Stories

Der alte Mann und das Meer

von Norman Kietzmann, 06.10.2009


Was kommt nach dem Guggenheim? Eine Ausstellung in der Mailänder Triennale widmet sich den Arbeiten, die Frank O. Gehry seit seinem Durchbruch 1997 in Bilbao realisiert und entworfen hat. Auch wenn viele von ihnen von verblüffend ähnlicher Gestalt sind, ist die Ausstellung dennoch aufschlussreich in ihrer Präsentation. In Form von betont simplen Pappmodellen geben die ausgestellten Projekte einen Einblick hinter die Kulissen der Traumfabrik des kalifornischen Architekten.


Frank O. Gehry mag Fische. Und zwar so sehr, dass er sie sogar aus dem Wasser holt und in riesengroße Gebäude verwandelt. Diese bevölkern dann nicht nur Strandpromenaden in Barcelona oder schmiegen sich an Flüsse wie in Bilbao. Sie holen das Wasser auch an jene Orte, an denen überhaupt kein Wasser vorhanden ist: In verwinkelte Straßenzüge und abgelegene Dörfer, in denen sie sich schlängeln und zu fließen beginnen.

Rund um den Globus

Nennen wir sie verführerisch, die Bauten, die Frank O. Gehry derzeit im Jahrestakt rund um den Globus abwirft und damit nach wie vor mächtig Eindruck macht. Sie sind laut, sie sind verspielt, sie reflektieren mit ihren schuppigen Häuten den Himmel. Kurz: Sie tanzen aus der Reihe – oder besser gesagt – dem Block. Doch auch, wenn sie auf der einen Seite mit ihrer Dynamik beeindrucken, geben sie nicht vor, mehr zu sein als sie sind. Sie sind nicht das Werk eines Genies, das die Grenzen der Statik überwinden will. Sie sind das Werk eines Kindes, das sich aus unendlich großen Bergen von Pappe und Papier etwas ganz anderes zusammenbaut als die anderen Kinder.

In fließenden Kulissen

An dieser Stelle liegt zugleich der eigentliche Reiz dieser Ausstellung in der Mailänder Triennale. Denn anders als in der gebauten Realität sind seine Entwürfe hier allein aus Pappe und Papier zu bestaunen. Die imposanten Modelle von raumfüllender Größe geben auf diese Weise zugleich einen Eindruck davon, wie sie entstanden. Es wurde mächtig geklebt, geschnitten und zusammengebastelt, bis der endgültige Schwung einer Fassade saß. Doch auch wenn diese wie beim Guggenheim in Bilbao später mit Titan verkleidet wird, deren einzelne Platten mit dem von der Nasa entwickelten „Catia“-Computerprogramm berechnet werden, arbeitet Gehry noch immer auf eine recht altmodische Weise. Die vielen, fleißigen Händchen in seinem Büro in Santa Monica schaffen eine ganze Flut an betont rauen Papiermodellen, die dem Meister jederzeit ein „Eingreifen“ in wortwörtlicher Weise erlauben. Erst später werden die Modelle am Rechner in digitale Daten umgewandelt.

Übergang von Innen und Außen

Ein wenig erinnern die Bauten Gehrys damit auch an die Kulissen eines Filmsets. Auf der Außenseite perfekte Illusion, zeigen sich die Rückseiten der dynamisch geschwungenen Fassaden und Dächer als simple, beinahe provisorische Gerüstkonstruktionen. Was zunächst aussieht, wie ein Unfall auf der Baustelle, folgt einem ganz konkreten Zweck: Die Architektur soll von Innen aufgebrochen werden und auf diese Weise den Eindruck der Stabilität und Geschlossenheit verlieren. Der Begriff des Hybriden, der immer wieder im Zusammenhang mit dekonstruktivistischen Architekturen verwendet wird, lässt sich bei Gehrys Bauten besonders anschaulich erklären: nämlich an jener Stelle, wo die komplexen, dreidimensionalen Formen der Fassaden mit ihren rationalen, statischen Strukturen dahinter verschmelzen. Die Freiform setzt sich nicht über die Statik hinweg. Sie wird von ihr beschrieben.

Gefällige Grundrisse und riesige Quallen

Auch wenn Gehry stets die große Geste sucht, ist er zugleich pragmatisch genug. So verlagert er wie beim Bau der DG-Bank in Berlin, wo er außen nicht machen darf, was er gerne machen würde, seine Formenspiele eben einfach in den Innenhof des Gebäudes am Pariser Platz. Gleich mehrere, beeindruckend große Modelle in der Mailänder Ausstellung geben einen Eindruck von diesem Projekt, das unumstritten zu Gehrys besten Arbeiten zählt. Auch andere Projekte wie die Bebauung des Medienhafens in Düsseldorf sind zu sehen, die mit einem umgekehrten Bruch zwischen Innen und Außen überraschen. Während die Fassaden in dynamischen Faltenwurf gesetzt wurden, erwarten die Nutzer im Inneren überaus konventionelle und damit zugleich kommerziell verwertbare Grundrisse. Ähnlich auch der derzeit im Bau befindliche „Beekman Residential Tower“ in New York, der auf 76 Etagen Höhe mit einer zerknitterten Fassade aus Stahlpaneelen aufwartet. Kurios dagegen der Blick auf die Planung des gigantischen „Atlantis Sentosa Ressort“ im Hafen von Singapur, das an einen verquirlten Schwarm aus Quallen und blinkenden Fischen erinnert und eine Vielzahl von Hotel- und Casinos aufnehmen soll.

Auf der langen Bank

Wie viele seiner dekonstruktivistischen Kollegen hat auch Gehry ein beachtliches Problem: Er musste zu lange warten, um seine Ideen umsetzen zu können. Immerhin erlebte er seinen internationalen Durchbruch in Bilbao erst im reifen Alter von 68 Jahren. Dass er heute weiterhin den Weg einschlägt, den er immer gehen wollte, kann man ihm daher nicht verübeln. Schließlich gibt es bestimmt noch hunderte weiterer Ideen, die ihm schon seit Jahrzehnten durch den Kopf gehen. Dass dies aber letztendlich in beliebigem Formalismus endet, ist schade. Denn gerade bei einem alles andere als zeitlosen Stil wie diesem wirken die neuen Projekte, selbst wenn sie sich noch in Planung befinden wie sein Entwurf für das Louis-Vuitton-Museum in Paris, wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit.

Mach mir den Gehry!

Doch Gehry steht noch vor einem weiteren Problem: Er hat mit dem Guggenheim Museum in Bilbao eine Ikone geschaffen, deren Wirkung auf die Architektur sowie die Stadtentwicklung nur schwer zu übertreffen ist. Fast jedes Dorf hofft mittlerweile auf einen ähnlichen Effekt wie in der baskischen Metropole, der sich aber bisher nie auf ähnliche Weise eingestellt hat. Gehry hat sich mit dem Guggenheim nicht nur sein Markenzeichen, sondern zugleich sein eigenes Gefängnis gebaut. Denn natürlich möchte jeder Auftraggeber, dass ein typischer Gehry bei jedem neuen Projekt herauskommt. Ein wenig erinnert die Mailänder Ausstellung damit an den Kampf eines alternden Sportlers, der immer wieder vergebens versucht, an die eigene Rekordmarke anzuknüpfen. Vielleicht sollte sich der passionierte Segler Gehry – heute immerhin im respektablen Alter von 80 Jahren – dorthin zurückziehen, wo es Fische nicht nur als Gebäude zu bestaunen gibt. Seinen Beitrag zur Architekturgeschichte hat er längst geleistet.

Frank O. Gehry – Since 1997
27.09.2009 – 10.01.2010
La Triennale di Milano
Viale Emilio Alemagna, 6
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Gehry Partners LLP

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La Triennale di Milano

www.triennale.it

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