Steelcase: Andere Länder, andere Büros
Italien, ein geschäftliches Treffen: Sie kommen eine Viertelstunde zu spät. Die anderen Gesprächspartner treffen auch gerade erst ein. Deutschland, dieselbe Situation: Alle sitzen bereits auf ihren Plätzen und haben die vorbereiteten Unterlagen vor sich liegen. Die verspätete Person wird mit vorwurfsvollen Blicken bedacht. Nur ein klischeehaftes Szenario? Keineswegs: Ein Forschungsteam des Büromöbelherstellers Steelcase hat die Arbeitskulturen in sechs europäischen Ländern untersucht und teilweise erhebliche Unterschiede gefunden. Wie Unternehmen und Planer diese kulturelle Faktoren bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen und Bürogebäuden berücksichtigen können, zeigt das Buch „Der Büro-Code“, das die Ergebnisse der dreijährigen Forschungen zusammenfasst.
„Workspace Futures“ nennt Steelcase sein firmeneigenes Team, in dem rund 30 Mitarbeiter aus verschiedenen Ländern und Disziplinen gemeinsam zur Zukunft der Arbeit forschen und das auch für „Der Büro-Code“ verantwortlich ist. Eine wichtige Aufgabe von Workspace Futures sind empirische Untersuchungen: Steelcase schickt die Forscher zu seinen Kunden und lässt sie dort die Mitarbeiter im Büro beobachten und befragen. Die Daten über die tatsächlichen Arbeitsprozesse bilden gemeinsam mit den Ergebnissen aus anderen wissenschaftlichen Studien und aus der Fachliteratur die Grundlage, auf der das Team neue Konzepte und Prototypen für Innenarchitektur und Büromöbel entwickelt.
Auf Anregung der Kunden
Die Anregung, sich mit unterschiedlichen Arbeitskulturen in Europa auseinanderzusetzen, bekam Steelcase von seinen Kunden: Vertreter von internationalen Firmen wollten wissen, wie Büros in anderen Ländern funktionieren und was sie beachten müssen, wenn sie dort Niederlassungen gründen wollen. Mit dem Buch liegt nun ein übersichtlich aufgebauter Leitfaden vor, der Managern und Planern bei Fragen nach nationalen Mentalitäten und Arbeitsweisen weiterhelfen kann. Die Forscher untersuchten die Bürokulturen in Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland. Die Publikation widmet jedem Land ein eigenes Kapitel: Der typische Ablauf eines Arbeitstages wird geschildert, Eigenheiten bei Arbeitsplatzgestaltung beschrieben und exemplarische Bürogebäude vorgestellt. Zahlreiche Fotos, Grafiken und Zeichnungen im Stile von Storyboards illustrieren den Inhalt.
Konservativ und statusbewusst
Die Deutschen lieben Pünktlichkeit, den Italienern kommt es nicht auf die Minute an, deutsche Büros wirken perfektionistisch und steril, während in Italien viel Wert auf Design gelegt wird. Diese und ähnliche Unterschiede mögen nicht überraschen, vielleicht sogar klischeehaft wirken. Viele Erkenntnisse der Studie dürften jedoch bisher nur denjenigen bekannt gewesen sein, die schon einmal in dem Land gearbeitet haben. So brauchen sowohl Deutsche wie Italiener an der Arbeit ihre Privatsphäre, sitzen gerne am Fenster und schätzen, – anders als Briten und Niederländer – Großraumbüros nicht so sehr. Hierarchien und Regeln werden akzeptiert, deutsche als auch italienische Chefs dürfen ihre Position durch Statussymbole wie große, luxuriös ausgestattete Büros unterstreichen.
In den Niederlanden dagegen spiegeln sich Hierarchien selten in den Büroräumen. Während italienische und deutsche Mitarbeiter neuen Arbeitsformen wie dem „Home Office“ eher reserviert gegenüberstehen, spielen solche Innovationen in den Niederlanden eine große Rolle. Zum einen sind sie dort schon länger Arbeitsrealität – die Mitarbeiter haben sich daran gewöhnt –, zum anderen ist die Neugier auf Neues Teil die niederländischen Mentalität. Auch die Möglichkeiten von Frauen, Berufsleben und Familie zu verbinden, unterscheiden sich von Land zu Land erheblich – in den Niederlanden funktioniert das relativ gut, während Italienerinnen dabei den meisten Hindernissen begegnen. Ein wichtiger Faktor ist das Betreuungsangebot für Kinder im jeweiligen Land: Italien ist im Vergleich zu anderen Ländern relativ schlecht versorgt. Zudem ist die Rolle einer arbeitenden Mutter gesellschaftlich weniger akzeptiert als woanders.
Der größte Unterschied: Asien
Zusätzlich zu den detaillierten Analysen der verschiedenen nationalen Mentalitäten und Kulturen stellt „Der Büro-Code“ Beispiele für Bürogebäude vor, die für eine multinationale Mitarbeiterschaft und innovative Arbeitsformen entworfen wurden. Anhand von Fotos, Grundrissen und kurzen Interviews kann sich die Leser etwa ein Bild machen, wie beispielsweise in Googles neuem Technologiezentrum in Zürich international gearbeitet und gelebt wird. Die länderübergreifenden Trends des Arbeitslebens und die Konsequenzen daraus für zukünftige Bürogestaltung werden in einem eigenen Kapitel diskutiert. Die Autoren sehen die Arbeitswelt in einer Übergangsphase: Herkömmliche Organisationsformen verlieren an Bedeutung. An ihren Platz treten Phänomene wie neue Kommunikationsformen oder das mobile Arbeiten. Diese neue „Wissensökonomie“ etabliert sich aber nicht in jedem Land gleich schnell und in derselben Ausprägung.
Ein Fazit des Buches sollte uns Europäern allerdings zu denken geben, zumindest wenn wir uns mal wieder über die Eigenheiten unserer Nachbarn wundern: Im Vergleich zur Arbeitwelt im asiatischen Raum sind wir uns doch alle ziemlich ähnlich.
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