Julia Stoschek: Zuhause in der Kunst
Sie will die Zeit anhalten. Die Sammlerin im Interview
Jumpsuit, hautfarbene High Heels und perfektes Make-up: Julia Stoschek wandelt durch ihre Sammlung, als würde sie hier wohnen – sie fühlt sich in den neuen Berliner Räumen sichtlich zuhause. „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, lautet auch die Botschaft zur Eröffnung der zweiten Ausstellung Jaguars & Electric Eels. Neu ist, dass die Hauptstadt-Dependance der Stoschek Collection tiefer geht: nämlich in den Keller mit Doug Aitken und Aaron Young.
Sie gelten als Pionierin für die Medienkunst, 2017 wird die Julia Stoschek Collection zehn Jahre alt. Allein 2016 zählte Ihre Sammlung rund zehntausend Besucher – wie fühlt sich das an? Es macht mich natürlich unheimlich glücklich – Medienkunst war bis vor zehn Jahren immer noch ein Stiefkind der Kunstwelt. Dass wir die Entwicklungsgeschichte dieses Genres mit vorangetrieben haben, das denke ich schon. Allerdings möchte ich ergänzen, dass auch das MoMA in New York eine wichtige Vorreiterrolle eingenommen hat und bereits vor zehn Jahren ein eigenes Department für Media und Performance gegründet hat. Künstler haben als Seismografen in allen Epochen der Kunstgeschichte stets Entwicklungen vorweggenommen und kommentiert, so eben auch in der Medienkunst. Für mich war diese Entwicklung absehbar: Wir sind ja tagtäglich von Bewegtbild umgeben!
1975 geboren, zählen Sie sich selbst zur Generation MTV – was ist der prägende Unterschied zur YouTube-Generation? Was fasziniert Sie an Medienkunst? Ich interessiere mich vor allem für Medienkunst, weil sie so ein enormer Impulsgeber ist und wie kein anderes Medium aktuelle Tendenzen abbildet. In unserer ersten Berliner Ausstellung Welt am Draht hatten wir viele Post-Internet-Artists, die alle erst nach 1982/83 geboren sind. Sie haben sicherlich ein anderes Verständnis von Kunst als die Vorgängergeneration und konnten auf diese Weise eine völlig neue Formensprache entwickeln: Social Media und das Thema des Sharings sind etwas, womit diese Generation aufwächst und das ihr Denken intensiv beeinflusst. Das bleibt natürlich nicht folgenlos – sowohl in der Kunst als auch in ihrem Lebensverständnis. Für mich ist es extrem spannend zu beobachten, wie diese junge Generation arbeitet.
Wie verändert sich das Thema der Urheberschaft in diesem Zusammenhang? Wird ihre Bedeutung von jungen Leuten überhaupt noch wahrgenommen? Eine Künstlerin wie Elaine Sturtevant, mit deren Werken wir unsere aktuelle Ausstellung beginnen, wurde bereits in den Sechzigern für ihre „1:1-Wiederholungen“ enorm angefeindet. Anders als Andy Warhol, der Sturtevant für ihre Arbeiten sogar seine Siebdrucke zur Verfügung gestellt hatte, hat sie ihre Werke überhaupt nicht mehr signiert. Heute haben wir mit den Post-Internet-Artists eine Generation, die das Sharing lebt und ihre Arbeiten im Netz frei zugänglich macht. Sie verfolgen den Anspruch, den die Medienkunst schon in den Sechzigerjahren hatte. Damals ist die Medienkunst sehr demokratisch aufgefasst worden, sie sollte allgemein zugänglich sein. Es gab keine Limitierungen, keine Editionen – die Limitierung ist erst durch den Kunstmarkt entstanden!
Sie zeigen Videokunst in den Räumen des ehemaligen tschechischen Kulturzentrums. Passt Medienkunst heute nicht längst auch in die Tasche: zum Beispiel auf dem Smartphone? Hier muss man sehr genau unterscheiden: Das, was Sie meinen, ist die netzbasierte Kunst oder auch Net Art, eine Richtung, die ich schätze, aber ganz bewusst nicht sammle. Es ist sehr entscheidend, ob man die Arbeiten nur am Computer erfährt oder sie installiert betrachtet. Unsere Arbeiten stehen dadurch in einem anderen Kontext und wirken deshalb auch anders. Ein gutes Beispiel ist der CREMASTER 3 von Matthew Barney, der auch als Video erhältlich ist – kein Vergleich zur Gesamtinstallation, die wirklich bahnbrechend im Guggenheim oder im Museum Ludwig installiert war. Die Erfahrbarkeit im Raum ist das wichtigste Merkmal dieser Kunstgattung. Was zu der Frage führt, was Medienkunst von der Architektur und den Räumen fordert, in denen sie ausgestellt wird. Wir versuchen natürlich die Räume an die Medienkunst anzupassen. Gemeinsam mit den Künstlern konzipieren wir die Ausstellungsräume und überlegen, wo ihre Arbeiten am besten wirken können. Cyprien Gaillard zum Beispiel braucht eine bestimmte Dimension – die Vorgabe kommt durch das Werk. Ich könnte Cyprien Gaillards KOE niemals in dem kleinen Raum zeigen, in dem Bill Violas Reflecting Pool zu sehen ist – diese Arbeit ist nur denkbar im Kinosaal.
Wie sind Sie auf das ehemalige Kulturzentrum in der Leipziger Straße gekommen, und was gefällt Ihnen daran? Das Tschechische Kulturzentrum hatte mir Tim Renner empfohlen – er wusste, dass ich mich nach geeigneten Räumlichkeiten umschaue. Es gab hier schon vorher Ausstellungen, wobei das Gebäude zuletzt als Club genutzt wurde. Als ich die Räume zum ersten Mal sah, dachte ich: Wow! Es herrschte ein ziemliches Chaos – auf drei Etagen! Ich beauftragte die Architektin Johanna Meyer-Grohbrügge, die den Charakter der Räume einerseits erhalten und dennoch ein neues Erscheinungsbild erschaffen hat. Jetzt haben wir diese eleganten Vorhänge, und ich finde es eine geniale Idee, sie sowohl innen als auch außen zu installieren. Außen dient der Vorhang als Werbefläche und zur Verdunklung, innen schafft er den Charakter einer Privatsammlung. Ansonsten hat der Bestand vieles vorgegeben: Wir haben hier wunder- bare Kassettendecken, Marmorböden und diesen wahnsinnig schönen Kinosaal.
Wieviel Zeit verbringen Sie eigentlich mit Ihrer Sammlung? Sind Sie oft hier? Immer! Immer und gar nicht ... nein, natürlich permanent, aber anders als in Düsseldorf, wo ich zeitweise mit der Sammlung unter einem Dach gelebt habe. Sammeln ist für mich kein Beruf, daher habe ich auch keine Arbeitszeiten. Die Sammlung ist mit mir so eng verbunden und ich mit der Sammlung, dass ich schon sagen würde, dass ich mit ihr lebe – auch wenn ich jetzt räumlich getrennt bin – es hört nie auf.
Was für eine Rolle spielt für Sie die Dematerialität und Flüchtigkeit von Medienkunst? Eine große! Zeit und Bewegung beschäftigen mich schon mein ganzes Leben. Erstere ist stets mit Flüchtigkeit verbunden, deswegen fasziniert mich auch die Arbeit von Bill Viola: dieses Einfrieren und Ausdehnen von Zeit. Diese immaterielle Komponente ist etwas, was mich persönlich sehr beschäftigt, manchmal verängstigt und auch frustriert, weil natürlich niemand die Zeit anhalten kann. Das ist sicher auch ein Grund, warum ich so eine große Leidenschaft diesem Medium gegenüber habe – es hängt alles zusammen.
Was war das erste Werk, das Sie gekauft haben? High Performance von Aaron Young – die Arbeit ist natürlich immer noch im Sammlungsbestand. In dem Video sieht man einen Motorradfahrer, der in einem kleinen Raum mit seinem Motorrad einen 360-Grad-Rubber-Burnout vollzieht. Durch den Abrieb entstehen so viele weiße Nebelschwaden, dass man den Motorradfahrer am Ende nicht mehr sehen kann. Diese Arbeit hat einen multiplen Charakter und ist sowohl Malerei, Skulptur als auch Performance.
Ist denn Performance auch ein Thema für Sie? Ja natürlich. 2009 haben wir uns das gesamte Jahr ausschließlich darauf konzentriert. Mit insgesamt 28 Live-Performances war das ein immenser Aufwand und wahrscheinlich die bisher teuerste Ausstellung, die ich je gemacht habe, und vor allem ist nichts Materielles übrig geblieben. Was aber bleibt, ist die persönliche Erinnerung, und das ist nicht hoch genug einzuschätzen. Wer damals dabei war, war eben dabei. Da sind wir wieder beim Ephemeren. Wahrscheinlich erlebt auch deshalb die Performance gerade ein großes Revival. Ich erinnere mich noch gut an meine erste Performance, als Yvonne Rainer im Guggenheim das Trio A getanzt hat ... ich denke, dass die Sehnsucht, live dabei zu sein, gerade in der jetzigen Zeit so gewachsen ist, weil ein einmaliges Erlebnis so intensiv berührt. Das geht sicher nicht nur mir so, sondern vielen: Zum Glück!
Noch mal zurück zum Video: Haben Sie eigentlich einen Fernseher zuhause? Ich bin ein großer Fernsehfan! Das liegt in der Familie: Meine Eltern haben mir neulich erzählt, dass Elfriede Brose, die Frau meines Urgroßvaters, Anfang der Fünfzigerjahre das erste Fernsehgerät überhaupt in Coburg hatte. Eine wahre Geschichte!
Generationsverlust: Am 10. Juni 2017 eröffnet die Jubiläumsausstellung Generation Loss, die von dem britischen Künstler Ed Atkins konzipiert wurde. Bis zum 10. Juni 2018 in der Julia Stoschek Collection, Schanzenstraße 54, 40549 Düsseldorf
Die Ausstellung Jaguars and Electric Eels ist noch bis zum 26. November 2017, von Do–So von 14–20 Uhr, in der Julia Stoschek Collection, Leipziger Straße 60, 10117 Berlin, zu sehen.
FOTOGRAFIE Jonas Lindstroem, Simon Vogel
Jonas Lindstroem, Simon Vogel
Generation Loss
Jubiläumsausstellung zu zehn Jahren Julia Stoschek Collection Düsseldorf
www.julia-stoschek-collection.net