Schwebezustand in Starnberg
Das Erdgeschoss öffnet sich komplett zum Garten, darüber kragt eine weitere Etage mit Lärchenholzfassade und Satteldach aus.
Im Film oder in der Literatur wäre dieses Gebäude die langerwartete Fortsetzung – nur mit anderen Protagonisten. Architekten zieren sich hingegen eher, an einen schon gebauten Entwurf anzuknüpfen, ihn zu adaptieren oder gar zu klonen. Warum eigentlich? HHF zeigen, wie ein Haus Geschwister bekommen kann.
HHF steht für Herlach, Hartmann und Frommenwiller: So lauten die Nachnamen dieses Architektentrios, mit dem man neben Ai Weiwei und Sichtbeton vor allem radikale Formen und mutige Entwürfe verbindet. Vor einigen Jahren sorgte ihr Haus D in der schweizerischen Gemeinde Nuglar für so viel Furore, dass es vom Deutschen Architekturmuseum und dem Callwey Verlag zum Haus des Jahres 2013 gekürt wurde. HHF Architekten hatten mit diesem „spektakulär-unspektakulären Haus“ den Preis bereits zum dritten Mal gewonnen. Kein Jahr später klopfte ein privater Bauherr an, dem das Wohnhaus so gut gefiel, dass er sich ein ebensolches wünschte. Der Bauplatz sollte in Starnberg sein: oberhalb des Westufers am gleichnamigen See.
Aus Haus D wurde Haus H und die Baseler Architekten Tilo Herlach, Simon Hartmann und Simon Frommenwiler holten für die Leistungsphasen nach der Vorplanung, also auch für den Entwurf, das Münchener Büro Jacob & Spreng mit ins Boot. Gemeinsam erarbeiteten die fünf Architekten aus dem Vorgänger ein ganz ähnliches Zuhause für die fünfköpfige Familie. Als einen „jüngeren, großen Bruder“ beschreiben die HHF das Starnberger Einfamilienhaus, dessen gläsernes Erdgeschoss sich komplett zum Garten öffnet. Darüber kragt eine weitere Etage mit Lärchenholzfassade und Satteldach aus. Für eben dieses Prinzip wurde Haus D mit dem Preis Häuser des Jahres ausgezeichnet.
Den notwendigen Grad an Privatheit lösen HHF über das Material: Glas und reflektierende Fassadenelemente aus verchromtem Stahl, in den sich die Landschaft spiegelt, bilden die fast unsichtbaren Außenwände des ebenerdigen Wohnbereichs. Der aus eingefärbtem Beton gegossene Erdgeschossboden orientiere sich hingegen an der Topographie des Grundstücks, erläutern die Architekten. „Teils raumgreifende Stufen nivellieren die unterschiedlichen Höhen zwischen dem Küchenbereich, dem Ess- und dem Wohnzimmer.“ Das umlaufende Holzdeck soll den „Schwebezustand“ und die Verbindung zwischen innen und außen betonen.
Im Inneren fällt ebenfalls eine besonders eigenwillige Materialauswahl ins Auge. Eine Ahornholztreppe führt in die privateren Räume im Obergeschoss. Die Kücheneinbauten sind aus Ulmenholz, während sich HHF für die Wandverkleidungen, Türen und Möbeleinbauten für Weißtanne als das beste Material entschieden. Die Tragkonstruktionen des Massivbaus wurden aus Beton gefertigt. Von der Hülle gelöst trägt dieser Betonkern das auskragende Obergeschoss und übernimmt die Erschließung und Versorgung.
Auch wenn der Entwurf ein jüngerer Bruder ist, er hat ein eigenes Gesicht. Die Unterschiede zwischen Haus D und Haus H aufzuzählen (drei statt zwei Fenster im Obergeschoss, Grundriss der Terrasse, Holzarten und Fassade) wäre wohl, wie die Beschäftigung mit einem dieser Suchbilder, in dem jemand fünf Fehler versteckt hat: mühsam und ohne Ziel. Denn es geht weniger um die Details, die Architekten wie HHF sowieso beherrschen. Haus H führt vor, wie man einen Entwurf in einem anderen Kontext für einen neuen Bauherren weiterbauen kann. Man muss nur mutig sein.
FOTOGRAFIE Jonathan Sage
Jonathan Sage
Fotograf
Jonathan Sage
House H
Privates Wohnhaus / 480 Quadratmeter Starnberg, 2014–2017
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