Schnitt in die Bohème
Das Pariser Architekturbüro Cut hat dieses Loft umgebaut. Mit dabei: viel Walnussholz und eine Schuhschrank-Perücke.

Minimalistisch, bunt, schräg oder schön? Pariser Bohème, Urban Chic oder Industriecharakter? Irgendwie ein bisschen von allem! Das französische Architektenduo Cut hat dieses alte Loft in ein zweigeschossiges Familiendomizil mit manch architektonischer Laune und ein paar wohldosierten Stilbrüchen verwandelt.
„Brechen mit den traditionellen Regeln, die zwischen Architektur, Kunst und Design herrschen“, so lautet die Unternehmensphilosophie von Benjamin Clarens und Yann Martin, die ihr 2008 gegründetes Architekturbüro auch nach diesem Motto benannten. Cut heißt es, und soll eine Kampfansage an die Monotonie des Wohnalltags sein.
Überraschender Pragmatismus
Auch das aktuelle Projekt von Cut, ein Loft im Herzen von Paris, trägt die typische Handschrift von Clarens und Martin: Auf den auf zwei Etagen verteilten 200 Quadratmetern kombinierten sie strenge Linien mit natürlichem Charme, Licht mit Dunkelheit sowie Tradition mit Moderne. Trotz der zahlreichen und teilweise überraschenden Gestaltungsideen wirkt das Loft jedoch auf keinem einzigen Quadratzentimeter überladen. Dies liegt nicht nur am reduzierten Einrichtungsstil, sondern auch und vor allem an der auffälligen Raumtransparenz, die sich aus den Vorstellungen der Auftraggeber ergab. „Viel Platz für geselliges Zusammensein mit Familie und Freunden und eine pragmatische Abgrenzung der notwendigen Privatsphäre von den gemeinschaftlichen Räumlichkeiten wünschten sie sich“, erzählt Architekt Yann Martin.
Insel im Großraum
Deshalb verwandelte das Duo von Cut die 66 Quadratmeter große, obere Etage in den Kinderbereich mit zwei Schlafzimmern und einem Bad, und schufen in der unteren einen abgetrennten Elternbereich. So blieb der größte Teil der Wohnfläche frei für einen durchgängigen Gemeinschaftsraum mit Küche, Essplatz, Wohn- und Kaminzimmer. In diesen Großraum planten die französischen Architekten jedoch zusätzliche, bei Bedarf „zuschaltbare“ Privatsphäre ein, indem sie ein Podest aus Walnussholz, gläsernen Wänden und Vorhängen vorsahen, das sich als Büro, Gästezimmer oder Rückzugsinsel im Familientrubel nutzen lässt und mit den Leuchten Aim von den Bouroullecs für Flos erhellt wird. Nach diesem multifunktionalen Raum neben der Eingangstür benannte das Architektenduo auch das gerade fertiggestellte Projekt: Glass & Walnut. Denn während die transparenten Glaswände bei nicht zugezogenen Vorhängen eine durchgängige Raum-, aber auch Lichttransparenz ermöglichen, findet sich das Walnussholz, oder zumindest sein markanter Farbton, jeweils im Herz der anderen Wohnbereiche wieder.
Industrielle Gemütlichkeit
Statt mit fragilem Glas kombinierten Cut das Walnussholz in der Küche jedoch mit rohen Backsteinwänden, den originalen, jetzt dunkel gestrichenen Pfeilern und High-Design-Ausstattung wie Leuchten von Louis Poulsen und Tom Dixon. Der fast metallisch glänzende Fußbodenbelag gibt der Wohnung gerade im Küchenbereich das gewisse Etwas Industriecharakter, der sich durch die ganze untere Etage bis in den Kaminbereich zieht. Dank einer Ledergarnitur in warmem Walnussbraun, dezent beleuchtet von Daniel Rybakkens Counterbalance für Luceplan, und dem kuscheligen Schaffell auf dem Sessel von Hans J. Wegner kommt hier die Gemütlichkeit aber nicht zu kurz.
Dunkle Bohème
Schnitt und Schwenk in die obere Etage, wo der Kinderbereich mit düster gestrichenen Wänden überrascht, die sich mit der sonst sehr einfachen Einrichtung und dem hier vorherrschenden Pariser Bohème-Stil – Stuck, Parkettfußboden und monumentalem Kamin – fast zu beißen scheinen. Einen mehr als symbolischen Schnitt zwischen den unterschiedlichen Stilen der beiden Wohnetagen konstruierte Cut, indem sie die interne Verbindungstreppe aus industriellem Stahl bauen ließen. Auf der Zwischenebene dieses Treppenaufgangs richteten die Architekten zudem einen kleinen Open Space mit Minibibliothek und Playstation ein, die vor den Umbauten als ungenutzter Lagerraum brachlag.
Schuhperücke
Wie das multifunktionelle Glaspodest im Wohnraum, zeugt auch der neu geschaffene Open Space von einer ziemlich genialen Raumkreativität, die dieses Projekt charakterisiert und sehenswert macht. Die teilweise recht launische Architektenhandschrift von Cut hingegen mag sicherlich Geschmacksache sein. So ist es nicht verwunderlich, dass sich überraschende Raumkreativität und Eigensinn auch in dem auffälligsten Einrichtungsgegenstand der Wohnung wiederfinden, der von Humberto und Fernando Campana für Edra entworfenen Cabana: Oder hätten Sie gedacht, dass sich unter der überdimensionalen Langhaarperücke dieses Möbels ein Schuhschrank versteckt?
FOTOGRAFIE David Foessel
David Foessel
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