Projekte

Supermarkt auf LSD

In der neuen Rotterdamer Markthalle von MVRDV zieht es die Blicke nur in eine Richtung: nach oben.

von Norman Kietzmann , 18.08.2014

Flotter Shoppen: Im Zentrum von Rotterdam entsteht nach den Plänen von MVRDV eine Markthalle mit bühnenreifen Qualitäten. Mehr als 70 Stände werden ihre Waren künftig unter einem poppig-bunten Deckenbild anbieten – so groß wie anderthalb Fußballfelder. Damit am Abend rund um das Gebäude nicht die Lichter ausgehen, trägt die Halle Hunderte von Wohnungen Huckepack.

Himbeeren, Äpfel und Weintrauben fliegen durch den Raum – so groß wie vierstöckige Gebäude. Stolz streckt eine Riesenschnecke ihren Hals inmitten eines Kornfeldes empor, umringt von Kühen, Marienkäfern und Schmetterlingen in gigantischen Ausmaßen. Und über alledem schweben Fische wie anmutige Zeppeline vorüber, als wären die Wiesen und Meere gleichermaßen in die Schwerelosigkeit versetzt worden. 

Schwebendes Schlaraffenland
Was zunächst klingt wie ein halluzinogen befeuerter Ausflug in die Natur, ist längst gebaute Realität. Nur wenige Wochen vergehen noch, bis die neue Markthalle von Rotterdam Anfang Oktober eröffnen wird. Der Anstoß für das schwebende Schlaraffenland kam ausgerechnet von der Politik. Ein in den Niederlanden verabschiedetes Gesetz verschärfte die bislang geltenden Hygieneregeln. Die Folge: Auch die traditionell im Freien abgehaltenen Fisch- oder Fleischmärkte müssen künftig in geschlossenen Räumen stattfinden. 


Kulinarisch-urbane Verdichtung
Mit der Idee, die bevorstehenden Überdachungen zugleich als städtebaulichen Motor zu begreifen, konnte das Architekturbüro MVRDV 2004 den Wettbewerb für das Rotterdamer Großprojekt für sich entscheiden. „Wir haben uns gefragt, wie wir dieses Vorhaben nutzen können, um sowohl die Typologie des Marktplatzes als auch die Verdichtung des Stadtzentrums voranzubringen“, erklären die MVRDV-Gründer Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries.

Bahnhofshalle trifft Triumphbogen
Auf einem Filetgrundstück im historischen Kern der Hafenmetropole sollte eine lebendige Mischnutzung entstehen. Die architektonische Hülle dafür erinnert an einen Hybrid aus Bahnhofshalle und Triumphbogen: ein massives Gewölbe, das auf 100 Metern Länge und 40 Metern Höhe mehr als 70 Stände einhaust. Doch anders als bei den Kathedralen der Eisenbahnen dient das Dach nicht nur zum Schutz vor Wind und Wetter. Es wird als Medium der urbanen Verdichtung interpretiert und im überaus wortwörtlichen Sinne „belebt“.

Wohnen im Huckepack
Der Grund: 228 Wohnungen und 24 Penthouses, deren Größe zwischen 80 und 140 Quadratmetern respektive 140 und 300 Quadratmetern variiert, docken von außen an das Gewölbe an. Während breite Balkonbänder den Wohnraum zur Stadt hin öffnen, verfügt jedes Apartment über ein Fenster zum Innenhof mit direkten Ausblick auf den Markt. Lebendig wird es dort auch nach den Schließzeiten der Händler zugehen, wenn Restaurants und Bars auf einer erhöhten Galerie bis in die Abendstunden geöffnet bleiben. Zudem soll eine Kochschule entstehen, um neue wie alte Kunden an die gesamte Bandbreite der Lebensmittel heranzuführen. 

Digitales Fresko 
Doch ganz gleich, wie sehr sich die Lebensmittel- und Blumenhändler bei der Gestaltung ihrer Auslagen bemühen werden. Die Blicke zieht es in dieser Halle ohnehin vor allem in eine Richtung: nach oben. Auf einer Fläche von 11.000 Quadratmetern realisierte das Rotterdamer Künstlerduo Arno Coenen und Iris Roskam eine charmant-großspurige Antwort auf die historischen Deckenfresken von Kirchen und Kathedralen. Obst, Gemüse, Tiere und Blumen bevölkern das poppig-bunte Bildmotiv, das sich über die gesamte Innenseite des Gewölbes erstreckt. Neben seiner visuellen Opulenz bietet es den Kunden zugleich eine schnelle Orientierung beim Durchqueren der 5.500 Quadratmeter großen Marktfläche, indem die einzelnen Zonen für Fleisch, Fisch und Gemüse auf Anhieb erkennbar sind. 

Per Hollywood in den Kochtopf
Die Herausforderung des Projekts lag in seinen Dimensionen. Denn jeder gewöhnliche Computer würde sofort den Geist aufgeben, sollte er ein Bild in der Größe von anderthalb Fußballfeldern in druckfähiger Auflösung berechnen. Die Lösung fanden Coenen und Roskam in Kalifornien, wo sie Disneys Animationsstudio Pixar als Partner gewinnen konnten. Im Anschluss wurde das digitale Schlaraffenland von der holländischen Firma TS Visuals auf über 4000 Aluminiumpaneelen gedruckt und an die Decke der Markthalle montiert. Wer genau hinschaut, wird erkennen, dass die Metallplatten ab einer Höhe von acht Metern perforiert sind – der besseren Akustik wegen. Schließlich soll es in der Markthalle des 21. Jahrhunderts nicht zugehen wie in einem lärmenden Bahnhof.

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Links

Special: Superdutch

Das große Designlines-Themenspecial mit Architektur und Design aus den Niederlanden

www.designlines.de

Projektarchitekten

MVRDV

www.mvrdv.nl

Projekt

Markthal Rotterdam

www.markthalrotterdam.nl

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