Stories

Alleskönner, Möchtegerne, Taugenichtse – Ambiente 2014

Neuheiten, Absurditäten und, ja, auch Erkenntnisse: die weltgrößte Konsumgütermesse in Frankfurt.

von Claudia Simone Hoff, 11.02.2014

Wer Überflüssiges im Überfluss sehen will, für den ist Frankfurt das richtige Reiseziel. Nicht immer zwar, aber unbedingt im Februar. Denn die ambiente verteidigte ihren Ruf als größte Konsumgütermesse der Welt. Die Zahlen können sich sehen lassen: 4724 Aussteller brachten sich und ihre Produkte auf dem 329300 Quadratmeter großen Messegelände in Position. Darunter Schönes und zuweilen Überraschendes, aber auch viele Dinge, die man wirklich nicht haben muss. Mitgebracht haben wir außerdem manche Erkenntnis über eine Branche im Umbruch.

Eine Frage schoss einem unwillkürlich durch den Kopf beim Durchstreifen der weitläufigen Messehallen: Brauchen wir all diese Dinge wirklich, und wer soll sie kaufen? Und doch scheint das Geschäft mit dem Habenwollen noch immer zu funktionieren. Nicht nur wird der private Konsum laut dem ifo Institut für Wirtschaftsforschung in Deutschland dieses Jahr um 1,5 Prozent zunehmen. Der deutsche Glas-, Porzellan-, Keramik- und Besteck-Fachhandel (GPKB) vermeldet zumindest konstante Umsätze im Vergleich zum Vorjahr, auch wenn die Branche weiter kämpft. 34 Prozent der Umsätze entfallen auf den Bereich Küche/ Hausrat, gefolgt von 30 Prozent für den Bereich Tisch.

Weg und wieder da
Diese Zahlen spiegelten sich auch in der Betriebsamkeit der Messehallen. Für Designliebhaber waren insbesondere die Hallen 1.2, 3.1, 4.0 und 4.1 interessant – mit Herstellern wie Kinto, Joseph Joseph, WMF, Fissler, Le Creuset, Alessi, JIA, Rosenthal, Iittala, Royal VKB, Menu und Stelton/ RIG-TIG. Erfreulich dabei: Traditionsreiche High-End-Marken wie Royal Copenhagen, Lalique und Georg Jensen haben nach Jahren der Abstinenz den Weg zurück nach Frankfurt gefunden und sich zu ebenfalls im oberen Preissegment positionierten Marken wie Fürstenberg, Robbe & Berking und Lladró gesellt. Vielleicht ist dies ein Signal für Manufakturen wie KPM, Theresienthal und Hering Berlin – früher auch auf der ambiente präsent – wieder nach Frankfurt zu kommen und sich nicht mit der Pariser Maison & Objet zu begnügen.

Sein und Schein
Ohne aufwändig gestaltete Messestände geht bei den großen Anbietern nichts mehr. Schließlich müssen die Produkte mit der notwendigen Aura versehen werden. Mit einer gelungenen Inszenierung machte Rosenthal auf sich aufmerksam. Im Mittelpunkt der Standgestaltung standen drei Produktneuheiten: die Vasenkollektion Collana von Sebastian Herkner (die Porzellan mit Glas kombiniert und sehr variantenreich ist), das Dekor BIG Cities von BIG und Kilo Design (aufgebracht auf dem Formklassiker TAC von Walter Gropius) und das Dekor Format Unsealed der litauischen Jungdesignerin Inesa Malafej (bei dem farbige Bildpunkte über die Porzellanoberfläche wabern). Highlight der Standgestaltung der Rosenthal-Sambonet-Gruppe aber war Hutschenreuther. Hier hatten die Stylisten ganze Arbeit geleistet und zum 200. Geburtstag die alten Dekore ganz frisch mit zitronengelben Glanzpunkten inszeniert. Ein paar Schritte weiter zeigte die Silbermanufaktur Robbe & Berking, wie aufwändig die Fertigung der neuen Kollektion Hermitage ist, die bis zur Fertigstellung durch siebzig Hände geht. Ein Handwerker demonstrierte vor Ort die Hammerschlagtechnik, mit der die charakteristischen Einkerbungen auf der Oberfläche von Silberbesteck und -schale entstehen.



Alles Möbel oder was?
2187 Aussteller stellten im größten Messebereich Dining ihre Neuheiten vor. Doch wo Dining draufsteht, kann durchaus auch mal Living drin sein. Waren Alessi und Menu in den letzten Jahren mit mehr oder weniger gelungenen Kleinmöbel- und Leuchten-Kollektionen vorgeprescht, wagt sich nun auch Rosenthal in den Möbelbereich und besinnt sich auf die Wurzeln der studio-line, zu der bereits in den Sechzigern Möbel gehörten. Marketingleiter Andreas Gerecke will die Marke nach vorn bringen: mit einer Ausweitung ins Lifestyle-Segment. Rosenthal Interior heißt die anspruchsvolle Möbelkollektion mit Daybed und Sessel (s359 c und k200 a), einer Tischplatte auf Böcken (s357 t), dem Beistelltisch s359 ot und einer Hängeleuchte (l1 p). Die Materialien: weiches Leder, gebürstetes Messing, geräucherte Eiche. Wo die Kollektion verkauft werden wird, steht noch nicht fest. Doch eines ist jetzt schon sicher: Als Porzellanhersteller mit Möbeln Geld zu verdienen – das wird kein einfacher Weg. Einen ähnlichen Spagat wagt Nude. Das gerade lancierte Label, das zum türkischen Paşabahçe-Imperium gehört, war die Überraschung der Messe. Von der Standgestaltung bis zu den Produkten – Tableware und Leuchten – stimmte alles. Das Konzept: drei verschiedene Kollektionen, die sich durch funktionales Design in klarer Linienführung, einer reduzierten Farbpalette von Rosé-, Hellgrau- und Weißtönen sowie Materialkombinationen auszeichnen.

(Un)aufgeregt
Damit trifft Nude genau den Zeitgeist: Materialkombinationen und Pastelltöne waren 2014 auf der ambiente fast überall zu sehen. So präsentierte Sambonet die im letzten Jahr als Prototyp vorgestellte Topfkollektion aus Terracotta in Beige-, Braun- und Grüntönen, während es die Gewürzmühlen von Menu nun auch in Rosa gibt und Stelton mit der Isolierkanne Emma auf Nuancen von Blau setzt. Oder aber Serax: Der niederländische Hersteller wartete mit einer weißen Porzellankollektion von Piet Boon auf (Base) und folgte dem Pastelltrend mit den asymmetrischen Metallkörben von Antonino Sciortino in Türkis und Beige. Was bereits im letzten Jahr zu beobachten war, setzt sich dieses Jahr fort: Neben den Dauerbrennern Farbe und Dekor sind es vor allem die Materialien, mit denen sich die Hersteller vergleichsweise kostengünstig versuchen, von der Konkurrenz abzugrenzen. Manchmal gelingt das ganz gut – wenn beispielsweise RIG-TIG eine Wasserflasche aus Glas mit einem originellen Verschluss aus Kunststoff kombiniert oder Menu mit den Storage Stone Jars Steingut mit Kork verbindet. Doch Menu war es auch, der für den Aufreger der Messe sorgte und zwar gleich in doppelter Hinsicht. Nicht nur ist beim Beer Foamer die Kombination von Kunststoff und Kupfer eine haptische und visuelle Zumutung. Aber wozu, bitte schön, muss man Bier aufschäumen? Nach diesem Fauxpax dem Bier abgeschworen, konnte sich der Besucher dem neuen (alten) Kultgetränk zuwenden: Tee. Viele Aussteller zeigten komplette Teewelten, inklusive Accessoires (wie Blomus). Rosenthal hatte gleich zwei neue Teeservice nach Frankfurt mitgebracht: Während Sebastian Herkner bei seinem Entwurf Wan weißes Porzellan mit Glas kombiniert, setzt die italienische Designerin Federica Capitani mit Cha auf japanische (Gestaltungs-)Traditionen. Aus Japan – in diesem Jahr Partnerland der ambiente und berühmt für seine Teekultur – kommt auch ein anderer Entwurf, der auffiel: die Teekanne Ridge von Kinto, die mit ihrer asymmetrischen Form das Handgelenk entlasten soll.

Entdeckungen
Zwar zogen erneut fast ausschließlich die Schwergewichte der Branche alle Aufmerksamkeit auf sich, doch gab es glücklicherweise auch in diesem Jahr einige Endeckungen abseits der ausgetretenen Pfade zu machen. Dem verführerischen Duft des Tees folgend, gab es am Stand von Lin’s Ceramic Studio aus Taipeh nicht nur eine kleine Teezeremonie mitzuerleben und das dampfende Heißgetränk aus winzig kleinen Schälchen zu kosten. Es lockten schlichte, getöpferte Gefäße und Schalen der Serien Divan und +Divan.

Handwerk, wenn auch ganz anders als bei den Taiwanesen, zeigte Silo Design. Das neu gegründete Label aus Dänemark stellte zum ersten Mal auf der ambiente aus. Es sei nicht leicht, eine neue Marke im Markt zu etablieren und geeignete Hersteller für die Produkte zu finden, erzählte Inhaber Jørgen Larsen. Zwar ist die Kollektion von Silo Design noch recht übersichtlich, doch es ist vor allem ein Produkt, das Anlass zur Hoffnung gibt: ein industriell anmutender Grill, mit dem sich gleichzeitig Koteletts grillen und Spieße drehen lassen.

Im Haifischbecken
Apropos Fertigung: Immer mehr europäische Hersteller verlagern ihre Fertigung nach Asien. Nicht nur wird Arne Jacobsens legendäre Cylinda Line (Stelton) inzwischen nicht mehr in Dänemark, sondern in China hergestellt. Selbst ein Traditionsunternehmen wie Royal Copenhagen erschreckte mit dem auf der Verpackung einer neuen Osterschale prangenden Hinweis „Designed in Denmark, made in Sri Lanka“. Hinter verborgener Hand bekam man bei einigen Herstellern die Auskunft, dass niemand mehr teuer in Westeuropa hergestellte Produkte kaufen würde und man deshalb billiger produzieren müsse. So gesehen ist es ehrlicher ein Made in Asia zuzugeben, statt dem Kunden ein Made in Germany vorzugaukeln, wie es übrigens einige deutsche Porzellanhersteller tun. Dazu passt, dass WMF gerade vom amerikanischen Finanzriesen Blackrock geschluckt wurde, was nichts Gutes verheißt. Und doch gibt es auch positive Aussichten. Hersteller, die nicht nur auf gutes Design setzen, sondern auch auf eine adäquate (handwerkliche) Fertigung im Inland, zum Beispiel. So hat Rosenthal mit Cha ein Teeservice lanciert, bei dem die komplett schwarz durchgefärbte Kanne zwar knapp 400 Euro kostet, doch dafür in Deutschland hergestellt wird. Oder Kahla. Die Thüringer verzichten auf Zulieferungen und fertigen ihre Kollektionen komplett in Deutschland, wie Marketingleiterin Sheila Rietscher bestätigt.

Ende gut, alles gut
Wieder einmal hat sich die Branche auf der ambiente selbst gefeiert. Doch im Unterschied zum letzten Jahr, wo ein Großteil der Hersteller sich ausgeruht hatte und lediglich Farb- und Dekorvariationen sowie Produktergänzungen präsentierte, gab es bei dieser Messeausgabe viele wirkliche Neuheiten zu sehen. Darunter Highlights wie die Prototypen der Aldo-Bakker-Kollektion von Georg Jensen – die mit ihren skulptural anmutenden Öl- und Essigset, Krug und Zuckerdose mehr mit Kunst als mit Produktdesign zu tun hat – oder die feinen Keramiken von Lin’s Ceramic Studio. Erfreulich ist auch die Rückkehr von Herstellern wie Lalique, Royal Copenhagen und Georg Jensen, die das Niveau der Messe deutlich hoben. Die Neupositionierung der ambiente vor einigen Jahren macht sich nun anscheinend ausbezahlt. Die anderen müssen sich warm anziehen!

Designlines hat auch Medaillen vergeben – und zwar gleich in fünf Disziplinen! Wer unsere persönlichen Gewinner und leider auch Verlierer der ambiente 2014 sind, lesen Sie hier.

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Links

Ambiente

Messe Frankfurt

ambiente.messefrankfurt.com

Ambiente 2014

Eine Vorschau

www.designlines.de

Ambiente 2013

Less is a bore

www.designlines.de

Ambiente 2012

Fehlende Leuchttürme

www.designlines.de

Ambiente 2011

Einfälle, Reinfälle, Ausfälle

www.designlines.de

Gold, Silber und Bronze!

Unsere Gewinner und Verlierer der Ambiente im Überlick

www.desinglines.de

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