Menschen

Jonas Bjerre-Poulsen

Der Gründer von Norm Architects über Design als Evolution

2008 in Kopenhagen von Jonas Bjerre-Poulsen und Kasper Rønn Von Lotzbeck gegründet, realisieren Norm Architects Möbel und Leuchten ebenso wie holistische Raumkonzepte. Die Gemeinsamkeiten all dieser Entwürfe: unaufgeregte Formen, gedeckte Farben und die Idee von etwas Größerem.

von Nina C. Müller, 09.06.2020

Kann Luxus demokratisch sein? Ja. Seit den Fünfzigerjahren prägen Architekt*innen und Designer*innen aus Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Island die internationale Designszene. Und sind zeitgemäß wie eh und je. Einfache Formen, hohe Funktionalität und natürliche Materialien machen vieler ihre Entwürfe für Innenarchitekturen und Möbel so erschwinglich wie nachhaltig. Mit ihrem 2008 in Kopenhagen gegründeten, multidisziplinären Büro Norm Architects reihen sich die Dänen Jonas Bjerre-Poulsen und Kasper Rønn Von Lotzbeck in die Liste berühmter skandinavischer Gestaltungspersönlichkeiten ein. Im Interview erklärt Gründungspartner Jonas Bjerre-Poulsen, wie man den Dingen eine Geschichte mitgibt – und vielleicht selbst Geschichte schreibt.

Wie sahen die Anfänge von Norm Architects aus? Als Kasper Rønn Von Lotzbeck und ich kurz vor der Finanzkrise 2008 Norm Architects gründeten, erlebten wir ein starkes Wirtschaftswachstum. Verrücktes und experimentelles Design war en vogue, stark beeinflusst von der niederländischen Designbewegung. Wir aber kamen aus einer modernistischen Tradition und unsere Vision für die Zukunft des Designs bestand darin, Fortschritt eher als Evolution denn als Revolution zu betrachten. Wir standen auf den Schultern einer Tradition, die über Jahrhunderte verfeinert worden war, und wollten untersuchen, wie Innovation durch neue moderne Produktionsmethoden oder durch die Verbesserung von Details erreicht werden kann, anstatt mit großartigen und ausdrucksstarken Designs etwas völlig Neues zu verfolgen. Deshalb haben wir für unser Unternehmen den Namen Norm gewählt. Um zu sagen, dass wir mit bestehenden Normen und Standards für gutes Design arbeiten wollten.

Mit dem berühmten skandinavischen Design im Hintergrund, gibt es Designer oder Architekten, die du als Vorbilder bezeichnen würdest? Ich denke, es würde mehrere Stunden dauern, sie alle aufzulisten. Wir haben so viele kreative Idole, auf die wir uns in unserer Arbeit beziehen. Wir hegen eine tiefe Bewunderung für traditionelle nordische Tischler und Architekten wie Kaare Klint, Alvar Aalto und Arne Jacobsen, nur um ein paar Namen zu nennen. Sie sind das Fundament unserer Designsprache. Und dann gibt es eine lange Liste internationaler Designbewegungen, die inspirierend waren: das Bauhaus, die niederländische De Stijl-Strömung, der Stil der Shaker in den USA, die Arts and Crafts-Bewegung in Großbritannien und natürlich die traditionelle japanische Architektur.

Euch werden viele Stile zugeschrieben, darunter die Ästhetik des Zen oder das schwedische Lagom – ein übergreifendes Lebenskonzept, das die richtige Balance sucht. Wo würdest du eure Arbeit einordnen? Wir sind Verfechter des „Soft Minimalism“. Eine Idee der Einfachheit, die stark mit der Natur verbunden ist und sich auf die Verwendung taktiler Materialien konzentriert, die mit der Zeit schön altern. Als wir unser Studio gründeten, wurde das Wort Minimalismus im Allgemeinen negativ wahrgenommen. In den Achtziger- und Neunzigerjahren bestanden viele minimalistische Innenräume aus weißen Putzwänden, Edelstahlelementen und sehr leeren Räumen. Um diese Konnotation zu vermeiden, kamen wir auf diesen Begriff für eine mildere Form. Seitdem haben wir uns bemüht, Architekturen und Produkte zu gestalten, die einfach und bescheiden sind, die einem echten Bedürfnis entsprechen und als Werkzeug oder Rahmen für ein gutes Leben dienen. Wir haben versucht, alles Trendgetriebene zu vermeiden – so weit das möglich ist.

Wie sieht euer Designprozess aus? Ein Aspekt, der uns wahrscheinlich von vielen anderen Studios unterscheidet, ist, dass wir in unserem Designprozess oft mit einem Narrativ arbeiten. Mit einem klaren Konzept zu agieren, macht es wesentlich einfacher, die richtigen Designentscheidungen zu treffen und eine Geschichte zu erzählen, die über die bloße Ästhetik oder Funktionalität hinausgeht. Ein Beispiel für einen narrativen Designprozess ist unser Restaurantdesign für Höst, ein urbanes Hofrestaurant, das wir vor einigen Jahren entworfen haben und das mit dem Bar- und Restaurantdesignpreis als bestgestaltetes Restaurant der Welt ausgezeichnet wurde. „Höst“ ist das dänische Wort für Ernte. Wir verfolgten damit die Idee eines städtischen Gehöfts. Wir waren der Meinung, dass alle Freude daran haben, draußen in der Natur zu essen. Also haben wir versucht, diese Atmosphäre zu rekonstruieren, brachten Möbel auf einen Bauernhof und fotografierten sie vor dem Stall, dem Bauernhaus, den natürlichen Gegebenheiten und mit den Tieren. Dann haben wir diese Umgebung auf zeitgemäße Weise rekonstruiert. Tatsächlich vermittelt das Restaurant das Gefühl, auf einem Bauernhof zu sein, obwohl es mitten in der Stadt liegt.

Was interessiert dich an Phänomenologie? Es ist eine lange Liebesgeschichte, die bereits seit meiner Architekturausbildung andauert. Während des Studiums besuchte ich mehrere Vorträge über die Beziehung zwischen Architektur und Philosophie. Bei der Phänomenologie in der Architektur geht es darum, zu verstehen, wie Architektur oder Design Atmosphären erschaffen. Ich denke, jeder versteht, dass das Wetter als Phänomen unterschiedliche Stimmungen erzeugt. Wenn es dagegen um Architektur geht, spricht man normalerweise von quantifizierbaren Elementen wie den Dimensionen, Proportionen, Materialien und so weiter. Die Phänomenologie handelt davon, die Welt aus einer atmosphärischen Perspektive zu betrachten – oder in unserem Fall zu erschaffen. Verstehen, welche Gefühle ein Raum oder Objekt hervorruft. Wenn man als Architekt oder Designer arbeitet, ist es wichtig zu erkennen, dass die Umgebung nicht in ihren einzelnen Teilen wahrgenommen wird, sondern als ein umfassendes Erlebnis mit allen Sinnen. Dazu gehört, wie Dinge riechen. Oder zu verstehen, wie unterschiedliche Farben und Materialien die Launen beeinflussen. Wie fühlt sich eine Tasse auf den Lippen an? Wie klingt ein Stuhl, wenn man ihn bewegt? Es scheint mir, dass viele unserer Sinne vergessen werden, da die optische Wahrnehmung aufgrund der Nutzung von Social Media immer vordergründiger wird. Viele Architekten und Designer denken mehr darüber nach, wie ihre Projekte auf Instagram fotografiert aussehen, als darüber, wie sie tatsächlich die Sinne der Menschen beeinflussen. Wir versuchen, diesem Trend entgegenzuwirken.

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