Eyal Burstein
Eyal Burstein stellt Alltäglichkeiten infrage. Gegebenheiten, die ihm Kopfzerbrechen bereiten, untersucht er mit der Akribie eines Forschers, um seine Schlüsse daraus schließlich zu Möbeln, Objekten oder Büchern werden zu lassen. Die Arbeitsweise des in Berlin lebenden israelischen Designers spiegelt sich auch im Namen seines Studios Beta Tank wider: Beta wie die Beta-Version und Tank wie das Think-Tank. Wir trafen Eyal Burstein in Kreuzberg und sprachen mit ihm über das Potenzial von Baugerüsten, die Macht von Zollbeamten und das Unbehagen bei dem Gedanken an die bevorstehenden Feiertage im Kreise der Familie.
Herr Burstein, das Gebäude, in dem sich Ihr Studio befindet, ist umhüllt von einem Baugerüst. Ist das ein Zufall oder besteht ein Zusammenhang zu Ihrem Projekt Scaffolding Brut?
Das ist ein Zufall. Ich werde von Baugerüsten verfolgt (lacht). Zunächst war es mein Wohnhaus und nun das Büro. Sie verschwinden einfach nie aus der Stadt. Wenn eines abgebaut wird, wird irgendwo anders ein neues aufgebaut.
Was interessiert Sie so sehr an dem Baugerüst?
Meine Arbeit geht immer von einem Forschungsvorhaben aus. Es muss nicht akademischer Natur sein, sondern kann auch auf einer Anekdote basieren. Ich setze mich einfach gerne mit einem Thema auseinander. Das dauert meistens ein oder zwei Jahre, eben so lange ich das Gefühl habe, es nicht zu verstehen. Das Baugerüst interessiert mich, weil es technisiert, jedoch nicht designt ist. Als mich vor eineinhalb Jahren das Victoria & Albert Museum beauftragte, etwas für das London Design Festival 2011 zu entwerfen, entstand die Idee, Accessoires für Menschen zu gestalten, die in von Baugerüsten umhüllten Gebäuden wohnen und diese teilweise auch als Balkon benutzen.
Und mit Scaffolding Brut wollten Sie diese verschönern?
Scaffolding Brut ist ein erstes Beispiel, wie das Baugerüst genutzt und verschönert werden könnte. Ich habe eine Version mit einer Vase entworfen, eine andere mit einem Vogelhaus und weitere für die Romantiker. Letztere setzt sich aus einer Vase, einem Sektkühler und Kerzenhaltern zusammen. Alles besteht aus Porzellan, einschließlich der Schrauben und Muttern. Im V&A wurden sie an einem echten Baugerüst befestigt, aber ich habe passende Beine gestaltet, damit man sie auch im Innenraum nutzen kann. Später entstand dann die Idee, Extrateile für das industrielle Gerüst zu entwerfen, die es ansehnlich machen und zu einer Skulptur werden lassen.
Wie das?
Durch eine Leuchte. Sie ist zwei Meter lang und besitzt den gleichen Durchmesser wie das genormte Gerüst. Die aktuelle Version besteht aus Aluminium, Kupfer, Glas und einer Leuchtstoffröhre und eignet sich eher für den Innenraum. Sie könnte jedoch auch aus Stahl, Kunststoff und LEDs hergestellt werden. So wäre sie kostengünstig und robust für den Außenraum und könnte leicht an ein Gerüst angebracht werden. Ich habe mich schon immer gefragt, warum alle Baugerüste gleich sind und diese hässlichen, dunklen Tunnel entstehen lassen. Wenn eine Stadt die Oper saniert und ich mein Loft renoviere, wird das gleiche System benutzt. Das macht doch keinen Sinn. Es gibt keine Möglichkeit, die Projekte wirklich zu differenzieren. Dabei könnte es schön sein, die Gebäude zu einer Art Skulptur werden zu lassen. Auch wenn sie von einem Gerüst verhüllt sind, sind sie doch ein Wahrzeichen der Stadt. Ich arbeite auch an einem Buch über das Thema. Es setzt sich mit Baugerüsten aus der ganzen Welt auseinander und zeigt deren Effekte auf die Städte auf.
Es ist nicht das erste Buch, das aus einer Ihrer Arbeiten hervorgeht. Auch aus Ihrem Langzeit-Projekt Taxing Art resultierte ein Buch, das im Gestalten Verlag erscheint und die Klassifizierung von Kunst und Design analysiert und kritisiert.
Bevor ich 2008 von London nach Berlin gezogen bin, habe ich viele seltsame konzeptionelle Objekte entworfen. Meinem britischen Steuerberater war das egal. Am Ende des Jahres gab ich ihm eine Schachtel voller Rechnungen und er gab ihnen Sinn. Hier in Berlin läuft das etwas anders. Das fiel mir das erste Mal richtig auf, als ich an einem Wettbewerb für die Neugestaltung eines Camper-Stores am Ku'damm teilnahm. Wenn ich etwas entwerfe, dann will ich alles gestalten. Und so muss ich verstehen, wie alles funktioniert, auch wie die Dinge verkauft werden und wie man den Laden betritt. Ich bin also in den Laden gegangen und habe ein Paar Schuhe gekauft, nicht um sie zu tragen, sondern als Teil der Recherche. Die Quittung gab ich dann meiner Steuerberaterin als Rechercheausgabe. Sie meinte daraufhin, ich könne die Schuhe nicht absetzen, aber sie würde sie als Leihgabe vermerken, von mir an meine Firma. Ein anderes Beispiel passierte, als ich etwas für den DMY entwarf. Es war ein Stein mit einem integrierten USB-Anschluss. Meiner Steuerberaterin gab ich Quittungen von zehn USB-Sticks, zehn Steinen und einem Bohrer. Sie fragte mich daraufhin, ob ich die zehn Steine mit der Hand herstellen würde. Wenn ja, dann wäre das Kunst und ich müsse dafür sieben und nicht 19 Prozent Mehrwertsteuer verlangen. Das Ganze brachte mich dazu, mich mit dem komplexen Steuersystem auseinanderzusetzen und nachzulesen, was in Deutschland einen Künstler ausmacht. Es gibt eine Liste, und wenn ich mich recht erinnere, steht an erster Stelle, dass ein Künstler ein Künstler ist, wenn er eine Kunstakademie besucht hat. Danach folgen Dinge, wie ob man an einer Ausstellung teilgenommen hat. Wäre man dann nicht auch ein Feuerwehrmann, nur weil man einen Feuerwehrhelm trägt? Das war der Anfang meines Projektes Taxing Art und demonstriert gut meine Arbeitsweise. Etwas passiert, ich verstehe es nicht und dann entwerfe ich Objekte für das bessere Verständnis.
Als Teil von Taxing Art haben Sie die Kollektion Beta für Swarovski entworfen, die zum ersten Mal während der Design Miami/ Basel 2012 ausgestellt wurde. Was hat es damit auf sich?
Das Projekt ist eine Antwort auf einen Rechtsfall zwischen der Galerie Haunch of Venison und der britischen Zoll- und Steuerbehörde. Letztere stellte der Galerie eine Zollgebühr von 40.000 Pfund in Rechnung, die sie für einen Import von Elektrogeräten forderte. Ein Zollbeamter hatte während der Inspektion einer Kiste von Haunch of Venison die Arbeiten von Bill Viola und Dan Flavin nicht als Kunst erkannt, sondern deklarierte sie als Leuchtstoffröhren, Lautsprecher, Kabel und Stecker. In Anspielung auf diesen Fall wollte ich den entgegengesetzten Effekt schaffen: etwas, das unterwegs Kunst ist und am Zielort zu einem Designobjekt wird. So habe ich eine Bank aus Acryl entworfen, die aus 137 Profilen besteht, die jeweils einzigartig sind und allein keine Funktion besitzen. Wer sie einzeln sieht, kann sie leicht für Kunstobjekte halten, wodurch wiederum die hohe Mehrwertsteuer umgangen werden kann, die für eine funktionale Bank verlangt wird. Neben der Bank habe ich noch drei Stühle entworfen, die aus Beton bestehen und deren Form sehr schlicht ist, ähnlich wie ein Kind einen Stuhl malen würde. Anstatt reale Kristalle zu benutzen, habe ich mit LEDs und Spiegelungen gearbeitet. Auf dem ersten Blick scheint ein großer Kristall aus dem Stuhl herauszutreten, doch bei näherer Betrachtung entpuppt er sich als Illusion.
Ihre Arbeiten bewegen sich auf der Grenze von Kunst zu Design. Wie sieht das bei Ihren laufenden Projekten aus?
Seit über einem Jahr arbeite ich an dem Tisch Home for the Holidays, der das „Danach“ eines apokalyptischen Familienabendessens darstellt, also eine stressige Situation, wie wir sie alle kennen. Ich habe einen großen oktogonalen Tisch aus Polyester und Epoxydharz gestaltet, in dessen Oberfläche ich Tafelservice und Besteck von Flohmärkten einsinken ließ. Der Tisch besitzt eine glänzende Oberfläche, die ich durch eine monatelange Bearbeitung mit Sandpapier geschaffen habe. Sie soll die gemischten Gefühle widerspiegeln, die man der Familie oft gegenüber hat: Du liebt sie, du freust dich darauf, sie wiederzusehen, doch dann endet alles so, dass du dir die Frage stellst, wer überhaupt diese Menschen sind. Im Gegensatz zu meiner Leuchte aus dem Projekt Scaffolding Brut, die industriell und ein Designobjekt ist, hat der Tisch keine Funktion. Er ist eine Skulptur.
Vielen Dank für das Gespräch.
FOTOGRAFIE Anikka Bauer
Anikka Bauer
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