Der letzte Held der Moderne
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Er ist einer der großen Architekten der Moderne. Er baute eine der eindrucksvollsten modernen Kirchen der Welt: die Kathedrale von Brasilia. Ihre Betonstreben ragen wie ein gewaltiger Blütenkelch in den Himmel, der Fußboden des Hauptschiffes liegt unterhalb der Erdoberfläche. Als Besucher steigt man hinab und blickt hinauf in den Himmel. Bekannt wurde er durch die von ihm gestalteten öffentlichen Gebäude der neuen brasilianischen Hauptstadt Brasilia, die auf einer kargen Hochebene südlich des Amazonas aus dem Nichts entstand. Auf einer Klippe am Strand der brasilianischen Küstenstadt Niterio ließ er ein Ufo landen, zumindest lässt das Museum für moderne Kunst diese Assoziation zu. Jeder seiner Bauten scheint eine aus Beton gegossene Skulptur zu sein, eine technische Glanzleistung. Mal wirken sie so, als wenn sie den Boden nur kurz streifen, mal, als wenn sie emporsteigen würden. Niemand zuvor gab dem Material Beton eine derartige Leichtigkeit und Eleganz wie er: Oscar Niemeyer. Am 15. Dezember feiert er seinen 100. Geburtstag, wir gratulieren ganz herzlich.
Oscar Ribeiro de Almeida de Niemeyer Soares wurde am 15. Dezember 1907 in Rio de Janeiro geboren. Nach der Schulausbildung begann er ein Architekturstudium an der Escuela Nacional de Bellas Artes in Rio de Janeiro, das er 1934 abschloss. Anschließend arbeitete er im Büro von L&uactue;cio Costa, einem brasilianischen Architekten und Stadtplaner. Als dieser den Auftrag für das erste moderne Gebäude des Landes erhielt, den Sitz des Ministeriums für Bildung und Gesundheit und heutigen Kulturpalast in Rio, beschloss Costa, Le Corbusier als Architekten hinzuzuziehen. Dieser genoss bereits damals eine hohe Reputation als Baumeister der Moderne. So lernte Niemeyer Le Corbusier kennen, der ihn schon bald zu seinem Assistenten machte und mit ihm Anfang der 1950er Jahre das Hauptgebäude der Vereinten Nationen in New York realisierte. Später löste sich Niemeyer von dem strengen, rationalen Stil Corbusiers und gab seinen eigenen Formen Ausdruck. Diese zeigen sich insbesondere an den fließenden Linien, geometrisch-organischen Körpern, Rundungen und Bögen. Damit stand er im Gegensatz zum damals vorherrschenden, rechtwinkeligen „Internationalen Stil“ in der Architektur. Niemeyer setzte die geschwungenen Formen erstmals in einem markanten Gebäude-Ensemble in Belo Horizonte um, das aus einer Kirche, einem Casino und einem Klubhaus besteht.
Persönliche Beziehungen zum linkspopulären brasilianischen Präsidenten Juscelino Kubitschek verschaffte Niemeyer die Chance, den Traum eines jeden Architekten zu verwirklichen: Er durfte die wichtigsten Gebäude in Brasilia, der neu entstehenden Hauptstadt des Landes, entwerfen. 1957 ernannte ihn Kubitschek zum Chefarchitekten. Verantwortlicher Stadtplaner war sein ehemaliger Arbeitgeber Lùcio Costa, der den Grundriss der neuen Hauptstadt in der Form eines Flugzeuges am Reißbrett entworfen hatte. Niemeyer gab den wichtigsten Gebäuden der Stadt, die sich entlang einer Achse aufreihen, seinen unverwechselbaren Stil. Dabei gelang es ihm, das Monumentale der Anlage mit der Leichtigkeit einzelner Baukörper zu verbinden. Doch so imposant und gewaltig Brasilia auch ist, es gelang nie wirklich, die Stadt zum Leben zu erwecken. Niemeyer selbst sagt, dass er versucht habe, die Gebäude schön und spektakulär zu gestalten, so dass der Betrachter seine Freude daran haben könne, auch wenn die dort getroffenen Entscheidungen nicht immer der sozialen Gerechtigkeit dienten. Nach der Fertigstellung dieses gigantischen Projektes ergriff das Militär die Macht in Brasilien und Niemeyer, Mitglied der Brasilianischen Kommunistischen Partei, ging nach Europa ins Exil. Dort plante er die Zentrale der Kommunistischen Partei Paris, das Kulturzentrum in Le Havre und baute zur Internationalen Bauausstellung 1957 im Berliner Hansaviertel ein Wohngebäude. Fast 20 Jahre später kehrte er wieder nach Rio de Janeiro zurück.
Niemeyers gebautes Werk umfasst mehr als 500 Projekte, von denen viele zum festen Bestandteil des Weltarchitekturerbes gehören. Er selbst unterteilt sein Schaffen in fünf verschiedene Perioden: Pampulha, ein Stadtteil der brasilianischen Metropole Belo Horizonte, in der Niemeyer 1943 die Kirche São Francisco entwarf; Pampuhla bis Brasilia, Brasilia, Bauten in Übersee wie in Paris und Mailand sowie Spätwerke, zu denen beispielsweise das Auditorium im Ibirapuera-Park in São Paulo gehört. Noch immer ziehen sich die Rundungen durch Niemeyers Architektur: Sie erinnern an die Topografie Rio de Janeiros, an die Berge und Hügel und den weißen, geschwungenen Sandstränden. Inspiration findet der Architekt, wie er immer wieder gern betont, auch in den Kurven der weiblichen Figur. Auch heute noch hängt direkt über seinem Schreibtisch ein Foto von nackten schönen Frauenkörpern. Niemeyer selbst sagt dazu: "Jeder Architekt hat seine eigene Vorstellung. Der eine bevorzugt gerade Linien. Aber ich mag die Kurve lieber. Wenn man einen größeren Raum zur Verfügung hat, ist die Kurve die einfachste, die ökonomischste Lösung. Die Kurve ist in allem, woran wir denken.“ Wahrscheinlich ist dieser Gedanke das, was ihn lebendig hält.
Ausstellungen:
"Oscar Niemeyer - eine Hommage"
Institut gta - ETH Zürich
22.12.2007 bis 6.01.2008
"Oscar Niemeyer zum 100sten Geburtstag"
Architekturfotografien von Boris Storz
Architekturgalerie München
12.12.2007 bis 12.01.2008
Links
FUNDAÇÃO OSCAR NIEMEYER
www.niemeyer.org.brMehr Stories
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