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Ambiente 2015: Plus Minus Zero

Resümee aus Frankfurt: eine Branche zwischen Me too-Einerlei und Sich-Nicht-Trauen-Mentalität.

von Claudia Simone Hoff, 17.02.2015

Die Konsumgütermesse Ambiente stellt sich gern als Superlativ dar. 4.811 Aussteller, 27 Hallenebenen, 328.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, tausende Produkte. Größer plus schneller ist gleich: besser? Leider nein. Es fehlte an allem: Innovationen, Inspirationen, Ideen.  

Was blieb nach fünf hektischen Messetagen in Frankfurt am Main? Vor allem die Frage, ob und wie die Branche zu retten sei. 2.211 Hersteller waren zwar allein im Messebereich Dining vertreten. Doch viele der Tabletop- und Küchenhelfer-Hersteller wirkten wie in Schockstarre und präsentierten: a) Dinge, die kein Mensch braucht, b) schlechtes Design, c) Abwandlungen bestehender Kollektionen, die als Neuheiten getarnt wurden. Kein Wunder bei diesem Umfeld, dass einige Unternehmen den Weg nach Frankfurt erst gar nicht gefunden hatten und lieber nach Paris zur Maison & Objet gefahren sind. Das ist schade, sind es doch gerade High-End-Hersteller wie Fürstenberg, Lalique und Sieger Design, die wichtige Impulse im Gros der Massenhersteller geben. Auch ein schlechtes Zeichen, wenn Hersteller mit ausgeprägtem Designanspruch das Weite suchen – JIA und Tonfisk beispielsweise.

Kirmesbuden und Designerstände
Verwundert die Augen rieb man sich vor allem in Halle 4.1. Wie Kirmesbuden reihten sich kleine Stände von Herstellern aus dem Contract Business aneinander. Güldene Geschmacklosigkeiten, uninteressantes Hotelporzellan und kitschige Geschenkartikel von schlechter Design- und Fertigungsqualität haben in der Sektion Table Prestige eigentlich nichts zu suchen. Und werten gleichzeitig qualitätsbewusste Hersteller wie Rosenthal, Schott/ Zwiesel, Vista Alegre und Villeroy & Boch ab, die gleich nebenan ihre Stände haben. Sie dürften deshalb nicht glücklich sein über die Bestrebungen der Messe, das Contract Business weiter zu pushen. Erfreulich hingegen war der Neuzugang von Mitterteich in Halle 4.1. Mit der 2013 auf der Ambiente vorgestellten Kollektion 1400° der türkischen Designerin Defne Koz war der Messestand extrem minimalistisch gehalten. Das lag vor allem an der komplett weißen und sehr schlichten Tableware, die demnächst um schwarze Stücke ergänzt wird.

Nicht nur Rosarot
Ansonsten war aber viel Farbe zu sehen am Main – neben Pastelltönen vor allem Nuancen von Grün und Blau. Le Creuset hat Pfeffermühlen, Vorratscontainer und die legendären gusseisernen Töpfe in Cool Mint getaucht, Royal Copenhagen bevorzugt mit der Porzellankollektion Blau Gerippt die nachtblaue Variante, Rosenthal sieht Aqua (Kollektion Mesh Color) und Eva Solo Electric Blue. Schon immer auf Farbe gesetzt hat der finnische Glashersteller Iittala. Die geometrische Vasenserie Ruuto, entworfen vom französischen Bruderpaar Ronan und Erwan Bouroullec, ist nicht nur farblich ein Hingucker. Technisch sehr avanciert, geht die mundgeblasene Kollektion bis an die Grenzen des Machbaren in der Glasherstellung. Iittala fährt seit jeher eine doppelte Unternehmensstrategie: Einerseits gibt es die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Designern, die vorangetrieben wird von Artdirector Harri Koskinen, andererseits fokussiert man sich auf die Klassiker von Alvar Aalto und Kaj Franck. Dieses  Jahr hat man zwei Entwürfe eines ganz Großen der Designwelt aus dem Archiv geholt, pünktlich zu seinem 100. Geburtstag: Tapio Wirkkala. Während seiner vierzigjährigen Zusammenarbeit mit Iittala sind rund 400 Glasobjekte entstanden. Für das Jubiläumsjahr wurde eine auf 2015 Stück limitierte und nummerierte Flaschenserie aufgelegt sowie die schmale, ovale Vase Ovalis. Auch Rosenthal nimmt den Geburtstag des finnischen Meisters zum Anlass, einige Stücke zu reeditieren: die schwarze Vasenkollektion 1966, die Fischschale 1962 sowie die vierteilige Vasenserie 1956. Außerdem gibt es die erfolgreiche Tütenvase 1977 nun auch in pastellfarbigem Porzellan.

War das alles?
Am aufwändig gestalteten Messestand von Rosenthal konnte man sehen, wohin die Reise bei vielen Herstellern geht: Das Stichwort heißt Diversifizierung. Rosenthal beispielsweise fertigt zusammen mit dem österreichischen Hersteller ADA eine Möbelkollektion mit Sofas, Tischen und Sesseln, hat unzählige Geschenkartikel im Sortiment und stellte Wand- und Tischuhren sowie Garderobenhaken aus Porzellan von Sebastian Herkner vor. Oder aber Villeroy & Boch: Während ein Großteil des Umsatzes im Unternehmensbereich Tischkultur mit Geschenkartikeln gemacht wird, war auf der Ambiente erstmals eine Kollektion von Gartenmöbeln zu sehen. Bei Skagerak ist es umgekehrt. Waren die Dänen bisher bekannt für hochwertige Gartenmöbel aus Holz, präsentierten sie nun eine erste Tableware-Kollektion namens Nordic. Holger Raithel, geschäftsführender Gesellschafter von Kahla, will indes von Diversifizierung nichts wissen: „Richtig gefährlich wird es, wenn das Kerngeschäft nicht funktioniert und dann diversifiziert wird“, sagt er beim Standrundgang. Raithel setzt stattdessen ganz auf die Kernkompetenz von Kahla, und das ist Porzellan. Wie kaum ein anderes Unternehmen der Branche haben es die Thüringer verstanden, zeitgenössisches Design mit technischen Innovationen zu verbinden und sind extrem erfolgreich damit. Vor allem in China und den USA verzeichnet man starkes Wachstum. Das Thema des Messestands: Magic Grip. Die Produktinnovation – ein unsichtbar im Porzellan integrierter Silikonring, der das Rutschen verhindert – wurde zwar bereits im letzten Jahr vorgestellt, ist nun aber für sämtliche Kollektionen erhältlich.

Sense & Sensibility
Auch wenn das Resümee der diesjährigen Messeausgabe eher pessimistisch ist: Einige Überraschungen haben wir in Frankfurt dennoch entdeckt und zwar bei eher kleinen Herstellern.Liebevoll gestaltet war der Messestand von Lin’s Ceramic Studio mit Zen-Gärtchen. Wie im letzten Jahr konnte man bei einer kleinen Teezeremonie die schlichten Keramikgefäße gleich selbst ausprobieren. Neu im Programm der Taiwanesen ist ein Teeservice aus der Studio Craft-Serie mit einer ungewöhnlich texturierten Oberfläche. Auf das Thema Tee setzt auch der 2008 gegründete chinesische Hersteller Zens, der mit asiatischen und europäischen Designern zusammenarbeitet. Erstmals auf der Ambiente präsent, versucht er mit Produkten auf sich aufmerksam zu machen, die zwischen Asien und Europa changieren.

Es waren in Frankfurt gerade die handwerklich ambitionierten Stücke, die ins Auge fielen. Vielleicht, weil ihnen eine Ästhetik und Haptik innewohnt, die reinen Industrieprodukten oft fehlt. Stelton präsentierte mit Stockholm Aquatic – entworfen vom schwedischen Designerduo Bernadotte & Kylberg – eine Kollektion aus Schalen und Vasen, die teilweise in Handarbeit aus Aluminium und Emaille gefertigt wird. Blaugrüne Farbflächen wabern hier wie Tuschezeichnungen über die schimmernde Oberfläche. Handwerklich auf höchstem Niveau bewegen sich auch die Glassolitäre namens Globe, die das Designerduo Olgoj Chorchoj für den tschechischen Glashersteller Bomma entworfen hat. Und wie immer kommen die Trends mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung bei den Massenherstellern an – so auch die Handcraft-Bewegung. Villeroy & Boch beispielsweise setzt auf handbestickte Tischläufer, während Arzberg in Thailand gehäkelte, farbenfrohe Platzdeckchen in Birnen- und Paprika-Form anbietet. Damit will man eine jüngere Zielgruppe ansprechen, weshalb man auch die Preise des gesamten Sortiments um zwanzig Prozent gesenkt hat, wie Paola Longoni – Artdirector vom Mutterkonzern Sambonet Paderno – erklärt. Ihr Ziel: sich abgrenzen vom skandinavischen Design und stattdessen „italienischer werden“ – mit Farben, Dekoren und einer spielerischen Leichtigkeit.

Spielerische Leichtigkeit wünscht man auch den Investoren, Geschäftsführern und Designverantwortlichen der Unternehmen und nicht zuletzt den Gestaltern selbst. Damit die Branche herauskommt aus dem Me too-Einerlei, der Sich-Nicht-Trauen-Mentalität, dem starrsinnigen Verharren im Das-War-Schon-Immer-So. „Wagt etwas!“, möchte man ihnen zurufen. Damit wir uns freuen können auf das nächste Jahr in Frankfurt am Main. Und entdecken, was wir in diesem Jahr vermisst haben: Innovationen, Inspirationen, Ideen.


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Ambiente

Messe Frankfurt

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Ambiente 2015

Eine Vorschau

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Ambiente 2014

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Fünfkampf der Konsumgüter

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