lichtdurchlässigkeit der Fassade bei: Insbesondere bei Dunkelheit ergeben sich grafische Muster auf der Außenhaut des Gebäudes.
 
Die Placebo Pharmacy umfasst 600 Quadratmeter Fläche – und ist mehr als nur eine Apotheke. Im Erdgeschoss befinden sich eine Drogerie und ein weiteres Geschäft, in der oberen Etage liegen Büros und ein Behandlungsraum, der von Ärzten gemietet werden kann. Die Strukturierung der Räumlichkeiten im Erdgeschoss greift den kreisförmigen Grundriss auf: An zentraler Stelle befindet sich der Kassenschalter, von hier ausgehend sind strahlenförmig die maßgefertigten Warenregale angeordnet. Die so entstehenden Gänge leiten das Tageslicht tief ins Innere des Raumes. Eine sanft geschwungene Rampe leitet die Besucher zur oberen Etage: Ihre dynamische Form setzt die Bewegung der äußeren Spirale im Inneren fort, und erinnert in ihrer Theatralität an das Guggenheim Museum in New York: Die Placebo Pharmacy wird zur Schnittstelle von Wissenschaft und Kultur.
 
Blindenschrift für Sehende
 
Das Licht setzt den dramatischen Effekt der Architektur fort. Die perforierte Hülle der Placebo Pharmacy bildet tagsüber spektakuläre Muster aus Sonnenlicht im Gebäudeinneren ab – nachts wirkt die Innenbeleuchtung in umgekehrter Richtung und weckt die Neugier der Passanten und Nachtschwärmer. Die Architekten spielen hier mit Erwartungen an die Sinneseindrücke: Ursprünglich für Blinde geschaffen, können die Muster der Brailleschrift in diesem Zusammenhang überhaupt nur durch Sehende gewürdigt werden.
 
Die Beleuchtung im Innenraum, ebenfalls von KLab gestaltet, betont und unterstützt die Elemente der Innenarchitektur. Für jeden Bereich des vielschichtig strukturierten Raumes wurden individuelle Lichtlösungen gefunden. Die Regale sind mit hinterleuchteten Wänden versehen, die zusätzlich indirektes Licht auf Fußboden und Decke werfen: So bilden sich Lichtinseln, die im Raum zu schweben scheinen. Die Decke der Drogerie zeichnet die organischen Formen des Raumes nach. Einzelne Spotlights sind in geschwungene, abgehängte Deckenelemente eingelassen, hinter Vorsprüngen verborgene Leuchtelemente sorgen zusätzlich für eine indirekte Beleuchtung, deren warmer Ton mit dem kühlen Licht der Schaukästen kontrastiert.
 
Vertraue dem Schein
 
In der Antike besuchte man das Theater, um vom reinigenden Effekt der Katharsis zu profitieren, heute bietet die Apotheke eine Bühne für ästhetische Sinneseindrücke – verkehrte Welt? Letztlich geht es darum, zu überzeugen. Und überzeugend ist, was gefällt. Dieser einfachen Wahrheit bedient sich das Design seit eh und je. Wen überrascht es da, dass die Placebo Pharmacy wie ein Bühnenbild mit visuellen Reizen spielt? Das griechische Wort „Théatron“ kommt vom Griechischen „anschauen”. Und der lateinische Begriff „Placebo“ war nicht immer ein medizinischer. Übersetzt bedeutet das lateinische Wort schlicht: „Ich werde gefallen.”
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Architektur, Interior Design, Light Design

KLab Architects

www.klab.gr

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