Taste Festival Berlin – Wundertüte der Sinne
Artischocken, Knoblauch, Salatherzen, Kohl, Sternfrüchte und Birnen türmen sich sinnlich auf einer langen Tafel. Diese Installation von Ayako Suwa ähnelt einem barocken Gemälde und präsentiert zwischen Obst, Gemüse und Gewürzen auch feine Delikatessen, die unter Glasglocken eher Kunstwerken als Nahrungsmitteln gleichen. Die Glasglocke ist nur eine von vielen Dingen rund um das Thema Esskultur, Kunst und Design, die derzeit im Direktorenhaus in Berlin zu bestaunen ist. Denn dort findet bis zum 10. Juni die erste Ausgabe des Taste Festival mit 30 internationalen Designern, Künstlern und Kuratoren statt.
Hier kündigt der Name der Veranstaltung plakativ an, um was es geht: ums Probieren, Goutieren, Verwerfen – vor allem aber um den ästhetischen Aspekt des Essens. Sinnlich geht es allemal zu in den Räumen des Direktorenhauses – der ehemaligen Staatlichen Münzanstalt an der Spree. Ab und zu wabern Düfte und Gerüche durchs Gebäude: frisch aufgebrühter Kaffee, offen präsentierter Tee in allen Geschmacksrichtungen, Salat mit essbaren Blüten, an Kindheit erinnernde Lakritze, verfaulende Bananen oder undefinierbare Kreationen aus dem Labor der Molekularküche.
Von Schimmel, Chips und Soufflé
Jedoch nicht alles, was hier ausgestellt und präsentiert wird, ist auch ess- oder genießbar. Das wird dem Besucher unmissverständlich klar, wenn er sich inmitten der Arbeit von Karin Lucas befindet. Unter fünfzehn nummerierten, dekorativ an der Wand montierten Glasglocken gibt es neben Chips, Würsten, Brot, Speckmäusen und eingemachtem Obst nämlich auch ein Stück Pizza zu sehen – und glücklicherweise nicht zu riechen –, das bereits Schimmel angesetzt hat. The format of food, wie die Künstlerin ihre Installation genannt hat, beschäftigt sich mit der Zubereitungsart von Lebensmitteln. Lucas ist bei ihrer Beschäftigung mit dem Thema interessanterweise zu dem Ergebnis gelangt, dass es trotz der unüberschaubaren Fülle von Lebensmitteln nur fünfzehn verschiedene Arten der Zubereitung gibt – abhängig von Umweltbedingungen oder kulturellen Codes. Diesen verschiedenen Zubereitungsmöglichkeiten ist jeweils eine Vitrine zugeordnet. Lucas‘ Klassifizierung ist durchaus logisch: So gibt es die foamy mass, wofür schaumig geschlagene Nahrung wie Meringue, Zabaione oder Soufflé steht, heat-treated raw food, zu denen sie Chips, Pommes oder kaltgepresste Öle zählt oder layered mass/ dough, die so köstliche Dinge wie Baklava, Panini oder eben Pizza umfasst.
Von schönen Dingen
Vorbei an Mischer Traxlers Keramikschüsseln Reversed Volume, die mit den Formen von Obst und Gemüse spielen, geht es weiter zu zwei niederländischen Designerinnen. Debbie Wijskam und Lenneke Wispelwey haben sich für das Taste Festival zusammengetan und stellen ihre Keramik- und Papierarbeiten aus. Präsentiert werden die fragilen Artefakte in Pastellfarben auf einem mit Pfingstrosen, Obst und Gemüse dekoriertem Tisch. Während Debbie Wijskam aus Papier Vasen und Schalen herstellt, ist Lenneke Wispelwey eine echte Entdeckung – da waren sich viele Besucher einig. Ihre rosa, gebrochen weiß oder lindgrün schimmernden Porzellanbecher, -vasen und -teller zeichnen sich durch geometrische, dreidimensional in das Material eingeschnittene Muster aus, die man unbedingt berühren möchte. Haptisch geht es auch einen Raum weiter zu.
Von kulinarischen Sonderlingen
Zwei Berliner Designerinnen stellen hier unter dem Namen Culinary Misfits nicht nur mit Haribo-Bärchen und -Lakritze bestückte Tische und Stühle mit der sinnigen Inschrift Hungry aus– hölzerne Handwagen dienen als Präsentationsflächen für allerlei Lebensmittel, Gläser, Tassen und eigene Nahrungsmittelkreationen. Ganz dem Motto der zwei Designerinnen entsprechend – Esst die ganze Ernte! – kommen hier krumme Gurken, fehl gewachsene Mohrrüben oder knollige Kartoffeln zum Einsatz, die es in keinen Supermarkt schaffen würden. Das Konzept von Culinary Misfits erinnert daran, wie viele Lebensmittel, die eigentlich gut und auch lecker zum Verzehr geeignet wären, täglich im Müll landen. Passend zu ihrer daraus hergestellten, vegetarischen Küche mit Produkten vom Teltower Rübchen Hof und Vierfelderhof in Gatow entwerfen Tanja Krakowski und Lea Brumsack auch Accessoires rund um das Thema Essen und Nahrungsmittel.
Vom Chemielabor zum Goldeffekt
Accessoires – neben Küchenwerkzeugen vor allem Produkte aus Glas und Porzellan – sind übrigens ein wichtiges Thema beim Taste Festival. Dabei interessieren jedoch weniger die etablierten Hersteller wie Alessi und Jenaer Glas – die auf jeder großen Tableware-Messe zu finden und im Direktorenhaus mit zwei Ausstellungen präsent sind – als vielmehr eher unbekannte Designer, die mit teils unkonventionellen Ideen auf sich aufmerksam machen. So hat beispielsweise Maarten Baptist mit Magical Drip ein Glasobjekt entworfen, dass aus einem Chemielabor zu stammen scheint, jedoch in einem Gourmetrestaurant zum Einsatz kommt: angeklemmt an einen Teller und befüllt mit flüssigen Aromen, kann der Gast selbst entscheiden, wie viel er davon auf dem Teller haben will. Oder aber Hara Katsiki. Ihre Ode to black umfasst nicht nur goldene Zeichnungen auf schwarzem Untergrund, sondern auch ein passendes Teeservice.
Für einen Gruseleffekt war übrigens auch gesorgt unter dem atmosphärischen Dachstuhl des Direktorenhauses. Nicht nur wurden hier winzige Würmer in heißer Schokolade gewälzt und zum Verzehr angepriesen – riesige Küchenschaben und Grillen krabbelten in Acrylglas-Boxen und wurden als Umrisse mit einem Tageslichtprojektor an die Wand geworfen.
Taste Festival Berlin
10 Days of Food and Creativity
bis 10. Juni 2012
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