Ilkka Suppanen
Ilkka Suppanen versucht, Einfluss zu nehmen. Nicht nur auf die Produktangebote einzelner Firmen, sondern auch auf Systeme, die ein Schattendasein in unserer Gesellschaft führen. Das macht den 1968 geborenen Gestalter einerseits zu einer Schlüsselfigur des heutigen finnischen Designs und andererseits zu einem Aufbauhelfer in Ländern wie Brasilien oder Indien. Wir trafen Ilkka Suppanen anlässlich der Helsinki Design Week und sprachen mit ihm über finnische Traditionen, brasilianische Sammler und indische Kasten.
Herr Suppanen, vor fünfzehn Jahren debütierten Sie mit drei Freunden unter dem Namen Snowcrash auf der Mailänder Möbelmesse. Zusammengearbeitet haben Sie jedoch nie?
Snowcrash stand in engem Zusammenhang mit der damaligen Situation in Finnland. Anfang der 1990er Jahre durchlebten wir eine schwere Banken- und Wirtschaftskrise. Auslöser war der Zusammenbruch der Exporte in die Sowjetunion. Die Finnmark verlor beinahe 25 Prozent ihres Wertes, Kredite konnten nicht mehr zurückgezahlt werden, das Bruttoinlandsprodukt sank und die Arbeitslosigkeit stieg an. Es war eine ganz ähnliche Situation wie die heute in Portugal und Spanien, nur schlimmer. Und genau zu dieser Zeit habe ich studiert.
Das hört sich keinesfalls nach einer vielversprechenden Zukunft an.
Ja, mir wurde schnell klar, dass in Finnland nichts zu holen war. Zusammen mit ein paar Freunden analysierte ich die Situation und wir beschlossen, dass wir ins Ausland gehen mussten, um Arbeit oder Projekte zu finden. So initiierten wir die Ausstellung Snowcrash während der Mailänder Möbelmesse 1997, mit Erfolg wie sich zeigte. Wir knüpften viele Kontakte, wir wurden bekannt, missverständlicher Weise auch als Designstudio.
Finnland gilt als Land des Designs. Inwiefern hat Sie dies in Ihrem Werdegang beeinflusst?
Ein Finne zu sein, hat eine gewisse Bedeutung, und ein finnischer Designer zu sein, natürlich auch. In Finnland hat das Design einen hohen Stellenwert und die Erwartung an einen finnischen Designer ist dementsprechend hoch. Die Situation ist ganz ähnlich wie die eines Chefkochs: Wenn du die Wahl zwischen einem Koch aus Frankreich und einem aus Polen hast, ist die Entscheidung relativ klar. Und so ähnlich ist es auch im Design. So gesehen hilft dir deine finnische Herkunft. Zudem arbeitest du in einem Land mit einer starken Tradition, fast jeder kennt Alvar Aalto oder Timo Sarpaneva. Meiner Ansicht nach muss ich jedoch als finnischer Designer nicht in ihre Fußstapfen treten. Das wäre keinesfalls hilfreich, schließlich leben wir heute in einer ganz anderen Zeit, und Finnland hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Früher war der Ausgangspunkt einfach ein ganz anderer.
Das heißt?
Meine Eltern zum Beispiel sind beide Flüchtlinge. Mein Vater etwa flüchtete in den 1940er Jahren mit seiner Mutter aus Karelien, das heute zu Russland gehört. Sie mussten alles zurücklassen. In der ersten Zeit lebten sie in einer Einzimmerwohnung mit drei anderen Familien zusammen. Damals war der Bedarf an Dingen sehr groß. Die Menschen brauchten Haushaltgegenstände: Stühle, Tische, Teller und Tassen. Die Idee der Moderne, industrielle Produkte kostengünstig herzustellen und zu verkaufen, wurde wirklich realisiert. Architekten und Designer entwarfen praktische Objekte, die dann von Firmen wie Arabia produziert wurden. So kam jeder Haushalt an perfekte Designobjekte.
Das hat auch die finnische Identität sehr geprägt.
Ja, zwei Aspekte waren damals wichtig: Einerseits brauchten wir Produkte, wir hatten nichts zur Auswahl. Zudem war die Identität relevant. Finnland war eine junge Nation, die erst 1917 ihre Unabhängigkeit erlangt hatte, und war auf der Suche nach einer Identität. Sie hätte in viele Dinge gefunden werden können: Kunst, Kultur, Sport oder Natur zum Beispiel. Aber aus irgendeinem Grund wurde Design und Architektur gewählt. Das war ein nationales Projekt, das der Regierung half, sich außerhalb des Landes eine Identität aufzubauen. Zudem kam es den finnischen Unternehmen zugute, die gefördert wurden. Diese beiden Aspekte, der Bedarf und die Identität, machten Finnland zu einem Designland.
Sie gehören zu den Gründern des Club of Helsinki, einer Non-Profit-Organisation in Brasilien. Was hat es damit auf sich?
Durch den Club of Helsinki versuchen wir, obdachlosen Menschen in Brasilien zu helfen, die Müll von der Straße sammeln, ihn sortieren und an Fabriken verkaufen. Wir arbeiten mit Unternehmen sowie Experten aus dem Designbereich und der Müllverarbeitung zusammen und versuchen, neue Verwendungsmöglichkeiten für das Altmaterial zu schaffen. Das Ziel des Projektes ist, Unternehmen die Möglichkeit zu bieten, ihren Geschäftsbereich weiterzuentwickeln und dabei mit sozialer Verantwortung zu kombinieren.
Wie wurden Sie auf die dortige Situation aufmerksam?
Ich habe eine Professorin aus Sao Paolo kennengelernt, die schon lange mit den obdachlosen Sammlern zusammenarbeitet und mir davon erzählte. Die Müllabfuhr ist in Brasilien nicht organisiert, und so sammeln sie den Müll von der Straße, wodurch sie etwa einen Euro am Tag verdienen. Davon können sie sich zwar etwas zu essen leisten, aber das Geld wird niemals für ein eigenes Zuhause reichen. Somit werden sie einerseits ausgenutzt und andererseits sind sie Teil des Systems, denn sie können sich notdürftig ernähren und müssen es sich ihr Geld nicht auf kriminelle Weise verdienen. Im Laufe der Jahre haben wir ein gutes Netzwerk aufgebaut und die Organisation gegründet.
Warum der Name Club of Helsinki?
Ich bin zwar der einzige Finne, aber in Helsinki hat alles angefangen. Zudem gefiel uns die Idee eines Clubs, denn dieser bietet ein Gefühl der Gemeinschaft und gleichzeitig Exklusivität. Schließlich ist ein Mensch ein Mensch. Auch wenn er gute Dinge tut, denkt er an seinen Vorteil: Du willst gut dastehen. Genau das können wir bieten. Im Gegenzug wollen wir dein Geld, deine Dienstleistung oder Kontakte, wodurch wir wieder etwas Gutes tun können.
Sie sind in ein ähnliches Projekt in Indien involviert, für das Sie mit einer Nichtregierungsorganisation zusammenarbeiten. Was ist das für ein Projekt?
Diese Nichtregierungsorganisation Tikau Share hat verschiedene Projekte in Indien. Eines beschäftigt sich mit der Situation kastenloser Menschen. In Indien gibt es sechs Kasten und die siebte ist kastenlos. Über 150 Millionen Menschen sind kastenlos und haben somit keine Menschenrechte. Du kannst sie überfallen, du kannst sie ausrauben oder gar umbringen und wirst nicht strafverfolgt. Das ist immer noch Realität in Indien. Ich arbeite mit einem Dorf zusammen, das Harijan heißt und in der Nähe von Mumbai liegt. Es gibt kaum Männer dort, denn sie haben den Ort verlassen, um in Fabriken in den Städten zu arbeiten. Somit bleibt den Frauen nicht viel. Was sie aber besonders gut können, ist das Korbflechten. Die Organisation hat mich gefragt, ob ich nicht einen Korb entwerfen kann, der in unsere nordische Designsprache passt, aber dort hergestellt wird. Mir wurde jedoch relativ schnell bewusst, dass es keinen Sinn macht, Körbe zu produzieren. Bei Ikea findet man heute schon Körbe für drei Euro, und selbst wenn wir es schaffen, einen für fünf Euro zu fertigen, würde das keinen Sinn machen. Denn allein schon, wenn er nach Europa ausgeführt wird, würde sich der Preis verdreifachen. Ich arbeite seit jeher mit Typologien. Normalerweise wird ein Designer mit dem Entwurf eines Stuhls beauftragt und er versucht, den bestmöglichen Stuhl zu entwerfen. Wenn ich jedoch das Gefühl habe, dass das Unternehmen keinen neuen Stuhl braucht, sondern beispielsweise einen Tisch, dann schlage ich es ihnen vor. Ich denke, das ist die Chance, die ein Designer hat.
Und wie lautete Ihr Vorschlag für Indien?
Eine Leuchtenkollektion aus Bambus zu machen, die in Harijan hergestellt wird. Wir haben dann die verschiedenen Größen so entwickelt, dass sie ineinander passen, was die Verpackung reduziert. Als Vergütung geben wir den Dorfbewohnern kein Geld, sondern versorgen sie mit Ärzten, Kleidung und so weiter. Wir versuchen, genug Geld zu verdienen, um ihnen Häuser bauen zu können. Ich denke, das ist ein gutes Beispiel für das, was man als Designer bewirken kann. Im Gegensatz zu den Körben können wir die Leuchten für 500, wenn nicht gar für 1000 Euro verkaufen. Die amerikanische Schauspielerin Julianne Moore hat sich auch schon welche gekauft, und wir würden sie gerne als Art Botschafterin gewinnen. Ich erinnere mich noch gut an den Anfang des Projektes, an unser erstes Treffen, als ich vorschlug, keinen Korb, sondern eine Leuchte zu machen. Damals sagte ich, diese würden dann die reichen und berühmten Menschen in New York verkauft. Natürlich war das nur dahingeredet, um die anderen zu motivieren. Und dann, nach drei Jahren, wurde das Versprechen wahr. Mit dem Resultat, dass heute Ärzte das Dorf versorgen und die Jungen auf einem Fußballplatz spielen können. Natürlich bin ich nicht allein dafür verantwortlich, aber zumindest bin ich Teil des Prozesses als ein Designer.
Woran arbeiten Sie zurzeit?
An verschiedenen Projekten. Unter anderem an einer Ausstellung für die Galerie Forsblom in Helsinki. Ich arbeite mit einem Glasbläser aus Murano zusammen und versuche, das Glas neu zu interpretieren.
Wie das?
Das Glas wird nicht geblasen und auch nicht gegossen. Auch wenn ich die Möglichkeit habe, mit einem der besten Glasbläser der Welt zusammenzuarbeiten, habe ich mich gegen den traditionellen Prozess entschieden. Wir arbeiten mit zerbrochenem Glas, das wir miteinander verschmelzen. Der Effekt wirkt ein bisschen wie Eis, oder genauer wie schmelzendes Eis. Die Ausstellung findet im November anlässlich Helsinkis Ernennung als World Design Capital 2012 statt und ist nach einer Show mit Arbeiten von Oiva Toikka und Harri Koskinen die letzte einer Designreihe.
Herr Suppanen, vielen Dank für das Gespräch.
Weitere Beiträge zum Thema Helsinki und finnischem Design finden Sie in unserem Special.
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