Traum und Technologie
Entdeckungen auf der Sammlermesse Design Miami Basel 2023
Die 17. Ausgabe der Sammlermesse Design Miami Basel befördert Perlen der Designgeschichte ans Licht. Technische Inspiration wird in Objekte von poetischer Dimension übersetzt. Auch architektonische Maßstäbe werden zur Sammlertrophäe.
Größe ist nicht alles. Auf Qualität kommt es an. Und so kann mitunter eine Schrumpfung guttun. Eine Dekade lang hatte die Sammlermesse Design Miami Basel das Obergeschoss der Messehalle von Herzog & de Meuron bespielt – immer parallel zur Kunstmesse Art Basel. Das riesige Untergeschoss stand leer, wenngleich es ebenso mit angemietet und bezahlt werden musste. Denn nur so konnten die Besucher*innen die Rolltreppen nach oben erreichen. In Zeiten der Hochinflation wurde dieser üppige Platzverbrauch nun korrigiert. Ausgestellt wurde diesmal allein im Untergeschoss, wodurch sich die Zahl der Galerien auf 26 beinahe halbierte. Das intimere Format tat der Schau keinen Abbruch. Denn es gab einiges zu entdecken.
Schlafen in der Kunst
Während auf der Schwestermesse Design Miami vor allem farbenfrohe, zeitgenössische Werke gehandelt werden, sind auf der Basel-Edition immer wieder Raritäten der Designgeschichte zu bestaunen. Die Pariser Galerie Gastou zeigte ein Bett, das Max Ernst im Jahr 1974 erschuf: Lit-cage et son paravent, le grand ignorant. Träumen gehört für Surrealist*innen zum Beruf. Und so blieb es nicht bei einer banalen Schlafstätte. Kopfteil und Fuß sind aus hohen Messingstangen gefertigt, die an einen Vogelkäfig denken lassen. Hinzu kommen eine Bettdecke mit Vogelmotiv sowie ein bedruckter Paravent. Das Ensemble wurde neben Metallmöbeln der Serie Paris (1988) von André Dubreuil gezeigt. Der Franzose arbeitete ab Mitte der Achtzigerjahre mit Tom Dixon zusammen, der ihm das Schweißen beibrachte. Das Verfahren nutzte er keineswegs nur zum Verbinden von Metallteilen, sondern ebenso zum Erzeugen einer unregelmäßig „gefleckten“ Oberflächenstruktur, die eine geradezu animalische Wirkung entfacht.
Konstruktive Raffinesse
Ein weiteres Bett, das in Erinnerung bleibt, hat Osvaldo Borsani für Tecno entworfen. Das Model L79 aus dem Jahr 1963 wurde von der Mailänder Galeristin Rossella Colombari gezeigt. Hingucker sind vier Messingfüße, die am Boden einen Halbkreis und am oberen Abschluss einen vollen Kreis vollziehen. Mit wenigen Mitteln wird hier ein poetischer Moment in den Alltag implantiert. Am selben Stand war eine weitere Preziose zu sehen: eine Chaiselongue von Gio Ponti aus dem Jahr 1937. Der Mailänder Gestalter hatte zuvor mit seinem Montecatini Chair 1935 den Werkstoff Aluminium erstmals ins Möbeldesign transferiert. Hier jedoch arbeitete er wieder mit Holz. In die beiden Seitenflächen der Liege sind runde Aussparungen eingelassen, die an metallische Konstruktionen im Flugzeug- oder Industriebau erinnern. So entstand ein Möbel des Übergangs, das sich von der Schreinertradition entfernt und doch mit ihr verbunden ist.
Transparenz und Härte
Der Ästhetik von Lochblechen ist auch Konstantin Grcic verfallen. Die Pariser Designgalerie Kreo präsentierte in Basel eine Stehleuchte aus der Serie Transformers. Diese basiert auf quadratischen Aluminium-Strangpressprofilen, die auf jeder Seite mit doppelten Lochreihen perforiert sind. Ursprünglich werden sie in der Automobilindustrie für Präzisionsmessgeräte verwendet. Grcic formte daraus bewusst klobig anmutende Gebilde, die zwischen Archaik und Hightech oszillieren. Der Clou: Die kleinen LED-Strahler können aus den Löchern herausgenommen und an anderer Position wieder eingesteckt werden. Über den variablen Neigungswinkel lässt sich die Lichtmenge frei im Raum verteilen, während die Lichtintensität per Smartphone-App geregelt wird. Eine weitere Entdeckung waren zwei Stühle aus der Serie Cesto (1953) von Luciano Grassi, Sergio Conti und Marisa Forlani am Stand der Brüssler Galerie Gokelaere & Robinson. Die Möbel bestehen aus einem gebogenen Metallrahmen mit einem Geflecht aus Nylonfäden. Die Filigranität und Transparenz der Netze lässt die Be-Sitzer*innen der Stühle in der Luft schweben.
KI als neuer Klassiker
Eine Fachjury vergab mehrere Preise. Die Auszeichnung für die beste Standpräsentation ging an die Galerie Downtown François Laffanour aus Paris mit Möbeln von Charlotte Perriand, Jean Prouvé, Ron Arad und Leuchten von Serge Mouille und Gino Sarfatti. Als bestes historisches Werk wurde der Tisch Caryatides (um 1976) von Diego Giacometti prämiert, den die Pariser Galerie Jacques Lacoste nach Basel brachte. Die aus Bronze gegossenen Beine sind mit zart modellierten Karyatiden geschmückt, die die gläserne Tischplatte umso stärker herausstellen. Als bestes zeitgenössisches Werk wurde der Bone Chair (2006) von Joris Laarman am Stand der Galerie Friedman Benda (New York) gewürdigt. 2004 adaptierte der niederländische Designer eine Software, die in der Autoindustrie zum Erzeugen ideal gebogener Sitz- und Rückenstrukturen verwendet wird. Mithilfe von künstlicher Intelligenz entstand so ein Stuhl, der an die Wachstumsmuster von Knochen erinnert. Ergo: Das heute so stark debattierte KI-Thema hat bereits vor 20 Jahren Einzug ins Design gehalten.
Grünes Panorama
Nicht nur Möbel und Leuchten lassen sich sammeln. Auch Gebäude sind beliebte Trophäen geworden. Der frühere Vitra-Chef Rolf Fehlbaum beauftragte den jungen japanischen Architekten Tsuyoshi Tane mit dem Bau eines Gartenhauses auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein, das während der Design Miami Basel-Woche eröffnet wurde. Der nur 15 Quadratmeter große Bau dient als Werkstatt, Geräteschuppen und Ruheraum für die Gärtner, die sich um den direkt daneben anschließenden Piet-Oudolf-Garten kümmern. Dach und Wände sind aus Stroh gefertigt. Darunter verbirgt sich eine tragende Konstruktion aus Holz, das aus einem nahe gelegenen Wald stammt. Auch die Treppenstufen aus Granit stammen aus einem Steinbruch in der Umgebung. Über eine außen liegende Holztreppe geht es hinauf zu einer Aussichtsplattform, von der man den Garten aus einer neuen Perspektive betrachten kann.
Venezianische Verwandlung
Der Mailänder Architekt und Designer Piero Lissoni war ebenso an den Rhein gereist. In der Collectors Lounge der Art Basel-Kunstmesse wurde ein neues Projekt in Venedig vorgestellt. Der Yachtbauer Sanlorenzo hat direkt neben der Basilika Santa Maria della Salute – auf halben Wege zwischen dem Peggy Guggenheim Museum und der Pinault Collection in der Punta della Dogana – einen historischen Palazzo erworben. Hinter den markanten Bogenfenster, die auf den Canal Grande blicken, soll bis Mai 2024 ein privates Ausstellungszentrum entstehen, die Fondazione Sanlorenzo. Der Umbau wird von Piero Lissoni geplant, der zugleich als Art Director für die Werft aus La Spezia tätig ist. Kunst, Design und Architektur gehen auch hier Hand in Hand.