Wohnliche Dickhäuter
Schule des Sitzens: Warum sich Sofas schwieriger gestalten lassen als Stühle.
Sofas sind ambigue Wesen: Als Rückzugsort im Privaten und Visitenkarte für jeden Besucher stehen sie an der Schnittstelle von Intimität und Repräsentation. Warum das Sofa gar als Königsklasse des Wohnens gilt und selbst den scheinbar übermächtigen Stuhl vom Sockel stürzen kann, erklärte uns das Stuttgarter Designerduo Jehs + Laub.
In der Möbelwelt geht es zu wie im Fußball. Anstatt wie bei olympischen Wettkämpfen auch den zweiten und dritten Platz zu honorieren, zählt einzig und allein der Titel. An vorderster Stelle in der Gunst der Designer rangiert vor allem eine Kategorie: der Stuhl. Kein anderes Möbelstück hat die gestalterische Phantasie so sehr beflügelt wie das vermeintlich einfache und kompakte Sitzobjekt. Zu Unrecht, befinden die Stuttgarter Designerduo Markus Jehs und Jürgen Laub. Stühle haben die beiden seit den neunziger Jahren zwar auch entworfen. Doch am kniffligsten wird es ihrer Meinung nach in größeren Dimensionen.
Gepolsterte Königsklasse
„Ein Sofa zu entwerfen, ist weitaus komplizierter – erst recht, wenn es modular erweiterbar sein soll“, sagt Markus Jehs. Nicht umsonst seien die Ähnlichkeiten von vielen Polstermöbeln am Markt frappierend. „Ein Sofa ist eine riesige Haut, unter der man unglaublich viel verstecken kann. Ähnlich wie bei der Karosserie eines Autos. Stühle oder Leuchten dagegen sind einfacher, weil man jedes Bauteil sehen und berühren kann. Darum dauert es lange, um das richtige Gespür für Sofas zu finden“, erklärt Markus Jehs die Zurückhaltung vieler Kollegen in dieser Disziplin. Die Herausforderung beim Entwerfen liegt in der Limitierung der Form. So sind konkave Rundungen ausgeschlossen, weil Bezüge nur entlang konvexer Oberflächen gespannt werden können. Auch erfordern die Nähte besonders fachliches Know-how und sind nur schwer vorab am (digitalen) Zeichentisch zu bestimmen.
Arabisches Sitzen
Ein Sofa, mit dem Jehs + Laub 2010 für Aufsehen gesorgt haben, ist das Polstersystem Jalis für Cor. „Wir sind beide häufig in die arabischen Länder gereist. Wie die Menschen dort Kissen auf den Boden oder auf Podeste werfen und darauf sitzen, hat uns fasziniert“, erklärt Jürgen Laub. Um dem Sofa die Anmutung eines geknickten Kissens zu verleihen, wird ein innenliegendes Stahlgerüst von mehreren Schaumstoff-Schichten umschlossen. „Von außen sieht es aus wie ein Kissen und fühlt sich auch so an. Aber der Aufbau gleicht eher einem klassischen Sofa. Oder dem menschlichen Körper: Es gibt Knochen, Sehnen und eben auch Speck“, sagt Jürgen Laub. Indem die Polster nicht nur mit filigranen Gestellen kombiniert werden können, sondern ebenso mit bodennahen Sockeln, wird ein Stück orientalischer Sitzkultur in okzidentale Wohnzimmer transferiert.
Flexibilität und Klarheit
Flexibel und erweiterbar zeigt sich das Polstersystem Mell (2012), das Jehs + Laub 2012 ebenfalls für Cor entworfen haben. Schlanke Stahlkufen lassen die Sofas und Sessel über dem Boden schweben. Die Rücken- und Seitenflächen ragen schnurstracks in die Höhe. Die äußere Strenge hat einen Grund: Schließlich können die kubischen Sitzmodule zusammen mit passenden Hockern und Tischen zu geräumigen Sitzlandschaften kombiniert werden, die sowohl freistehend als auch direkt vor der Wand platziert werden können. Versöhnlich in puncto Sitzkomfort erscheint dagegen die Innenseite der Möbel. Sowohl die Sitzfläche als auch die Arm- und Rückenlehnen sind weich abgerundet und bilden einen gepolsterten Kokon.
Auf das Spannungsfeld zwischen Innen und Außen setzen Jehs + Laub auch mit ihrem Sitzprogramm Elm (2014) für Cor. Anders als bei ihren bisherigen Polstermöbeln wurde die tragende Struktur nicht im Inneren belassen, sondern vollständig nach außen gekehrt. Hochwertige Hölzer umrahmen die Polster und schlagen mit filigraner Verarbeitung eine Brücke zwischen skandinavischer Moderne und Gegenwart. Der Effekt des gepolsterten Inside-Out-Prinzips: Während die handwerklich anspruchsvollen Details sichtbar gemacht werden, entfalten die Sofas auch auf visueller Ebene eine beschützende Wirkung.
Vormarsch der Solitäre
Die Platzhirsch-Rolle im Wohnzimmer kann das Sofa dennoch nicht automatisch einfordern. „Derzeit erlebt der Lounge-Sessel ein Revival. Um den aufstellen zu können, muss man fast schon auf die Sitzlandschaft verzichten. Von daher läuft es eher auf mehrere kleinere Produkte hinaus, also ein Einzelsofa in Kombination mit einem Lounge-Sessel“, sagt Markus Jehs. Mit der Sesselfamilie Shrimp (2012) hat das Designerduo eine betont skulpturale Formensprache gefunden, die ihre Wirkung als Solitär im Raum entfaltet. „Das Wohnen wird immer mehr zu einem Patchwork, bei dem Großes neben Kleinem und Altes neben Neuem steht“, sind die beiden Designer überzeugt.
Wohnliches Zusammenspiel
Die Zukunft des Sitzens sehen Jehs + Laub in einer behutsamen Evolution. „Natürlich gibt es heute andere Polstertechniken als noch vor dreißig Jahren. Aber in ihrer Grundfigur sind die Sitzmöbel gleich geblieben, weil sie sehr nah an den Maßen des menschlichen Körpers sind“, erklärt Markus Jehs. Die Herausforderung besteht vor allem darin, auch auf kompakter Fläche wohnlichen Komfort zu bieten. „Die Strategie der meisten Möbelfirmen liegt darin, neue Entwürfe in möglichst großen Dimension zu zeigen, damit sie für die Kunden lukrativ aussehen. Doch wenn sie dann ein solches Sofa bestellen, stellen sie fest, dass sie nur 2,5 Meter zur Verfügung haben. Als Gestalter müssen wir das berücksichtigen“, erklärt Markus Jehs weiter. Den Meistertitel können damit weder Sofas, Sessel oder Stühle für sich alleine beanspruchen. Damit das Wohnen in kleinen Dimensionen funktioniert, ist vor allem eines gefragt: Teamgeist.