Teatime am Meer
Wie in einer Fata Morgana erhebt sich ein skulpturenartiges Wesen am Strand von Littlehampton. Dort in West Sussex im Süden Englands, nur 90 Minuten entfernt von der pulsierenden Metropole London, scheint man sich in einer anderen Welt zu befinden. Direkt am Meer hat das Architekturbüro Studio Heatherwick ein außergewöhnliches Gebäude entworfen: Das East Beach Café. Hier kann man im Sommer essen und trinken, Freunde treffen oder einfach nur aufs Wasser schauen und dem Müßiggang frönen.
Archiskulptur
Der als Designer an der Manchester Metropolitan University und am Londoner Royal College of Art ausgebildete Thomas Heatherwick hat das Architektur- und Designbüro Heatherwick Studio 1994 gegründet und residiert in der Nähe des Londoner Bahnhofs Kings Cross. Sein besonderes Interesse gilt neben der Architektur und dem Produktdesign auch der Beschäftigung mit dem Skulpturalen, was an diesem Projekt besonders gut ablesbar ist: meint man doch eher eine begehbare Skulptur als ein traditionelles Gebäude vor sich zu haben. Wellenförmig schwingt sich die Fassade entlang des Wassers und gibt durch quer über die gesamte Fassade laufende Glasfenster und -türen den Blick frei aufs Meer.
Auftraggeber des 205 Quadratmeter großen East Beach Cafés war das Unternehmen Brownfield Catering, Fertigstellung des Projekts im Juni 2007. Thomas Heatherwick beschreibt die Idee des Gebäudes folgendermaßen: "The seaside at Littlehampton has a raw beauty. It isn't fiddly or fuzzy, or about dolphins and anchors, and our building has been designed to fit into this context. Our challenge is to build a functional and durable structure on a tight budget, where you can eat a Mr. Whippy or drink Dom Perignon." Ursprünglich gab es auf dem Gelände bereits einen Verkaufskiosk, der aber bei schlechtem Wetter keinen Schutz bot und deshalb abgerissen wurde. Das neue Café bietet nun Platz für 45 Gäste im Innen- und 80 Gäste im Außenraum, der über Holzplanken direkt an den Strand verlängert wird.
Das Meer stand Pate
Der Unterschied zur klassisch-weißen Bäderarchitektur Südenglands könnte größer nicht sein: Beim East Beach Café handelt es sich um ein einstöckiges Gebäude, das nach Süden ausgerichtet ist. Die lang gestreckte Form orientiert sich in ihrer Ausrichtung am alles beherrschenden Horizont. Beim Bau des Gebäudes spielte die Wahl der Materialien eine entscheidende Rolle. Dabei ging es nicht nur um die Herstellung eines optischen Erlebnisses, sondern auch darum, die Fassade dem rauen Meeresklima anzupassen. Ins Auge sticht vor allem die Außenverkleidung, die mit der Zeit verrostet, ohne in ihrer Substanz angegriffen zu werden. Sie wurde mit einem Spezialanstrich auf Öl-Basis versehen, um sie vor Wind und Wasser zu schützen. Das innen spartanisch in hellen Farben eingerichtete Café lebt vor allem von seiner spektakulären Lage am Meer und der für diesen Ort außergewöhnlichen Architektur Heatherwicks.
Das Meer stand auch Pate bei der Gestaltung der Speisekarte. Die Betreiber des Restaurants, Jane Wood und ihre Tochter Sophie Murray, bieten ihren Gästen saisonale Gerichte, viele davon von lokalen Produzenten. Sie erinnern an das maritime Umfeld des Cafés: Auf dem Menü stehen beispielsweise marinierte Shrimps, Rollmops oder geräucherte Makrelen. Der Fisch-Liebhaber kommt hier voll auf seine Kosten.
Von Ost nach West
Das East Beach Café ist solch eine Erfolgsgeschichte, dass noch diesen Monat das West Beach Café des jungen Architekten Asif Kahn eröffnet wird. Er zeichnet neben der Architektur auch für die Gestaltung von Tischen, Stühlen und Beleuchtungssystem verantwortlich. Wer organische Formen wie beim East Beach Café nicht so schätzt und es lieber geradlinig mag, ist hier richtig und das Besondere daran: Möbel, Licht, Stahlrahmen-Konstruktion und die Fenster wurden alle in Littlehampton gefertigt. Die Küche im West Beach Café ist auf ein ur-englisches Gericht spezialisiert: Fish and Chips. Dazu noch ein frisch gezapftes Half Pint in der Hand und der Sturm kann kommen.
FOTOGRAFIE Andy Stagg
Andy Stagg