Ein Däne in Berlin
Studiobesuch bei Sigurd Larsen

Ob Baumhäuser und Schlafkojen für Reisende, Schulen, Privathäuser in den Bergen oder DIY-Möbel für einen deutschen Baumarkt: Wenn Sigurd Larsen etwas anpackt, dann wohlüberlegt und immer gepaart mit einem Schuss dänischer Lässigkeit. Wir haben den Architekten und Designer in seinem Studio in Berlin-Kreuzberg besucht.
Ein Herbsttag in der Blücherstraße: Zwischen einem altmodischen Kiosk, wo Hundebesitzer auf kaffeetrinkende Frauen in bunten Anoraks treffen, und einer Tischlerei liegt ziemlich unscheinbar das Studio von Sigurd Larsen. Durch Glasfenster und -türen sieht man in das rund 70 Quadratmeter große Atelier, das zweigeteilt ist: Vorn gibt es einen Besprechungstisch, dahinter stehen in einem Regal Architekturmodelle aus Holz und Pappe, am Boden liegen Materialproben wie schöne rote Ziegel aus Dänemark für ein neues Projekt. Hinter einem weißen Vorhang, der als Raumteiler dient, sind mehrere Arbeitstische aufgestellt, an denen Larsen und seine zehn Mitarbeiter sitzen – wegen der Corona-Pandemie durch Plastikscheiben voneinander getrennt. Es sei hier ziemlich eng geworden, erzählt Larsen mit seinem charmanten dänischen Akzent, weshalb er demnächst in ein größeres Studio gleich um die Ecke ziehen wird.
Sprung ins kalte Wasser
Vor zehn Jahren gründete Larsen sein eigenes Architektur- und Designstudio in Berlin – nach einem Studium an der School of Architecture der Royal Academy of Fine Arts in Kopenhagen und beruflichen Stationen bei OMA in New York, MVRDV in Rotterdam und Topotek1 in Berlin. Ein ziemlicher Sprung ins kalte Wasser sei das gewesen, gibt er zu. Doch er wollte von Anfang an als Architekt selbständig sein und hatte Glück: Nachdem er sich zuerst mit Möbelentwürfen über Wasser hielt, bekam er durch private Kontakte den Auftrag, das Interiordesign für das Hotel Michelberger in Berlin umzusetzen – ein ziemlicher Erfolg und Larsens rasanter Einstieg ins eigenständige Architekturbusiness. Dass er aus Dänemark kommt, spielt für seinen Erfolg sicherlich auch eine Rolle, war er doch schon als Kind umgeben von gut gestalteten Produkten. „Man verbringt bei uns wegen des schlechten Wetters viel Zeit zu Hause, empfängt oft Gäste und richtet sich mit schönen Dingen ein“, sagt Larsen und ergänzt: „Dänemark hat in den letzten Jahrzehnten so viele gute Architekten und Gestalter hervorgebracht, dass wir uns als Designnation wahrnehmen.“
Gut im Geschäft
Die Corona-Krise hat sich bisher nicht negativ auf die Auftragssituation des Architekten ausgewirkt, im Gegenteil: Es sind einige neue Projekte hinzugekommen, vor allem Privathäuser. „Die Leute hatten während des Lockdowns Zeit zu überlegen, was sie brauchen und wie sie leben wollen“, erzählt Larsen, der seit 2016 auch als Professor an der Berlin International University of Applied Sciences lehrt. Vor ihm auf dem Tisch steht ein Architekturmodell eines Projekts, an dem er gerade arbeitet: ein Künstler- und Veranstaltungshaus in Kladow. Gerade abgeschlossen hat er eine andere Arbeit, den Bau einer Gesamtschule in Rheda-Wiendenbrück, wo er für den Hochbau und das Interiordesign zuständig war. In den Innenräumen finden sich ähnliche Raum-in-Raum-Elemente aus Holz wie im Michelberger Hotel – sie zeigen die spielerische Seite des Architekten. „Die Schüler verbringen immer mehr Zeit in der Schule, weshalb man nun auch andere Räume braucht“, sagt Larsen. Er schätzt es, sich immer wieder neue Arbeitsfelder zu erschließen, denn „jeder kreative Mensch wartet auf eine Herausforderung, auf etwas Neues“.
Baumarktmöbel und Editionsdesign
Neben dem Entwurf von Architektur- und Interiordesignprojekten – vor allem Privathäuser, Hotels und öffentliche Bauten – arbeitet Larsen auch als Produktdesigner für Hersteller wie New Tendency, Reform, Formel A und Stage. Dabei entstehen Möbel in einfachen Formen: Küchen, Sofas, Regale – aus Materialien wie Holz, Beton, Stahl und Aluminium. Interessiert ihn ein Material oder eine spezielle handwerkliche Ausführung besonders, entwirft Larsen zuweilen auch Produkte, die er als eigene Editionen herausgibt. Dabei schätzt er es, wenn die Dinge lokal hergestellt werden. In seinem Studio stapeln sich beispielsweise gerade Prototypen von honigfarbenen Glasvasen auf dem Boden, die bei Berlin Art Glas in Pankow mundgeblasen werden. „Ich hatte für das Michelberger Hotel einen riesigen Kronleuchter aus Glas entworfen“, erzählt Larsen. „Seither interessiere ich mich für die Glasherstellung.“ Außerdem kommt in einigen Wochen ein modulares Sofa heraus, das der Designer für das Berliner Start-up Stage entworfen hat.
Berlin statt Hygge
An seiner Wahlheimat Berlin schätzt Larsen vor allem die Diversität, die im Gegensatz zur dänischen Konsens-Demokratie stehe, wie er sagt. „Ich bin nicht mit allem einverstanden, was hier passiert, sagt er. „Aber das Andere, das Fremde ist ja gerade das Spannende.“ Auch vor kniffligen Aufgaben und unerwarteten Auftraggebern schreckt er nicht zurück. Als der deutsche Baumarkt Hornbach ihn vor zwei Jahren bat, einen DIY-Sessel zu entwerfen, sagte er spontan zu. Und sieht sich damit ganz in der Tradition dänischer Gestalter, die bereits in den Sechzigerjahren Möbel entwarfen, die in Supermärkten verkauft wurden. Auch heute noch eine ziemliche gute Idee, finden wir.
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