Sonntags im Wienerwald
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Fast jeder hat wohl seine ganz eigenen Geschichten zu erzählen aus dem Wienerwald. Meine geht so: An Omas Hand ging es in gestärkter Sonntagstracht zum Hendl-Essen ins Schnellrestaurant um die Ecke. Erst sieben Jahre alt, störte mich der Geruch nach gebratenem Hähnchen und frittierten Pommes nicht, ganz im Gegenteil: Als kleiner Steppke lief mir das Wasser im Mund zusammen ob so viel ungesunder, fettiger Kost, die bei Mama zuhause nicht auf den Teller kam. Mit diesen lieb gewonnenen Erinnerungen spielt auch die Neugestaltung der Wienerwald-Restaurants, an die sich das Stuttgarter Architektur- und Designbüro Ippolito Fleitz gewagt hat – und räumt radikal auf mit dem Klischee des ungesunden Essens, der altbackenen Einrichtung à la Eiche rustikal und den Geruchsschwaden von altem Frittenfett.
„Wissen S’, Ihna Hendlsuppn schmeckt ja net schlecht. Aber wer mag scho’ jeden Tag Hendlsuppn essen!? Könnten S’net amal die Hendl braten?“ Ein Gast hatte den Wienerwald-Gründer Friedrich Jahn, der 1955 sein erstes Restaurant in München eröffnet hatte, auf die Idee der gebratenen Hähnchen gebracht. Nach einer ungebremsten Expansionsphase während der „Wirtschaftswunder"-Zeit in den fünfziger und sechziger Jahren ging der Konzern 1982 bankrott und landete nach diversen Besitzerwechseln 2007 wieder im Schoß der Gründerfamilie, die die Markenrechte zurückerworben hatte. Seitdem ist eine Transformation im Gange, die nicht nur die komplette Umgestaltung des Interieurs betrifft, sondern auch die Speisekarte. Nicht mehr nur aufs gegrillte Hähnchen setzt man nun im Wienerwald, sondern auch auf Gesundes. Sprich: Bunte Salate müssen her und dazu passend werden selbst gemachte Saucen gereicht.
Das Konzept: von alten Sprüchen und neuen Tellern
Ein Werbespruch aus vergangenen Zeiten – „Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald“ –, jetzt aufgedruckt auf dekorative Wandteller, erinnert an ehemals ruhmreiche Zeiten, als der Wienerwald noch 174 Betriebe in 18 Ländern unterhielt. Die Zeiten haben sich geändert: Neben einer gesunden Ernährung gehört längst auch das passende Ambiente zum Essvergnügen. Nun also auch im Winerwald. Betritt der hungrige Gast die neu gestaltete Filiale des Hendl-Bräters in der Wasserburger Landstraße 198 in München-Trudering und erwartet die bekannte, altdeutsche Gemütlichkeit, wird er seinen Augen nicht trauen: Geradewegs geht es zu auf einen futuristisch anmutenden, monolithischen Tresen, an dem die Bestellung aufgegeben wird. Dort befindet sich zwischen den zwei Enden mit den Kassenbereichen auch die sogenannte Chopping Area. Hier wird nicht nur der Salat aus den in die Arbeitsplatte eingelassenen Behältern genommen und zerkleinert, sondern auch das Hähnchen – ehe alle Zutaten kokett auf einem Teller angerichtet werden. Über dem Tresen, dekorativ in einen grünen „Himmel“ eingelassen, befinden sich die hinterleuchteten Speisekarten des Restaurants – spätestens hier erinnert man sich: Wir sind in einem Schnellrestaurant zu Gast. Die mit Mosaiksteinen gefasste Wand hinter dem Tresen ist mit exakt eingefassten Einbauten aus Edelstahl versehen, zwischen denen sich – markiert durch einen grünen Leuchtpfeil – die Durchreiche zur Küche befindet. Hier muss übrigens niemand mehr die Nase rümpfen, denn eine professionelle Zu- und Abluft garantiert ein geruchsfreies Geschmacksvergnügen.
Das Farbmotto: von grünen Decken und weißen Wänden
Grün war ja schon immer die Corporate-Design-Farbe des Wienerwalds und an diese Tradition haben sich auch Ippolito Fleitz gehalten – schließlich soll der in die Jahre gekommene Stammkunde wenigstens ein paar vertraute Dinge wiedererkennen. Allerdings kommt das Grün jetzt nicht mehr altbacken und verstaubt daher wie anno dazumal, sondern zieht sich in verschiedenen Schattierungen durch die gesamte Gestaltung des 125 Quadratmeter großen Gastraums: von den Wänden über die Decken, die stoffbezogenen Lampenschirme bis hin zu den Accessoires. Zum Grün gesellen sich weiße Wände und Möbelstücke wie der Tresen mit Mineralwerkstoffoberflächen sowie Tische und Hocker aus demselben Material. Ein ganz besonderes Möbelstück haben die Architekten mit der sogenannten Servicestation entworfen, die vor dem Tresen platziert ist: Sie steht mit ihren stilisierten goldenen Hühnerbeinen auf einem Boden in rustikaler Holzoptik. Hier kann sich der Gast mit Besteck, Servietten, Gewürzen und Saucen versorgen – nicht nur das Essen ist eben immer noch Geschmackssache.
Die Aufenthaltsmöglichkeiten: von Stehtischen und Sitzgelegenheiten
Sitzgelegenheiten gibt es verschiedene in der Filiale in München-Trudering: zum einen sind da die weißen Stehtische und -stühle für den schnellen Imbiss zwischendurch gleich rechts vom Eingang, zum anderen die mit braunem Kunstleder bezogenen Bänke gegenüber. Sie laden ein zu einem längeren, komfortablen Sitzen. Grafische Elemente, die an Bäume und Hühner – die Symbole des Wienerwalds schlechthin – erinnern, ziehen sich durch den gesamten Raum. Mal trippelt eine Hühnerfamilie über die Vorderseite des Tresens, mal werden kreisrunde Spiegel mit einer Folie beklebt, die an einen stilisierten Wald erinnert. Und mal verdecken Schattenrisse von Bäumen und Laubwerk den Blick auf eine unwirtliche Straße irgendwo in München.
FOTOGRAFIE Zooey Braun
Zooey Braun
Links
Projektarchitekten
Ippolito Fleitz Group
Unterm Paradiesvogelteppich
www.designlines.deStrahlend weiß
www.designlines.deLack statt Leder
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