Menschen

Ein Däne in Berlin

Studiobesuch bei Sigurd Larsen

Ob Baumhäuser und Schlafkojen für Reisende, Schulen, Privathäuser in den Bergen oder DIY-Möbel für einen deutschen Baumarkt: Wenn Sigurd Larsen etwas anpackt, dann wohlüberlegt und immer gepaart mit einem Schuss dänischer Lässigkeit. Wir haben den Architekten und Designer in seinem Studio in Berlin-Kreuzberg besucht.

von Claudia Simone Hoff, 27.10.2020

Ein Herbsttag in der Blücherstraße: Zwischen einem altmodischen Kiosk, wo Hundebesitzer auf kaffeetrinkende Frauen in bunten Anoraks treffen, und einer Tischlerei liegt ziemlich unscheinbar das Studio von Sigurd Larsen. Durch Glasfenster und -türen sieht man in das rund 70 Quadratmeter große Atelier, das zweigeteilt ist: Vorn gibt es einen Besprechungstisch, dahinter stehen in einem Regal Architekturmodelle aus Holz und Pappe, am Boden liegen Materialproben wie schöne rote Ziegel aus Dänemark für ein neues Projekt. Hinter einem weißen Vorhang, der als Raumteiler dient, sind mehrere Arbeitstische aufgestellt, an denen Larsen und seine zehn Mitarbeiter sitzen – wegen der Corona-Pandemie durch Plastikscheiben voneinander getrennt. Es sei hier ziemlich eng geworden, erzählt Larsen mit seinem charmanten dänischen Akzent, weshalb er demnächst in ein größeres Studio gleich um die Ecke ziehen wird.


Sprung ins kalte Wasser
Vor zehn Jahren gründete Larsen sein eigenes Architektur- und Designstudio in Berlin – nach einem Studium an der School of Architecture der Royal Academy of Fine Arts in Kopenhagen und beruflichen Stationen bei OMA in New York, MVRDV in Rotterdam und Topotek1 in Berlin. Ein ziemlicher Sprung ins kalte Wasser sei das gewesen, gibt er zu. Doch er wollte von Anfang an als Architekt selbständig sein und hatte Glück: Nachdem er sich zuerst mit Möbelentwürfen über Wasser hielt, bekam er durch private Kontakte den Auftrag, das Interiordesign für das Hotel Michelberger in Berlin umzusetzen – ein ziemlicher Erfolg und Larsens rasanter Einstieg ins eigenständige Architekturbusiness. Dass er aus Dänemark kommt, spielt für seinen Erfolg sicherlich auch eine Rolle, war er doch schon als Kind umgeben von gut gestalteten Produkten. „Man verbringt bei uns wegen des schlechten Wetters viel Zeit zu Hause, empfängt oft Gäste und richtet sich mit schönen Dingen ein“, sagt Larsen und ergänzt: „Dänemark hat in den letzten Jahrzehnten so viele gute Architekten und Gestalter hervorgebracht, dass wir uns als Designnation wahrnehmen.“

Gut im Geschäft
Die Corona-Krise hat sich bisher nicht negativ auf die Auftragssituation des Architekten ausgewirkt, im Gegenteil: Es sind einige neue Projekte hinzugekommen, vor allem Privathäuser. „Die Leute hatten während des Lockdowns Zeit zu überlegen, was sie brauchen und wie sie leben wollen“, erzählt Larsen, der seit 2016 auch als Professor an der Berlin International University of Applied Sciences lehrt. Vor ihm auf dem Tisch steht ein Architekturmodell eines Projekts, an dem er gerade arbeitet: ein Künstler- und Veranstaltungshaus in Kladow. Gerade abgeschlossen hat er eine andere Arbeit, den Bau einer Gesamtschule in Rheda-Wiendenbrück, wo er für den Hochbau und das Interiordesign zuständig war. In den Innenräumen finden sich ähnliche Raum-in-Raum-Elemente aus Holz wie im Michelberger Hotel – sie zeigen die spielerische Seite des Architekten. „Die Schüler verbringen immer mehr Zeit in der Schule, weshalb man nun auch andere Räume braucht“, sagt Larsen. Er schätzt es, sich immer wieder neue Arbeitsfelder zu erschließen, denn „jeder kreative Mensch wartet auf eine Herausforderung, auf etwas Neues“.
Hornbach Werkstück Edition 001: Lounge Chair von Sigurd Larsen

Baumarktmöbel und Editionsdesign
Neben dem Entwurf von Architektur- und Interiordesignprojekten – vor allem Privathäuser, Hotels und öffentliche Bauten – arbeitet Larsen auch als Produktdesigner für Hersteller wie New Tendency, Reform, Formel A und Stage. Dabei entstehen Möbel in einfachen Formen: Küchen, Sofas, Regale – aus Materialien wie Holz, Beton, Stahl und Aluminium. Interessiert ihn ein Material oder eine spezielle handwerkliche Ausführung besonders, entwirft Larsen zuweilen auch Produkte, die er als eigene Editionen herausgibt. Dabei schätzt er es, wenn die Dinge lokal hergestellt werden. In seinem Studio stapeln sich beispielsweise gerade Prototypen von honigfarbenen Glasvasen auf dem Boden, die bei Berlin Art Glas in Pankow mundgeblasen werden. „Ich hatte für das Michelberger Hotel einen riesigen Kronleuchter aus Glas entworfen“, erzählt Larsen. „Seither interessiere ich mich für die Glasherstellung.“ Außerdem kommt in einigen Wochen ein modulares Sofa heraus, das der Designer für das Berliner Start-up Stage entworfen hat.

Berlin statt Hygge
An seiner Wahlheimat Berlin schätzt Larsen vor allem die Diversität, die im Gegensatz zur dänischen Konsens-Demokratie stehe, wie er sagt. „Ich bin nicht mit allem einverstanden, was hier passiert, sagt er. „Aber das Andere, das Fremde ist ja gerade das Spannende.“ Auch vor kniffligen Aufgaben und unerwarteten Auftraggebern schreckt er nicht zurück. Als der deutsche Baumarkt Hornbach ihn vor zwei Jahren bat, einen DIY-Sessel zu entwerfen, sagte er spontan zu. Und sieht sich damit ganz in der Tradition dänischer Gestalter, die bereits in den Sechzigerjahren Möbel entwarfen, die in Supermärkten verkauft wurden. Auch heute noch eine ziemliche gute Idee, finden wir.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Sigurd Larsen

Design & Architecture

sigurdlarsen.com

Mehr Menschen

Das Gute trifft das Schöne

Interview über die Kooperation von Arper und PaperShell

Interview über die Kooperation von Arper und PaperShell

Ein Designer in olympischer Höchstform

Mathieu Lehanneur im Gespräch

Mathieu Lehanneur im Gespräch

New Kids on the Block

Interior- und Designstudios aus Berlin – Teil 2

Interior- und Designstudios aus Berlin – Teil 2

„Man muss vor der KI nicht zu viel Respekt haben“

Technologie-Insider Timm Wilks im Interview

Technologie-Insider Timm Wilks im Interview

New Kids on the Block

Interior- und Designstudios aus Berlin

Interior- und Designstudios aus Berlin

In Räumen denken

Vorschau auf die Boden- und Teppichmesse Domotex 2024

Vorschau auf die Boden- und Teppichmesse Domotex 2024

KI als Mitbewerberin

Interview mit Rafael Lalive von der Universität Lausanne

Interview mit Rafael Lalive von der Universität Lausanne

Echos aus der KI-Welt

Architekt Wolfram Putz von Graft über Künstliche Intelligenz

Architekt Wolfram Putz von Graft über Künstliche Intelligenz

„Ich betrete gerne Neuland“

Ein Gespräch über Akustik mit der Architektin Marie Aigner

Ein Gespräch über Akustik mit der Architektin Marie Aigner

Wie es Euch gefällt

FSB-Co-Chef Jürgen Hess über den neuen Mut zur Farbe

FSB-Co-Chef Jürgen Hess über den neuen Mut zur Farbe

Mehr Raum für Kreativität

Visualisierungsexpertin Andrea Nienaber über die Vorteile der 3D-Planung

Visualisierungsexpertin Andrea Nienaber über die Vorteile der 3D-Planung

Die Kreativität ins Rollen bringen

osko+deichmann über flexible Möbel für New-Work-Büros

osko+deichmann über flexible Möbel für New-Work-Büros

„Alles entspringt aus dem Ort“

Studio Wok aus Mailand im Interview

Studio Wok aus Mailand im Interview

Nachhaltig bauen heißt flexibel denken

Architekt Andreas Gerhardt über nachhaltige Gebäude und Interiors

Architekt Andreas Gerhardt über nachhaltige Gebäude und Interiors

Ukrainische Perspektiven #3

Interview mit Interiordesigner Oleksandr Maruzhenko von Men Bureau

Interview mit Interiordesigner Oleksandr Maruzhenko von Men Bureau

„Wir müssen Verantwortung übernehmen“

Lars Engelke, COO von Object Carpet, über Wertstoffkreisläufe bei Bodenbelägen

Lars Engelke, COO von Object Carpet, über Wertstoffkreisläufe bei Bodenbelägen

Langlebig, aber nicht langweilig

Das Designstudio Big-Game im Gespräch

Das Designstudio Big-Game im Gespräch

Nähe, Frische und Substanz

Leo Lübke über Strategien der Nachhaltigkeit bei COR

Leo Lübke über Strategien der Nachhaltigkeit bei COR

Zukunftsweisende Ergonomie

Interview mit Kim Colin von Industrial Facility

Interview mit Kim Colin von Industrial Facility

Ukrainische Perspektiven #2

Der Architekt Slava Balbek von balbek bureau im Gespräch

Der Architekt Slava Balbek von balbek bureau im Gespräch

Authentische Raumcollagen

Ein Gespräch mit dem Modiste-Gründer Marick Baars

Ein Gespräch mit dem Modiste-Gründer Marick Baars

Kunst wird Architektur

Pavillonbau von Thomas Demand im dänischen Ebeltoft

Pavillonbau von Thomas Demand im dänischen Ebeltoft

Textile Reise nach Persien

Hadi Teherani und Camilla Fischbacher über die Kollektion Contemporary Persia

Hadi Teherani und Camilla Fischbacher über die Kollektion Contemporary Persia

„Im Design fehlen die weiblichen Vorbilder“

Ein Gespräch mit Simone Lüling und Joa Herrenknecht von Matter of Course

Ein Gespräch mit Simone Lüling und Joa Herrenknecht von Matter of Course

Frischer Wind bei USM

Katharina Amann über ihre neue Rolle beim Schweizer Möbelhersteller

Katharina Amann über ihre neue Rolle beim Schweizer Möbelhersteller

Die Couch-Versteher

Dario Schröder über die Erfolgsstory von Noah Living

Dario Schröder über die Erfolgsstory von Noah Living

Braucht man wirklich einen neuen Teppich?

Die Innenarchitektin Monika Lepel im Gespräch

Die Innenarchitektin Monika Lepel im Gespräch

Startpaket für nachhaltige Innenarchitektur

Ein Gespräch mit BDIA-Präsidentin Pia A. Döll

Ein Gespräch mit BDIA-Präsidentin Pia A. Döll

Aneigenbare Arbeitswelten

Ein Gespräch mit Martin Haller von Caramel Architekten

Ein Gespräch mit Martin Haller von Caramel Architekten

Corona als Wohntrend-Booster

Ein Gespräch mit der Zukunftsforscherin Oona Horx-Strathern

Ein Gespräch mit der Zukunftsforscherin Oona Horx-Strathern