Projekte

Virtuelle Zeitreise

von Katja Neumann, 24.09.2010


Als erstes deutsches Naturdenkmal wurde die Fossilienfundstätte Grube Messel in der Nähe von Darmstadt 1995 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen. Seitdem strömen jährlich zahlreiche Besucher zu der rund 100 Meter tiefen Grube, im vergangenen Jahr waren es etwa 25 000. Dennoch hat es 15 Jahre gedauert, bis das Land Hessen ein Besucherinformationszentrum an der Original-Fundstätte errichten ließ, die im August dieses Jahres endlich den bisherigen Info-Baucontainer ablöste. Doch das Warten hat sich gelohnt, denn in dem neuen Zentrum durchwandern die Besucher in der Ausstellungsarchitektur nun virtuell 47 Millionen Jahre Evolution und besichtigen Gesteinsschichten in 433 Metern unter die Erde. Verantwortlich für die mediale Inszenierung der neuen Ausstellungsarchitektur zeichnet iart interactive aus Basel.


In dem ehemaligen Vulkankratersee Grube Messel wurden zwischen Ölschieferplatten inzwischen rund 40 000 Fossilien gefunden, unter anderem auch „Ida“, das weltweit älteste komplett erhaltene Fossil eines Primaten, durch das die Grube international bekannt wurde. Die Fossilien sind in mehreren Museen ausgestellt, unter anderem im Senckenberg Museum und im Hessischen Landesmuseum. Daher sollte das neue Besucherinformationszentrum am Fundort auch ausdrücklich kein Museum im klassischen Sinn sein. Die Intention der Auftraggeber – das Land Hessen und das Welterbe Grube Messel – bestand darin, den zunehmenden Besucherströmen, die inmitten einer Industriegegend lange nur in ein Loch schauen konnten, einen attraktiven Anlaufpunkt zu bescheren.

Information und Wissen auf spielerische Art

Im Rahmen eines 2004 ausgeschriebenen Wettbewerbs entschieden sich die Bauherren für einen Entwurf der Münchner Architekten Landau und Kindelbacher, der das Thema der geologischen Schichtung in Form von durchgehenden Wandscheiben aus Sichtbeton in die Architektur aufnimmt. Aus dieser baulichen Gliederung ergibt sich die innere Aufteilung, die von unterschiedlichen Höhen, den Wechsel von engen und weiten Räumen sowie hellen und dunklen Zonen geprägt ist. Das Interiordesign sowie die Gesamtszenografie der Dauerausstellung „Zeit und Messel Welten“ stammt vom Schweizer Büro Holzer Kobler Architekturen. Ziel der Ausstellungsgestaltung ist es, Informationen zur Grube Messel und den Fossilienfunden auf spielerische Art zu vermitteln und atmosphärisch erlebbar zu machen, wobei auch Fakten und wissenschaftliche Hintergründe einbezogen werden. Für die mediale Inszenierung der Ausstellung beauftragten Holzer Kobler das Büro iart interactive.

Rundgang durch die Evolutionsgeschichte

Die Ausstellung ist so angelegt, dass der Besucher in einem Rundgang sinnbildlich vier Gesteinsschichten durchwandert. Bereits im Foyer wird in einem dynamisch illuminierten Leuchtkasten ein Bild des für die Grube charakteristischen Ölschiefers gezeigt. Im ersten Ausstellungsraum zum Thema „Landschaft“ wird anschließend die Entstehung der Grube thematisiert, unter anderem mit einem dreizehnminütigen Spielfilm. Der nächste Raum steht unter dem Motto „Vulkanismus“: Hier findet sich der Besucher inmitten eines runden Raums virtuell auf dem Kraterwall eines Vulkans wieder, bereit für eine geologische Zeitreise. Über eine 360-Grad-Projektion wird eine Fahrt in das 433 Meter tiefe Bohrlochs simuliert. Acht Projektoren sowie verschiedene Soundsysteme vermitteln filmisch und akustisch den Eindruck, in einem Aufzug zu fahren, der in unterschiedlichen Zeitaltern haltmacht, zum Beispiel bei der Entstehung des Maarsees vor 47 Millionen Jahren. In der Tiefe angekommen, können die Besucher „aussteigen“ und den 24 Meter langen, originalen Bohrkern entlang gehen, der erst im Jahr 2001 auf 433 Meter Tiefe ausgeweitet wurde. Hier werden schließlich die verschiedenen Gesteinsschichten anschaulich beschrieben.

Ein Tag im Urwald

Der dritte Raum versetzt den Besucher in einen eozänen Dschungel. Auf den Wänden sind große, silhouettenhafte Illustrationen angebracht, über die mittels verschiedener Spiegelscannersysteme animierte Projektionen wandern: So werden ausgestorbene Tiere, wie Lemuren oder Urpferdchen,  und die urzeitliche Natur medial wiederbelebt. Simuliert wird in diesem „Regenwaldraum“ durch eine sich an den Tages- und Nachtrhythmus anpassenden Ton- und Lichtinszenierung ein ganzer Tagesablauf im Urwald. Der letzte Raum schließt ab mit der Evolutionsgeschichte und zeigt, wie heutige Tier- und Pflanzenarten von den Urtieren abstammen. Hier befindet sich auch das Herzstück der Ausstellung, in der einige ausgewählte originale Fossilienfunde aus der Grube Messel gezeigt werden. Das Primatenfossil Ida sucht man jedoch vergeblich. Dieses befindet sich inzwischen in Oslo, wo es im dortigen Naturkundemuseum ausgestellt ist.

Gestein als zentrales Motiv

Weitere Informationen erhalten die Besucher über klassische Bildschirme oder auch über diverse Touchscreens. Ein Highlight ist dabei die sogenannte „Schaupräparation“: Über einen Monitor kann die Präparation eines Fossils anhand eines Mikroskopbildes live verfolgt werden. Auch die meterhohen, farbenfrohen Illustrationen der Zürcher Agentur Visual Dope, die mittels Negativ-Schablonen direkt auf den Beton aufgebracht wurden, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Das Gesteinsmotiv findet sich nicht nur in der Architektur, sondern auch im gesamten Inneneinrichtungskonzept wieder: Von den kristallin geformten Vitrinenkörpern über die versetzt integrierten Einbauten bis hin zum Farbkonzept, das von den vielfältigen Nuancen der Gesteinsschichten inspiriert ist und sich vom nüchternen Sichtbeton abhebt.

Dass die Grube Messel nun über ein repräsentatives Besucherinformationszentrum verfügt und nicht zu einer von Europas größten Mülldeponien wurde, ist in erster Linie einer Bürgerbewegung zu verdanken, die rund zwanzig Jahre gegen die eigentlichen Pläne des Landes kämpfte, die Grube Messel mit Müll aufzufüllen. An diese bewegte Vergangenheit erinnert architektonisch nur noch die große Rampe, die eigentlich zur Müllverladung dienen sollte, nun aber in das Gebäude integriert wurde. Die Ausstellung dagegen zeigt diese Geschichte anhand einzelner Exponate im Foyer sowie anhand eines Spielfilms, der im ersten Raum des Rundgangs gezeigt wird. Dieser stellt den Kampf der Bürgerinitiative für die Erhaltung der Fossiliendfundstätte an Originalschauplätzen mit Schauspielern nach und sorgt unterdessen mehr für Ärger als für Freude. So erklärte Margit Oppermann, Mitbegründerin der Bürgerinitiative und fünfzehn Jahre lang deren Vorsitzende, gegenüber der Frankfurter Rundschau, der Film sei „aufgezogen wie eine Soap-Opera“. Auch zur Eröffnungsveranstaltung sollen die Mitglieder der Bürgerinitiative nicht eingeladen gewesen sein. Damit schreibt das Land Hessen leider ein eher unrühmliches Kapitel in der an sich langen und spannenden Geschichte der Grube Messel.


Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Grube Messel

www.grube-messel.de

Landau + Kindelbacher Architekten

www.landaukindelbacher.de

Holzer Kobler Architekturen

www.holzerkobler.ch

iart interactive

www.i-art.ch

Visual Dope

www.visualdope.com

BauNetz Meldungen

Landau + Kindelbacher Architekten

Alle BauNetz Meldungen

BauNetz Meldungen

Holzer Kobler Architekturen

Alle BauNetz Meldungen

Mehr Projekte

Neues Licht fürs Quartier

TRILUX inszeniert den Potsdamer Platz in Berlin mit Manufakturleuchten

TRILUX inszeniert den Potsdamer Platz in Berlin mit Manufakturleuchten

Rückzugsort für Macher

Lichtinszenierungen im Coreum Hotel von Studio De Schutter

Lichtinszenierungen im Coreum Hotel von Studio De Schutter

Licht als Szenografie

Artemide illuminiert den neuen BMW Showroom in München

Artemide illuminiert den neuen BMW Showroom in München

Licht für die Stille

Neue Beleuchtung für die Meereskapelle Upinniemi in Finnland

Neue Beleuchtung für die Meereskapelle Upinniemi in Finnland

Wohnliche Aussichtstürme

Elva Hotel in Norwegen von Mange Bekker Arkitektur

Elva Hotel in Norwegen von Mange Bekker Arkitektur

Filmreife Kulisse

Ein Arbeitsplatz in Berlin-Kreuzberg als cineastische Hommage von RHO

Ein Arbeitsplatz in Berlin-Kreuzberg als cineastische Hommage von RHO

Tanzen mit OMA

Nachtclub Klymax auf Bali in Kooperation mit DJ Harvey

Nachtclub Klymax auf Bali in Kooperation mit DJ Harvey

Disko unterm Fresko

Umbau einer Villa am Comer See durch J. Mayer H.

Umbau einer Villa am Comer See durch J. Mayer H.

Licht verbindet

Umbau und Erweiterung der alten Buntweberei in Eislingen

Umbau und Erweiterung der alten Buntweberei in Eislingen

Duale Spirale

Neuer Bershka-Shop von OMA in Mailand

Neuer Bershka-Shop von OMA in Mailand

Effizienter Holzbaukasten

Büroneubau in Oslo mit durchdachter Lichtplanung

Büroneubau in Oslo mit durchdachter Lichtplanung

Nachhaltig, individuell, vernetzt

Die neuen Lichtlösungen für moderne Arbeitswelten von TRILUX

Die neuen Lichtlösungen für moderne Arbeitswelten von TRILUX

Kulturelle Schnittstelle

Neue Showrooms von JUNG in Europa und Asien

Neue Showrooms von JUNG in Europa und Asien

Schaufenster fürs Licht

Neues Studio der Lichtmanufaktur PSLab in Berlin

Neues Studio der Lichtmanufaktur PSLab in Berlin

Licht im Gewölbe

Apartmentumbau in Valencia von Balzar Arquitectos

Apartmentumbau in Valencia von Balzar Arquitectos

Atmosphärisch und funktional

Lichtkonzept für das Berliner Spore Haus von Licht Kunst Licht

Lichtkonzept für das Berliner Spore Haus von Licht Kunst Licht

Leuchtende Architektur

RHO gestaltet einen flexiblen Eventspace in Berlin

RHO gestaltet einen flexiblen Eventspace in Berlin

Sprechende Wände

Paul Smith blickt auf das Werk von Pablo Picasso

Paul Smith blickt auf das Werk von Pablo Picasso

Belebter Backstein

Mehrfamilienhaus in ehemaliger Textilfabrik in Melbourne

Mehrfamilienhaus in ehemaliger Textilfabrik in Melbourne

Baumhaus am Hang

Balmy Palmy House von CplusC Architectural Workshop in Australien

Balmy Palmy House von CplusC Architectural Workshop in Australien

Der Periskop-Effekt

Hausumbau von Architecture Architecture in Melbourne

Hausumbau von Architecture Architecture in Melbourne

Shoppen im Wattebausch

Neue Jacquemus-Boutiquen von AMO in Paris und London

Neue Jacquemus-Boutiquen von AMO in Paris und London

Tanz in der Luft

Café Constance in Montreal von Atelier Zébulon Perron

Café Constance in Montreal von Atelier Zébulon Perron

Heim aus Holz

Neubau eines Wohnhauses von Russell Jones in London

Neubau eines Wohnhauses von Russell Jones in London

Schwimmendes Smart Home

Modernes Yachtdesign mit intelligenter KNX-Technik von JUNG

Modernes Yachtdesign mit intelligenter KNX-Technik von JUNG

Ins rechte Licht gerückt

Medienfassade erleuchtet nachhaltige Landstromanlage am Port of Kiel

Medienfassade erleuchtet nachhaltige Landstromanlage am Port of Kiel

Hommage ans Licht

Haus des kanadischen Architekten Omar Gandhi in Halifax

Haus des kanadischen Architekten Omar Gandhi in Halifax

Polychrome Praxis

12:43 Architekten gestalten Behandlungsräume in Le Corbusier-Farben

12:43 Architekten gestalten Behandlungsräume in Le Corbusier-Farben

Um die Bäume gebaut

Schwebender Anbau in Montreal von TBA

Schwebender Anbau in Montreal von TBA

Louise in Lissabon

Im Restaurant von DC.AD trifft Art déco auf Neonlicht

Im Restaurant von DC.AD trifft Art déco auf Neonlicht