Unter gleißender Sonne
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Mitten im Hochsommer 2010 feierte das Israel Museum in Jerusalem nach dreijähriger Rundumerneuerung seine Einweihung. Mit Rücksicht auf das Klima der Region hatte Architekt Alfred Mansfeld hier in den 60er Jahren hermetisch abgeschlossene Ausstellungsräume mit minimalem Tageslichteinfall geschaffen. Da die weltweit einzigartige Sammlung für Judaica, Archäologie und moderne Kunst stetig anwuchs, wurde jedoch bald eine Erweiterung der Ausstellungsfläche unumgänglich. Museumsdirektor James Snyder wünschte sich einen zukunftsweisenden Umgang mit der historischen Bausubstanz sowie dem facettenreichen Licht der Umgebung und beauftragte James Carpenter, den Spezialisten für einen in Jerusalem nur selten genutzten Baustoff: Glas.
Snyder war auf den New Yorker Designer aufmerksam geworden, als er einen Zeitungsartikel über das in Lower Manhattan entstehende Fulton Street Transit Center las. James Carpenter Design Associates (JCDA) entwarfen für dieses noch im Bau befindliche Großprojekt der städtischen Verkehrsbetriebe eine gigantische Glaskuppel, die Tageslicht in die unterirdischen Gänge reflektiert. Ein ähnlicher Ansatz erschien dem Direktor sinnvoll für die dringend benötigten Verbindungsgänge zwischen den verschiedenen Gebäuden seines Museums. Das wie die modernistische Interpretation eines arabischen Dorfes erbaute Nationalmuseum steht auf dem Neveh Sha´anan (Hügel der Stille). Dabei gab es einen entscheidenden Nachteil: Die Besucher mussten sich die Ausstellungsgebäude regelrecht erwandern – bei glühender Sommerhitze oder strömendem Winterregen.
Der schwierige Spagat zwischen Leichtigkeit und Achtsamkeit
James Carpenters Maxime ist es, das Unsichtbare sichtbar und das Spiel mit dem Licht zum eigentlichen Leitfaden seiner Entwürfe zu machen. Seit seinem Abschluss 1972 an der Rhode Island School of Design beschäftigt er sich mit Glas an der Schnittstelle von Kunst und Architektur. Dabei interessiert ihn nicht primär die Transparenz des Materials, sondern seine Art, Licht zu brechen und zu reflektieren. Das Israel Museum stellte ihn vor die Herausforderung, gleichzeitig so viel und so wenig Tageslicht wie möglich zuzulassen, einerseits Leichtigkeit zu vermitteln und andererseits äußerst wertvolle Sammlungsstücke vor intensiver und schädlicher UV-Strahlung zu schützen. In Zusammenarbeit mit den Architekten von Efrat-Kowalsky aus Tel Aviv entstand eine Serie quaderförmiger Glaspavillons, umhüllt von einem maßgefertigten Lamellensystem, das Sonnenlicht gleichermaßen blockiert und reflektiert. Modelle dienten der Ermittlung optimaler Form und Wölbung der Lamellen, die anschließend mit der Gebäude-Analyse-Software Ecotect überprüft wurden. Die digitale Visualisierung künftiger Licht- und Blendverhältnisse half bei der Überzeugung der musealen Baukommission, die angesichts des gläsernen Entwurfs für einen so sonnenreichen Standort wie diesen zunächst leise Zweifel an der Kompetenz des Architektenteams anmeldete.
Maßgefertigter Sonnenschutz aus dem hohen Norden
In enger Zusammenarbeit mit der Firma Moeding, einem Hersteller von Keramikfassaden aus München, entwickelten James Carpenter Design Associates Lamellen aus Terrakotta, die sich farblich organisch in die Umgebung einfügen und das Sonnenlicht auf die gewünscht diffuse Art nach Innen reflektieren. Die einzelnen Lamellen wurden mithilfe spezieller Aluminiumklemmen befestigt und in Krümmung und Größe der jeweiligen Himmelsrichtung angepasst. Eine Serie entstand für die nach Osten und Westen ausgerichteten Pavillons, eine weitere für die Nord- und Südseite. Da Messungen gezeigt hatten, dass die West- und Ostseite einer Sonneneinstrahlung von bis zu 454 Watt pro Quadratmeter ausgesetzt waren, erweiterte man das Profil der dortigen Lamellen und verringerte ihre Abstände. Der Wölbungswinkel der Profil-Oberseiten bestimmt, wie viel natürliches Licht letztendlich in die Ausstellungsräume gelangt. Die jeweiligen Unterseiten reflektieren wiederum die umgeleiteten Sonnenstrahlen und verursachen zusätzliche Lichtreflexe. Das System ermöglicht jedoch nicht nur gleichzeitige Raumerhellung und -kühlung. Dank seiner Durchlässigkeit erlaubt es eine symbiotische Erfahrung von Kunst und Kontext. Der Blick des Besuchers schweift von innen nach außen, über den Skulpturengarten und Olivenhain auf dem Nachbarhügel mit dem monumentalen Bau des israelischen Parlaments.
Wer Glas sagt, meint Licht
Auch die lang ersehnten Verbindungsgänge profitieren von gelenktem Tageslicht. Über Oberlichter und Wandverglasungen wird einfallendes Licht gebrochen und gespiegelt, so dass eine angenehme Helligkeit entsteht. Olafur Eliassons Auftragswerk Whenever the rainbow appears leitet den Besucher an den Farben des Lichtspektrums entlang zum neuen Eingangspavillon. Der Shrine of the book von Frederick Kiesler mit den wertvollen Schriftrollen aus dem Toten Meer kann nun ebenso entspannt erreicht werden wie Anish Kapoors neue Skulptur, das fünf Meter hohe Stundenglas Turning Jerusalem upside down. Die Erweiterung der wohl wichtigsten Kulturinstitution Israels fügt sich auf den ersten Blick nicht in die Serie Aufsehen erregender Museumsneubauten der letzten Jahre ein, beim zweiten Hinsehen stellt sie jedoch viele Regeln auf den Kopf. Wenn die beiden Amerikaner James Snyder und James Carpenter vom Licht Jerusalems sprechen, geraten sie leicht ins Schwärmen – über seine vibrierende Intensität, sein warmes Farbspiel, seine verschiedenen Facetten. JCDA und Efrat-Kowalsky machten es zu ihrem Baumaterial. Kritische Sitmmen mögen dem erneuerten Israel Museum vorwerfen, es vereine universelle Architektur mit globaler Konsenskunst. Die seit dem 100 Millionen Dollar schweren Umbau rasant gestiegenen Besucherzahlen sprechen jedoch für sich.
FOTOGRAFIE Tim Hursley, courtesy: Israel Museum
Tim Hursley, courtesy: Israel Museum
Links
Projektdesigner
www.jcdainc.comProjektarchitekt
www.efrat-kowalsky.co.ilKeramikfassaden
www.moeding.deMehr Projekte
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