Die Frauen kommen!
Wie Unternehmerinnen und Designerinnen das traditionelle Teppich-Business aufwirbeln
Es findet ein Generationswechsel statt. Auch im Teppichbusiness übernehmen immer mehr Frauen das (Führungs-)Ruder in einer männerdominierten Branche. Warum das so ist und was das für die Gestaltung bedeutet, wollten wir wissen und haben uns bei einigen Protagonistinnen umgehört.
Im Nanimarquina-Studio in Barcelona atmet jedes Stück den Geist der Gründerin Nani Marquina. Insbesondere natürlich die Teppiche ihres Labels, die überall verstreut auf dem Boden liegen. Aber auch Prototypen, Moodboards und Materialproben, die in einem wandfüllenden Regal untergebracht sind. Als sich die 68-jährige Katalanin und Tochter eines Gestalters vor über 30 Jahren entschloss, Designteppiche zu fertigen, war sie fast allein auf weiter Flur. Sie gilt als Pionierin der Teppichbranche, neben Jan Kath und Jürgen Dahlmanns von Rug Star. Zuerst produzierte sie in Katalonien auf mechanischen Webstühlen, ehe sie die gesamte Produktion auf eine Handfertigung in Pakistan und Indien umstellte – der größeren gestalterischen Möglichkeiten wegen. Nani Marquina gehörte zu den ersten, die Industriedesigner*innen mit Teppichentwürfen beauftragte, darunter Ronan und Erwan Bouroullec. „Ich habe nach Experimenten gesucht“ begründet sie diesen Schritt. Inzwischen hat ihre Tochter Maria Piera Marquina die Leitung des Unternehmens übernommen, während Nani Marquina weiterhin Kreativdirektorin ist und auch selbst Kollektionen entwirft.
Seit der Gründung des Labels 1987 hat sich in der Branche viel verändert, ist die Konkurrenz ungleich größer geworden, auch weil immer mehr Möbelfirmen handgefertigte Teppiche anbieten und das Handwerk im Design generell mehr Wertschätzung erfährt. Die Folge: ein ständiges Neu- und Überdenken von Strategien und Produkten, verstärkte Investitionen in das Marketing. Gerade hat Nani Marquina mit Nanimarquina Contract einen neuen Brand gegründet. Mit der Teppichkollektion Formula steigt das Unternehmen offiziell in das Contract-Business ein und will damit die Zusammenarbeit mit Architekt*innen und Interiordesigner*innen intensivieren und neue Kundenkreise erschließen. Nanimarquina hatte bereits zuvor mehr als 2.000 Projekte ausgestattet, doch die neue Kollektion ist ästhetisch zurückhaltender gestaltet als die abgepassten Teppiche und kann günstiger hergestellt werden, obwohl auch sie handgefertigt ist. Formula erfüllt dabei die praktischen Anforderungen von Projekten wie Hotels, Restaurants und Büros – was beispielsweise die Feuerfestigkeit und den Abrieb betrifft –, hat aber dennoch ästhetische und sinnliche Qualitäten.
Herausforderung Unternehmerinnentum
Die Unternehmerinnen im Teppichbusiness – gemeint sind in diesem Zusammenhang ausschließlich handgewebte und -geknüpfte Teppiche – sind so unterschiedlich wie ihre Lebensläufe, Unternehmensstrategien und die damit verbundenen Designansätze. Viele von ihnen agieren als Ein-Frau-Betriebe wie Mareike Lienau von Lyk Carpet oder starteten allein und stellten erst nach und nach Mitarbeiter*innen ein wie Jutta Werner von Nomad. Sie haben sich nach und nach ein umfangreiches Wissen angeeignet und arbeiten selbständig – vom Entwurf, über die Buchhaltung bis hin zum Vertrieb, was eine ständige Herausforderung ist. Andere wie Katja Stelz und Isabel Bürgin fertigen ihre Teppiche sogar selbst, nachdem sie eine handwerkliche Ausbildung absolviert haben. Und dann gibt es Frauen wie Lila Valadan, die die Leidenschaft für Teppiche mit in die Wiege gelegt bekommen haben. Die Hamburgerin mit persischen Wurzeln stammt aus einer Familie von Teppichhändlern und handelte mit antiken persischen Nomadenteppichen, ehe sie mit ihrem Mann eine eigene Teppichproduktion für Einzelanfertigungen startete.
Die Sardin Mariantonia Urru und die Finnin Kristiina Lassus sind ebenso passionierte Selfmade-Frauen. Urrus Geschichte ist ziemlich ungewöhnlich: Von den abgeschiedenen sardischen Bergen aus startete sie in den Achtzigerjahren ein eigenes Teppichlabel, wobei Frauen aus ihrem Dorf die traditionellen Webtechniken der Insel wie Pibiones und Litzos mit dem Design zeitgenössischer Gestalter verknüpfen. Kristiina Lassus indes hatte schon vor ihrem Einstieg ins Teppichbusiness mit Design zu tun, denn sie arbeitete jahrelang für den finnischen Möbelhersteller Artek – der übrigens schon in den Dreißigerjahren den (Orient-)Teppich als festen Bestandteil des designaffinen Wohnens ansah. Als Lassus dann für einige Jahre in Indien ihren Zweitwohnsitz hatte, entdeckte sie dort das Teppichhandwerk und launchte vor vierzehn Jahren ihre erste Teppichkollektion mit 22 Modellen. Inzwischen arbeitet sie von Mailand aus, wo es auch einen Showroom gibt, in dem sie ihre Kollektionen zeigt. Den Teppichen von Lassus merkt man ihre finnische Herkunft an, denn sie sind gestalterisch zurückhaltend, fast immer in Beige- und Brauntönen gehalten und mit subtilen Mustern versehen.
Oder Jutta Werner: Sie arbeitete jahrelang als freie Designerin für Unternehmen wie Dedon, JAB Anstoetz und Ligne Roset und kam ebenfalls zufällig auf den Teppich. „Auf einer Reise durch den Himalaya hat sich durch den Fund eines Materials all meine Erfahrung der letzten 25 Jahre mit einem Gefühl gemischt. Ein 30-Sekunden-Entwurf, der nicht möglich gewesen wäre, wenn ich nicht hunderte von textilen Entwicklungen betreut, verfolgt, gesehen hätte“, erzählt sie. 2020 gründete Werner mit Nomad ihr eigenes Teppichlabel, und stellte ihre Entwürfe in diesem Jahr anlässlich der Dutch Design Week und der Mailänder Möbelmesse aus. Ihre Teppiche werden in Indien handgefertigt und wirken sehr kontemporär, wobei Re- und Upcycling für die Designerin eine wichtige Rolle spielt. So verwendet sie für den Candy Wrapper Rug einen glitzernden Kettfaden aus Bonbonpapier und verwebt beim Rubber Rug recycelte Fahrradreifen. Auch Birgit Krah von Reuber Henning gelangte als Stylistin zufällig ins Teppichbusiness, als sie die Unternehmensgründerin Franziska Reuber bei einem Fotoshooting kennenlernte und sich gleich in das Produkt handgeknüpfter Teppich verliebte.
Wandel des Rollenbildes
Gerade im Bereich Custom-made-Teppiche, der für einen hohen gestalterischen und handwerklichen Anspruch steht, sind inzwischen viele Frauen unterwegs. Designerinnen wie Sabine Marcelis, Bethan Laura Wood, Ilse Crawford und Eva Marguerre von Studio Besau Marguerre entwerfen Teppiche für Labels wie cc-tapis, Nanimarquina und Reuber Henning. Außerdem erobern weibliche (Unternehmens-)Player wie Creative Matters, New Moon, Knots Rugs und Lila Valadan den Markt. Dass Frauen als Unternehmerinnen in der Teppichbranche eine immer größere Rolle spielen, hat sicherlich auch mit der Neuformation von Familie im Westen zu tun. „In dem Moment, in dem Eltern gleichberechtigt für die Familie Verantwortung tragen, können auch Männer und Frauen gleichermaßen Verantwortung für ihren Job übernehmen“, sagt Jutta Werner.
In unseren Gesprächen beteuern fast alle Protagonistinnen, dass sie sich als Frau in der Teppichbranche nie benachteiligt gefühlt hätten. Nani Marquina kann allerdings ganz andere Geschichten erzählen, startete sie doch schon in den Achtzigerjahren als Ein-Frau-Unternehmen und alleinerziehende Mutter. Damals seien die Bedingungen in den Teppich-produzierenden Ländern wie Indien und Pakistan alles andere als einfach gewesen, berichtet sie uns bei einem Studiobesuch in Barcelona. „Als ich in den Neunzigerjahren die Produktion in Indien startete, musste ich immer einen Mann dabei haben.“ Dass damals niemand ein Wort mit ihr wechselte habe sich inzwischen aber geändert: „90 Prozent meines Teams sind Frauen und es gibt keine Probleme mehr.“ Auch Maryam Ebrahimi von Edelgrund glaubt, dass sie es als Mann in der Teppichbranche leichter gehabt hätte. Doch habe sich die Kluft zwischen den Geschlechtern – dank der harten Arbeit von Frauen – heute verkleinert und ermögliche es anderen Frauen, in der Teppichindustrie erfolgreich zu sein, ergänzt sie.
Herzblut, Know-how & Courage
Seit Nani Marquina in den Achtzigerjahren in die Teppichbranche einstieg, hat sich die Bedeutung des Teppichs für die Einrichtung stark gewandelt. „Interiordesigner starten mittlerweile mit dem Teppich beim Einrichtungskonzept, weil sie erkannt haben, dass er die Seele des Raumes bildet“, sagt Birgit Krah von Reuber Henning. Das bestätigt auch Maryam Ebrahimi, die als Iranerin mit Teppichen aufgewachsen und Geschäftsführerin von Edelgrund ist. Und fügt hinzu, dass das Handwerk der Teppichherstellung inzwischen auch die verdiente Anerkennung als Kunstwerk erhalte. Dass der Siegeszug des handgefertigten Designteppichs auch negative Nebenwirkungen hat, überrascht dagegen weniger. Es ist wie immer in der Interiordesignbranche: Ist eine Idee oder ein Produkt erfolgreich, gibt es immer Nachahmer*innen ohne fundierten gestalterischen und handwerklichen Anspruch. „Der Teppich wird mehr und mehr zum kurzlebigen Designobjekt und die Liebe zum Detail geht verloren“, bestätigt Lila Valadan. Doch zum Glück gibt es Frauen wie Nani Marquina, Mariantonia Urru und Jutta Winkler: Sie brennen fürs Teppichhandwerk und erhalten die Traditionen.
In der Galerie Handwerk München findet bis zum 20. November 2021 die Ausstellung „Lust auf Teppiche“ statt. Mit dabei sind auch Teppiche von Nanimarquina, Kristiina Lassus, Isabel Bürgin und Katja Stelz.